Blick hinter die Zahlen #35 – Ost-West-Vergleich Beim Geld ist Deutschland noch geteilt

Ost- und Westdeutsche sind sich bei der Geldanlage einerseits ähnlich. In einem Punkt aber trennen sie auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch Welten.

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Zum 30. Mal jährt sich am Wochenende der Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland. „Blühende Landschaften“, so hatte Helmut Kohl damals in Aussicht gestellt, würden die neuen Bundesländer bald sein. Ein Satz, der Erwartungen schürte. Andere Zeitgenossen sahen in der Wiedervereinigung eher eine Aufgabe als ein Versprechen. „Das größte wirtschaftliche und soziale Experiment, das in der westlichen Welt je gewagt wurde“, nannte sie etwa SPD-Politiker und Zentralbankratsmitglied Wilhelm Nölling damals. Sie bedeute „die ökonomische Fusion zweier Staaten mit diametral ausgerichteten Wirtschaftssystemen.“

Nach wie vor gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West – etwa bei den Finanzen. So sind die Westdeutschen wesentlich vermögender als ihre ostdeutschen Nachbarn. Das Statistische Bundesamt ermittelte 2018, dass das Median-Nettogesamtvermögen westdeutscher Haushalte bei rund 60.000 Euro liegt – und damit rund dreimal so hoch wie in Ostdeutschland. Zur Erinnerung: Die Hälfte der Haushalte hat mehr Vermögen als den Median, die andere Hälfte weniger.

Bemerkenswert daran ist, dass die Löhne im Osten sich durchaus denen im Westen angeglichen haben. Das verfügbare Einkommen je Haushalt stieg in den neuen Ländern nach Daten des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 2017 auf 85 Prozent des Westniveaus. Weil zudem die Lebenshaltungskosten in den alten Bundesländern höher seien als in den neuen, sei das real verfügbare Einkommen in Ost und West noch näher beieinander, schlossen die Autoren des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit im vergangenen Jahr. Die großen Unterschiede bei den Vermögen aber blieben – anders als bei den Einkommen – bestehen und sind zwischen 2008 und 2018 sogar gewachsen: 2008 noch hatten westdeutsche Haushalte im Median nur 2,4-mal so viel Vermögen wie ihre ostdeutschen Nachbarn. Die Angleichung der Löhne hat also offensichtlich nicht ausgereicht, um die extrem unterschiedlichen Startniveaus bei den Vermögen zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung zu nivellieren.

Während die Höhe des Vermögens zwischen den neuen und alten Bundesländern also ungleich ist, gibt es bei der Geldanlage ein gesamtdeutsches Phänomen, das in Ost wie West gilt: Die Deutschen sind noch immer auf Bankprodukte festgelegt. Ostdeutsche Haushalte halten nach den Daten des Statistischen Bundesamts rund die Hälfte ihres Bruttogeldvermögens in klassischen Bankprodukten wie Bausparverträgen oder Tagesgeld. In den alten Bundesländern ist es nur unwesentlich weniger. An Wertpapiere trauen sich bisher trotz Niedrigst- und Negativzinsen weder West- noch Ostdeutsche heran. In den alten Bundesländern stehen sie für 30, in den neuen Bundesländern für 24 Prozent des Bruttogeldvermögens. Immerhin hat sich das Verhältnis bei der letzten Datenerhebung 2018 gegenüber der vorigen fünf Jahre zuvor etwas zugunsten von Wertpapieren verschoben. Dennoch gilt: Die Deutschen sind eher Wertpapier-Muffel.

Anteil ausgewählter Anlage-Kategorien am Bruttogeldvermögender Haushalte.

Historisch dürften dabei einige Faktoren eine Rolle spielen. So zum Beispiel die Tatsache, dass das umlagefinanzierte deutsche Rentensystem, anders als es etwa in den USA der Fall ist, eine Beschäftigung mit dem Kapitalmarkt lange obsolet machte. Ferner ist der Kapitalmarkt hierzulande im internationalen Vergleich klein, womöglich auch begünstigt durch die historischen Brüche der deutschen Geschichte. Und die Aktieneuphorie Ende der Neunzigerjahre, als sich die Zahl der Aktionäre in wenigen Jahren von fünf auf zehn Millionen verdoppelte, endete mit dem Platzen der Internet-Blase und für viele mit schmerzhaften Verlusten. All das mag erklären, wieso Deutsche Wertpapiere eher scheuen.

Das gilt umso mehr für Aktien. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) hat 2019 ausgewertet, wie viele Menschen Aktien oder Aktienfonds halten und die Auswertung nach Bundesländern gegliedert. Hier gibt es 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch ein deutliches Ost-West-Gefälle. Während in den westdeutschen Bundesländern fast 17 Prozent der Menschen in Aktien investieren, sind es im Osten nur knapp zehn Prozent. Als Grund für die Diskrepanz nennt das DAI das niedrigere Einkommensniveau in den ostdeutschen Bundesländern. Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass Gutverdiener häufiger Aktien halten. Und hohe Einkommen wiederum sind in Westdeutschland nach wie vor öfter anzutreffen als in den neuen Bundesländern.

Aktionärsquoten nach Bundesländern.

Zusätzlich dürften auch hier historische Gründe eine Rolle spielen: Bewohner der westdeutschen Bundesländer hatten schließlich schon bald nach Ende des zweiten Weltkriegs wieder die Möglichkeit, Aktien zu kaufen, während das im sozialistischen System der DDR bis 1989 nicht ging und sich entsprechend auch keine Aktienkultur entwickeln konnte. Hinzu kommt: Nach wie vor gibt es kaum börsennotierte Unternehmen in den neuen Ländern. Im Dax ist – sieht man vom Neuling Delivery Hero mit Sitz im ehemaligen Ost-Berlin ab – kein ostdeutsches Unternehmen vertreten.

In Ostdeutschland sind also deutlich weniger Menschen Aktionäre als im Westen. Der Blick auf die Struktur des Wertpapiervermögens zeigt zudem, dass sie Aktien in ihren Portfolios weniger stark gewichten als Westdeutsche. In den neuen Ländern machen Aktien und Aktienfonds die Hälfte des Wertpapier-Depotvolumens der Haushalte aus. Im Westen hingegen liegt die Quote mit 60 Prozent ein gutes Stück höher. Weniger stark vertreten sind dafür andere Anlageformen wie etwa ETFs, Dachfonds, Hedgefonds oder Zertifikate, die in ostdeutschen Portfolios stärker zu finden sind.

Wertpapier-Aufteilung in Ost und West.

Gesamtdeutsche Einigkeit besteht dagegen in Sachen Anleihen: Der Anteil von Anleihen, Anleihen- oder Geldmarktfonds hat sowohl in Ost- wie in Westdeutschland zwischen 2008 und 2018 um zehn Prozentpunkte abgenommen. Der Trend zu immer niedrigeren Zinsen hat in den Portfolios seine Spuren hinterlassen. Zinspapiere spielen deshalb in den Depots heute – ebenso wie Immobilienfonds – hier wie dort keine große Rolle.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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