Blick hinter die Zahlen #46 – Weihnachtsbäume Wo die 24 Millionen Christbäume der Deutschen herkommen

Der klassische Weihnachtsbaum stammt aus Georgien – wird aber natürlich auch in Deutschland angepflanzt. Doch die Zahl der Baumschulen mit Christbaumanzucht schrumpft – warum es dennoch nicht weniger Bäume gibt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Weihnachtsbaumverkäufer sind nun gewissermaßen systemrelevant. In dem neuesten Beschluss von Bund und Ländern zur Coronavirus-Bekämpfung sind sie jedenfalls von den zwangsgeschlossenen Händlern ausdrücklich ausgenommen – in einer Reihe mit Lebensmittelläden, Apotheken, Reformhäusern und Drogerien. Auch wenn das Weihnachtsfest in diesem Jahr anders ausfallen wird, ruhiger, stiller, für viele auch einsamer – ihre Weihnachtsbäume sollen die Deutschen nach wie vor kaufen können. Seit mehreren hundert Jahren stellen sich die Menschen zur Weihnachtszeit geschmückte Bäume in ihre Häuser und Kirchen; und seit rund 30 Jahren bevorzugen die Deutschen hierfür die Nordmanntanne. Sie macht etwa 80 Prozent aller rund 24 Millionen Christbäume aus, die die Deutschen jedes Jahr kaufen.

Wobei diese Zahl eine Schätzung ist. Denn weder das Statistische Bundesamt, noch der Handelsverband oder der Bund deutscher Baumschulen wissen, wie viele Weihnachtsbäume die Deutschen Jahr für Jahr tatsächlich konsumieren. Auch Saskia Blümel kann nur schätzen – obwohl sie mittendrin ist: Die 31-Jährige arbeitet im Bundesverband der Weihnachtsbaumerzeuger. Hauptberuflich leitet sie, gemeinsam mit ihrem Vater, seit 2014 den elterlichen Weihnachtsbaum-Hof in der niedersächsischen Gemeinde Moisburg, wenige Kilometer südlich von Hamburg. Mehrere tausend Nordmanntannen verkauft Blümel pro Jahr von ihrem Hof. Der Verband zählt bundesweit rund 600 Mitglieder; wobei darunter viele seien, die Weihnachtsbäume nur im Nebenerwerb verkaufen, sagt sie.

Blümel erklärt die unbefriedigende Statistiklage beim Thema Weihnachtsbaum zunächst mit einer uneindeutigen Definition: Weihnachtsbaumerzeuger sei „ein Mittelding zwischen Landwirtschaft, Gärtner und Baumschule“. Nicht wenige sind Quereinsteiger, wie Blümel selbst: Sie hat Bankbetriebswirtschaft studiert und zehn Jahre lang bei einer Bank gearbeitet, zuletzt noch in Teilzeit, „damit ich mich im Sommer nicht langweile“, bevor sie komplett ins Familiengeschäft einstieg. Aber selbst eine Zahlenfrau wie Blümel wirkt etwas ratlos bei der Frage nach Statistiken: Weihnachtsbäume verkaufen schließlich auch Discounter wie Aldi, ebenso große und weniger große Baumärkte – und natürlich viele Erzeuger selbst. Eine etwas unübersichtliche Mischung. Zudem, sagt Blümel, erhalten Land- und Forstwirte für Weihnachtsbäume keine Subventionen von der EU, anders als etwa für Mais. Auch diese Quelle für Statistik fällt also weg.

Anzahl der deutschen Baumschulen, die u.a. Weihnachtsbaumkulturen züchten

Doch zumindest eines lässt sich anhand der vorhandenen Weihnachtsbaum-Daten mit Gewissheit feststellen: eine fortschreitende Marktkonzentration bei den Baumschulen, auf deren Vorarbeit jeder Weihnachtsbaumerzeuger angewiesen ist. Denn die Baumschulen pflanzen die Samen der Nordmanntannen. Diese erhalten sie von Saatgutfirmen, die sie wiederum ausschließlich aus einer Quelle beziehen: Mitarbeiter von Saatgutfirmen klettern dazu im Kaukasusgebirge in Georgien auf Nordmanntannen und pflücken dort oben die Zapfen, in denen sich die Samen befinden. Deutsche Baumschulen kaufen diese Samen, hegen und pflegen sie zu Jungpflanzen, beeten sie um, damit sich das Wurzelwerk ausbilden kann. Nach drei bis vier Jahren, wenn die Pflanzen zwischen 25 und 30 Zentimeter groß sind, verkaufen die Baumschulen die Bäumchen an Weihnachtsbaumerzeuger wie Saskia Blümel. Dort wachsen die Tannen weitere 10 bis 15 Jahre lang, bis sie eine Größe von rund zwei Metern erreicht haben.



In den vergangenen neun Jahren aber hat sich die Zahl der Baumschulen, die (unter anderem) Weihnachtsbäume pflanzen, mehr als halbiert: von 483 im Jahr 2008 auf nur noch 203 im Jahr 2017, als das Statistische Bundesamt zuletzt eine Baumschulerhebung durchgeführt hat. Diese Schrumpfung muss man in Relation betrachten zur Gesamtheit aller Baumschulen, denn auch die sind im selben Zeitraum deutlich weniger geworden. Gab es 2008 noch 3035 Baumschulen in Deutschland, waren es 2017 nur noch 1714 – ein Rückgang um 44 Prozent. Die Quote der Weihnachtsbaumzüchter unter Deutschlands Baumschulen ist ebenfalls rückläufig, allerdings deutlich weniger dramatisch. 2008 pflanzten noch gut 16 Prozent der Baumschulen Weihnachtsbäume, 2017 waren es noch knapp 12 Prozent.

Diese Konzentration ist also nicht allein mit dem Weihnachtsbaum zu erklären. Baumschulen ergeht es da nicht anders als vielen anderen Betrieben: Zahlreiche Kleinere haben in der Vergangenheit aufgegeben, einige Große übernehmen und wachsen. Und ganz banal: Viele alteingesessene Baumschulen haben ein Nachwuchsproblem. Der Bund deutscher Baumschulen registriert zudem „eine Zunahme des professionellen Anbaus von Weihnachtsbaumplantagen, auf Kosten des kleinen Zusatzgeschäfts bei vielen Landbesitzern“.

Baumschulen pro Bundesland, in denen Weihnachtsbäume gepflanzt werden

Die meisten der 203 Weihnachtsbaum-Baumschulen befinden sich in Niedersachen (45), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (39) und Schleswig-Holstein (38). Betrachtet man allerdings die Fläche, die die Betriebe zur Weihnachtsbaum-Anzucht nutzen, ändert sich die Tabelle: Da führt NRW mit deutlichem Abstand vor Schleswig-Holstein und Bayern. Eine besondere Rolle spielt hierbei auch der Orkan Kyrill, der im Januar 2007 über Deutschland hinwegfegte und einen Milliardenschaden verursachte. Vor allem im gut bewaldeten Sauerland, im Osten Nordrhein-Westfalens, zerstörte Kyrill damals sehr viele Altfichtenbestände sowie Eichen und Buchen. In der Folge wurden dort viele Weihnachtsbaumkulturen eingepflanzt, erzählt Jens Heßmann, der zusammen mit seinem Vater im sauerländischen Örtchen Schmallenberg-Bracht einen Weihnachtsbaumbetrieb führt. Zwischen 5000 und 8000 Bäume verkauft das Familienunternehmen jedes Jahr. Den Waldbauern sei damals kaum etwas anderes übriggeblieben, sagt Heßmann, als Weihnachtsbäume zu pflanzen: Die haben eine deutlich kürzere Triebzeit als etwa Rotfichten.

Die Halbierung jener Baumschulen, die Weihnachtsbäume anpflanzen, bedeutet aber nicht, dass insgesamt weniger Weihnachtsbäume gepflanzt und verkauft werden. Die erwähnten 24 Millionen Christbäume, die in Deutschland jedes Jahr gekauft werden, halten sich seit Jahren stabil und ohne nennenswerte Schwankungen, schätzt Saskia Blümel vom Bund deutscher Baumschulen. Darin enthalten sind auch importierte Weihnachtsbäume, die zum Großteil aus Dänemark kommen. Allein vergangenes Jahr importierte Deutschland rund 2,3 Millionen Weihnachtsbäume.

Durchschnittlicher Stückpreis der importierten Weihnachtsbäume

Die Preise dieser Import-Bäume schwanken von Jahr zu Jahr. Hierbei ist keine klare Tendenz zu erkennen. Der Verband erklärt das wie folgt: Die Preise regelt schlicht der Markt durch Angebot und Nachfrage. In einem Jahr wird in Dänemark mal viel produziert, im nächsten Jahr wieder weniger. Mal sind viele der importierten Bäume kleiner, weil die Nachfrage danach gestiegen ist; dann kosten sie weniger, was den Durchschnittspreis senkt. Möglich auch, dass Discounter in einem Jahr mehr Importware kaufen, und – weil sie günstiger einkaufen können – auf diese Weise den Preis senken. Auch gab es schon Jahre, in denen Verkäufer eine leichte Überproduktion am Markt feststellten und deshalb weniger importierten.

Aber Deutschland importiert nicht nur, sondern exportiert auch Weihnachtsbäume. Ihre Zahl hat sich seit 2005 mehr als verdoppelt: von rund 408.000 auf 982.000 Bäume im vergangenen Jahr. Das ist angesichts der Gesamtmenge von rund 24 Millionen freilich keine große Menge; und doch offenbart dieses Wachstum eine gestiegene Nachfrage nach deutschen Nordmanntannen, vor allem in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Polen. „In den dortigen Ländern sind die Anbaubedingungen nicht überall so gut“, vermutet Blümel.

Deutschland, sagt sie, sei ein Weihnachtsbaumland geworden. Die Aussage mag überraschen angesichts der schrumpfenden Zahl an Baumschulen. Es gibt dafür aber auch zunehmend größere Erzeuger, mittelständische Unternehmen, die sich auf Weihnachtsbäume konzentriert haben und fast nichts anderes mehr anbauen.

Und damit noch einmal zurück zu Jens Heßmann ins Sauerland: „Weihnachtsbaumerzeugung ist mittlerweile ein recht arbeitsintensives Geschäft“, sagt er. Heute gehe er sechs, sieben oder achtmal im Jahr an jedem Baum vorbei und bearbeite ihn, erzählt er. „Wir asten die Bäume auf, mit der Rosenschere.“ Bedeutet: Heßmann und seine Mitarbeiter betreiben Vorschnitt, damit die Bäume kegelförmig wachsen, „weil sie sonst nicht dem Bild der Verbraucher entsprechen“. Oft haben die Bäume auch eine doppelte Spitze, die sie wegschneiden müssen. Bei Heßmann kaufen fast nur Stammkunden, das Familienunternehmen pflanzt und veräußert seit mehr als 30 Jahren Weihnachtsbäume. „Wir halten daran fest. Wir haben Freude an der Sache.“

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

Mehr zum Thema: Kommt der Weihnachtsmann auch in diesem Jahr, trotz Corona? Der Kölner Nikolaus- und Weihnachtsmann-Darsteller Stefan Dößereck meint: unbedingt!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%