Blick hinter die Zahlen #26 – Alternative Indizes Das Gold der Datenschürfer

In der globalisierten Weltwirtschaft sind konventionelle Indikatoren oft zu langsam. Alternative Konzepte mit Satellitenfotos oder Frachtraten liefern Entscheidern früher Indizien für Trends.

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Die Rastplätze an den Autobahnen sind wieder voller Lkw. Von der Coronakrise ist keine Spur mehr. Was inzwischen für jeden Autofahrer erkennbar ist, hat sich schon länger abgezeichnet. Ablesbar war das bereits im Frühjahr am Lkw-Maut-Fahrleistungs-Index, den das Statistische Bundesamt veröffentlicht. Dieser alternative Index basiert auf Daten, die das Bundesamt für Güterverkehr aus dem elektronischen Lkw-Mautsystem sammelt.

Dieser Lkw-Index ist ein Frühindikator für die Konjunktur. Das funktioniert so: Je mehr Kilometer Lkws auf der Straße fahren, desto stärker brummt die Wirtschaft. Denn die Industrie ist abhängig von Zulieferteilen, die vor allem mit Lkws zu den Betrieben transportiert werden. Mitte April erreichte der Index – bedingt durch die Coronapandemie – einen Tiefpunkt. Danach durften viele Einzelhändler wieder öffnen. Seitdem geht es wieder bergauf.

Alternative Indizes nutzen Daten, die früh ökonomisch relevante Trends anzeigen. Durch die Digitalisierung lassen sie sich teilweise in Echtzeit erfassen und innerhalb weniger Stunden auswerten. Die Palette an Daten, die alternative Indizes nutzen, ist breit: Satellitenfotos von Industrieanlagen, digitale Zahlungsbelege von Supermarktkassen oder Werte aus Wetterbojen, die die Temperatur der Ozeane messen.

Entwicklung des Lkw-Maut-Fahrleistungs-Index 2020

Einer der ältesten alternativen Indizes ist der Baltic Dry Index. Er misst die Frachtraten für den Schiffstransport wichtiger Rohstoffe wie Steinkohle oder Eisenerz. Taktgeber ist dabei vor allem die rohstoffhungrige chinesische Wirtschaft.

Steigen die Frachtraten, weil mehr Rohstoffe per Schiff transportiert werden müssen, zeichnet sich meist ein konjunktureller Aufschwung ab.

Oft läuft der Baltic Dry Index dem weltweiten Aktienindex voraus – so auch in diesem Jahr. Früher als der MSCI Weltaktienindex erholten sich die Frachtraten von dem Coronacrash im März. Für Anleger und Unternehmen kann der Baltic Dry Index daher ein wertvoller Frühindikator sein. Seit Anfang Juni hat er sich mehr als verdreifacht. Übersetzt heißt das: Die Konjunktur brummt wieder.

Baltic Dry Index für Schiffsfrachtraten läuft dem MSCI Weltaktienindex voraus

Kräne lügen nicht

Ähnlich konjunkturempfindlich wie der globale Warenverkehr auf den Ozeanen ist die Baubranche. In London sammelt die Unternehmensberatung Deloitte Daten über die Baustellen für Bürotürme. Jeder Baukran, jede Baugrube und jedes Gerüst wird von Deloitte gezählt. Die Daten fließen dann in den London Office Crane Survey ein. Dieser Index ist ein wichtiges Barometer für den Londoner Immobilienmarkt. Selbst die Bank von England schaut auf diese Daten.

Digitale Plattformen sind eine Goldgrube für alternative Indizes und Frühindikatoren. Inzwischen hat sich in dieser Nische eine eigene Datenindustrie etabliert. Neben großen Konzernen gibt es auch eine Reihe von Start-ups. Das Bonner Unternehmen Stockpulse beispielsweise wertet Meldungen in den sozialen Medien über Dax-Konzerne aus. Unternehmen, über die im Netz positiv berichtet wird, laufen in der Folge auch besser an der Börse. Diesen Zusammenhang können etwa Fondsmanager nutzen, um ihr Portfoliomanagement zu verbessern.

Am Datenhype verdienen

Startups wie Stockpulse bleiben meist nicht lange unabhängig. Oft kaufen IT-Konzerne solche Spezialisten auf, um am Hype um alternative Daten zu verdienen. Zu diesen Firmenjägern gehört auch der US-Konzern Envestnet. Er kaufte unter anderem die Finanzplattform Yodlee auf. Über Yodlee kann Envestnet die Kreditkartenzahlungen an den Supermarktkassen erfassen. Schneller als jeder Börsianer wissen die Spezialisten von Envestnet, ob es für den Handelsriesen Walmart ein gutes oder ein schlechtes Quartal war. Diese Daten verkauft das Unternehmen an Profis, die damit Geld verdienen wollen.

Viele Investoren trauen Envestnet einen großen Wachstumsschub zu (ISIN: US29404K1060). Die Aktie lief in den vergangenen fünf Jahren deutlich besser als der Index S&P 500. Inzwischen ist die Aktie jedoch schon sehr hoch bewertet. Anleger sollten ihre Erwartungen an eine weitere Rally daher dämpfen. Alternativ können sie auf den Aktienfonds Edmond de Rothschild Big Data (ISIN: LU1244895394) ausweichen, der sich auf börsennotierte Datensammler spezialisiert hat.

Entwicklung der Aktie des US-Datenkonzerns Envestnet und des Aktienindex S&P 500

Alternative Indizes können auch Technologien nutzen, die eigentlich für andere Zwecke gedacht sind, beispielsweise Software zur Gesichtserkennung. James Cicon von der Universität Central Missouri etwa analysierte mithilfe einer Software für Videoaufzeichnungen die Gesichtszüge der Vorstandschefs der 500 größten US-Konzerne. Zeigte der Firmenboss Angst, war das für Anleger ein gutes Zeichen. Denn dann war er motiviert, mehr für Umsatz und Gewinn zu tun. Ein zufrieden lächelnder Vorstandschef war dagegen ein schlechtes Zeichen, weil der sich in den kommenden Monaten weniger anstrengen würde.

Ein Index auf die Mimik der Konzernchefs gibt es zwar noch nicht, aber das kann noch kommen. Der Markt für alternative Daten wird auf jeden Fall wachsen. Allein über die Millionen von Smartphones, die fast jeder Deutsche täglich nutzt, ließen sich unzählige Werte sammeln. Allein der strenge Datenschutz setzt dabei Grenzen. In den USA spielt der Datenschutz dagegen kaum eine Rolle. Nicht zufällig sitzen dort die meisten Unternehmen, die mit alternativen Daten ihr Geld verdienen.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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