Blick hinter die Zahlen #43 – Die Bilanzen der Dax-Konzerne Wie krisenfest sind die Dax-Giganten? Diese Zahlen verraten es

Die Pandemie und die deshalb einbrechende Nachfrage setzen den Dax-Konzernen zu. Aber nicht die rückläufigen Gewinne sind entscheidend – erst der Blick auf die wichtigsten Bilanzzahlen zeigt die Widerstandskräfte.

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Dass die Coronapandemie den Gewinnen der Unternehmen zusetzt, das wird Anlegerinnen und Anlegern schnell gewahr, wenn sie auf die jüngsten Mitteilungen zu den Geschäften schauen. So sind die laufenden Gewinnmargen der vergangenen vier Quartale deutlich eingebrochen. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit/Earnings before interest and taxes) liegt im Dax gemessen am Umsatz bei durchschnittlich nur noch 4,1 Prozent. Darin sind das konjunkturell sehr gute vierte Quartal 2019, das noch erträgliche erste Quartal 2020, der Einbruch im Frühjahr und das wieder bessere Sommerquartal berücksichtigt.

Insgesamt dürfte sich diese Gewinnmarge im Gesamtjahr 2020 grob geschätzt in dem Bereich um vier Prozent einpendeln, mit Tendenz nach unten. Zum Vergleich: 2017 – im für die Dax-Konzerne bisher ertragsreichsten Jahr in diesem Jahrtausend – lag die Marge bei noch 9,7 Prozent. Aber selbst das Katastrophenjahr 2020 dürfte nicht so stark ins Kontor schlagen, wie die Jahre 2001 oder 2002. Nach dem Platzen der Technologieblase brachen die Ebit-Margen auf 2,4 und 2,6 Prozent ein.

Gewinn ist wie gesagt das eine. Wichtiger für Stabilität und Zukunftsfähigkeit der 30 Dax-Unternehmen ist aber die Finanzsituation. Die Nettofinanzschulden, also Bankkredite und Anleihen etwa abzüglich des Kassenbestandes, liegen im Dax bei insgesamt knapp 288 Milliarden Euro. Die vier Finanzkonzerne Allianz, Münchener Rück, Deutsche Börse und Deutsche Bank blieben bei der Erhebung außen vor. Kundeneinlagen bei ihnen, etwa ein Sparbuch bei der Deutschen Bank, sind als Schulden zu betrachten. Deshalb ergibt eine Nettoschulden-Betrachtung bei ihnen wenig Sinn. Das Frankfurter Geldhaus beispielsweise wies im letzten Quartal aber Liquiditätsreserven über 253 Milliarden Euro aus – das ist mehr als beruhigend für Kunden und Aktionäre. Die 288 Milliarden Finanzschulden der 26 Dax-Industriekonzerne sind bei den meisten tragbar.

Aktuelle Bilanz der Dax-Konzerne

Die größte Bürde trägt die Deutsche Telekom, nachdem sich ihre Tochter T-Mobile US mit dem US-Konkurrenten Sprint zusammengeschlossen hat. 124,5 Milliarden Euro sind eine schwere Last. Allerdings sprechen die stabilen und durchaus ansehnlichen Einnahmen der Telekom dafür, dass es trotz der optisch hohen Schulden kaum Probleme geben wird. Es sei denn, die Zinsen stiegen stark an, wofür es keine Anzeichen gibt. Deutlich unter Druck mit einem Milliardenverlust in diesem Jahr steht Bayer. Einen Lichtblick gibt es aber auf Schuldenseite, die die Leverkusener im vergangenen Quartal um 7,7 Milliarden Euro auf gut 28 Milliarden Euro drücken konnten. Im Auge sollten Anleger die Schulden bei E.On (sogenannte wirtschaftliche Nettoverschuldung über 42 Milliarden), Fresenius (24,5 Milliarden) und Fresenius Medical Care (11,4 Milliarden) haben. Insgesamt jedoch bleibt festzuhalten, dass sich Aktionärinnen und Aktionäre der Dax-Konzerne in Sachen Schulden nicht allzu große Sorgen machen müssen.

Positiv stechen vor allem die Autokonzerne hervor, bei denen die Schulden aus ihren Finanzierungssparten analog zur Deutschen Bank außen vorbleiben – eine übliche Vorgehensweise. Die Nettoliquidität im Industriegeschäft gilt bei den Autobauern als wichtige Kenngröße. BMW hat da 13,5 Milliarden in der Kasse, Daimler 13,1 Milliarden und Volkswagen 24,8 Milliarden. Allen Unkenrufen zum Trotz fährt also ausgerechnet die Autobranche gut gepuffert durch der Krise. Daneben hat im Dax nur Beiersdorf netto Geld in der Kasse, und zwar 4,1 Milliarden Euro.

Auch bei einer weiteren wichtigen Bilanzkennzahl sind die Autokonzerne vorne: beim Eigenkapital, bei dem alle Dax-Konzerne zusammengerechnet gut 871 Milliarden Euro angesammelt haben. BMW weist da gut 60 Milliarden Euro aus, Daimler knapp 59 Milliarden und Volkswagen gut 122 Milliarden Euro. Das bietet ebenfalls viel Puffer, wenn es zu Abschreibungen auf das Verbrennergeschäft etwa kommen sollte. In dieser Liga spielen sonst nur die Deutsche Telekom (Eigenkapital rund 72 Milliarden), die Deutsche Bank (62 Milliarden) und die Allianz (75 Milliarden) mit. Auf den ersten Blick bedenklich wenig Puffer hat E.On mit nur 8,5 Milliarden Euro an Eigenkapital.

Das wird auch auf den zweiten Blick nicht besser. Denn Investorinnen und Investoren sollten auch immer die Vermögensseite einer Bilanz im Auge haben. Denn Abschreibungen auf das dort bilanzierte Vermögen mindern den Gewinn und das Eigenkapital.

Mit ihren Zukäufen haben sich die Dax-Konzerne hohe Risiken ausÜbernahmen in die Bilanz geholt

Dabei gibt es eine Kaskade. Abschreibungsgefährdet sind zunächst einmal Aufschläge, die ein Konzern bei einem Kauf eines anderen Unternehmens auf dessen Vermögen gezahlt hat. Diese Übernahmeprämie finden Investoren in der Bilanz auf der Vemögensseite (Aktiva) unter der Position Geschäfts- und Firmenwerte (auch Goodwill genannt). Bei E.On ist nicht nur das Eigenkapital dünn, sondern auch der Goodwill hoch. Mit nach letzten verfügbaren Zahlen liegt er mit knapp 18 Milliarden Euro bei mehr als dem Doppelten des Eigenkapitals. Würde E.On nur die Hälfte seines Goodwills, der vor allem aus der Übernahme der Ex-RWE-Tochter Innogy entstanden ist, abwerten, wäre das Eigenkapital futsch.

Insgesamt hat sich diese Risikoposition im Dax seit dem Jahr 2000 fast vervierfacht auf nach jüngsten Zahlen gut 300 Milliarden Euro. Hohe Abschreibungen sind keine Seltenheit, Bayer etwa fuhr im zweiten Quartal 2020 nach massiven Abwertungen unter anderem auf den Goodwill 9,5 Milliarden Euro Verlust ein. E.On selbst präsentierte vor vier Jahren in seinen Neunmonatszahlen 2016 nach Abschreibungen einen Verlust von 9,3 Milliarden Euro. E.On hat in Relation zum Eigenkapital die höchsten Gefahren aus der Goodwill-Position. Auch bei Bayer, Fresenius, Fresenius Medical Care, Deutscher Post, SAP, Henkel oder Merck sind die bilanzierten Übernahmeprämien hoch bis sehr hoch. Wenig Sorgen machen müssen sich in Sachen Goodwill Anlegerinnen und Anleger nur bei Beiersdorf, BMW, Covestro, Daimler, Deutsche Wohnen, MTU Aero und Münchener Rück.

Beim weltgrößten Rückversicherer aus München spielen auch Patente oder Lizenzen keine große Rolle. Diese sind in der Bilanz bei den sonstigen immateriellen Vermögensgegenständen zusammengefasst. Grundsätzlich eine gute Sache, wenn Unternehmen wertvolle Patente etwa im Pharmabereich besitzen oder Lizenzen im Mobilfunk wie die Deutsche Telekom. Doch passen die Wertansätze nicht mehr, etwa wenn die Umsätze sich daraus nicht so einstellen wie erhofft, wie zuletzt bei Bayer, dann müssen Unternehmen auch hier Milliarden abziehen. Das mindert wiederum ebenfalls Gewinn und Eigenkapital. Eine enorme Position über rund 100 Milliarden Euro hat die Deutsche Telekom hier aufgebaut – das sind fast 40 Prozent allen sonstigen immateriellen Vermögens der Dax-Unternehmen. Dicke Posten haben hier noch VW (gut 43 Milliarden), Bayer (gut 25 Milliarden), Daimler (gut 15 Milliarden), BMW (12 Milliarden) und Linde (gut 13 Milliarden). Daneben spielen Patente und Lizenzen bei HeidelbergCement, SAP, Infineon, RWE, BASF, Fresenius, E.On, Henkel, Siemens und der Deutschen Bank eine größere Rolle.

Als Fazit der aktuell letzten verfügbaren Zahlen der Dax-Konzerne lässt sich ziehen: Die Verschuldung ist bei den meisten Unternehmen ein geringes bis überschaubares Thema; die Ausstattung mit Eigenkapital dagegen ist meist zu gering; die Risiken aus Übernahmen sind in Summe und in vielen Einzelfällen hoch, beachtenswert und ein Kursrisiko; gleichfalls nimmt auch das immaterielle Vermögen bei einer nennenswerten Anzahl von Dax-Unternehmen eine wichtige Rolle ein.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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