Blick hinter die Zahlen #47 – Neuverschuldung Was kostet die Coronakrise?

Mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen unterstützen Bund, Länder und Gemeinden die krisengebeutelte Wirtschaft. Das funktioniert nur auf Pump – mit massiven Auswirkungen auf die öffentlichen Schulden.

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Eine Bazooka ist eine große Handfeuerwaffe, die das amerikanische Militär 1942 zur Abwehr von gegnerischen Panzern entwickelte. Sie hat den Ruf, eine so durchschlagende Wirkung zu erzielen, dass sie auch in der internationalen Finanzpolitik eine gewisse Berühmtheit erlangte. Wann immer es gilt, eine krisengebeutelte Wirtschaft finanziell zu unterstützen, holen die verantwortlichen Manager und Politiker diese Bazooka metaphorisch aus dem Schrank: 2012 war es der damalige EZB-Chef Mario Draghi, der den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ankündigte, und 2020 war es Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der mit einem Konjunkturpaket die coronageschädigte Wirtschaft retten wollte.

Das beliebte Sprachbild hat allerdings einen Haken: Die Bazooka als Kriegsgerät war auch deshalb so beliebt, weil sie beim Abschuss keinen Rückstoß erzeugte. Die wirtschaftspolitische Bazooka von Olaf Scholz hingegen kann dieses Versprechen nicht einhalten. Ihr Rückstoß, um im Sprachbild zu bleiben, ist eine hohe öffentliche Neuverschuldung.

Der Schuldenberg des Bundes ist zwischen dem Jahresende 2019 und dem dritten Quartal 2020 um 241,5 Milliarden Euro angewachsen, das entspricht etwa 20 Prozent. Die Schuldenquote, also das Verhältnis der öffentlichen Schulden zum Bruttoinlandsprodukt, stieg von 59,6 im Jahr 2019 auf schätzungsweise 67,4 Prozent im zweiten Quartal 2020. Damit reißt Deutschland den von der EU festgelegten Richtwert von 60 Prozent wieder, nachdem es zuletzt gelungen war, die Schuldenquote zu senken.

Wie schädlich das langfristig für die Wirtschaft ist, darüber wird gestritten. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wies im Mai darauf hin, dass eine hohe Verschuldung erst mit steigenden Zinsen problematisch werde. Dann nämlich, wenn die staatlichen Einnahmen durch die Tilgung von Schulden und Zinsen aufgefressen werden.

Doch die Neuverschuldung dürfte Finanzminister Olaf Scholz auch auf der symbolischen Ebene wehtun: Um die negativen Folgen der Pandemie für die Wirtschaft abzumildern, musste sich die Bundesregierung von der seit 2014 bestehenden schwarzen Null verabschieden und Kredite in Höhe von 217,8 Milliarden Euro aufnehmen. Auch für 2021 sind im Bundeshaushalt weitere 179,8 Milliarden Euro Schulden miteingeplant.

Nettokreditaufnahme des Bundes 2008 bis 2021

In den kommenden Jahren soll die Nettokreditaufnahme schrittweise wieder sinken. Wenn es nach dem DIW geht, ist dies genau die richtige Herangehensweise für eine Krisensituation. In einer Studie vom Dezember 2020 kommt das DIW zu dem Schluss, dass Staaten einschneidende Katastrophen dann besonders gut meistern, wenn sie sich an Schuldenbremsen halten, diese aber zu Krisenzeiten aussetzen. „In Ländern mit fiskalischen Regeln steigen Bruttoinlandsprodukt, privater Konsum und öffentliche Ausgaben nach Krisen stärker als in Ländern ohne Vorgaben“, heißt es in der Studie.

Doch nicht nur der Bund musste sich Geld leihen. Insgesamt belaufen sich die Schulden der öffentlichen Haushalte, also von Ländern, Gemeinden, Bund und Sozialversicherung, zusammen auf fast 2,2 Billionen Euro – 15,6 Prozent oder 296,4 Milliarden Euro mehr als zum Jahresende 2019.

Eigentlich hatten sich die Bundesländer just ab 2020 verpflichtet, keine neuen Kredite mehr aufzunehmen. Doch die Coronakrise zerschmetterte die Schuldenbremse, bevor sie überhaupt greifen konnte: Alle Bundesländer mussten sich für 2020 wegen fehlender Einnahmen und steigender Ausgaben Geld am Kapitalmarkt leihen.

Schuldenstand der Länder beim nicht-öffentlichen Bereich.

Wie sehr Corona die Länderhaushalte belastet, zeigt sich vor allem an den beiden Beispielen Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Der sächsische Schuldenstand stieg auf das 2,7-fache oder um 171 Prozent – allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. In Nordrhein-Westfalen lag diese Quote zwar bei nur 10 Prozent – mit einer Verschuldung von 186,6 Milliarden Euro ist das bevölkerungsreichste Bundesland aber Spitzenreiter. In Nordrhein-Westfalen zeigt sich auch, wie lange die Coronakrise die Länderhaushalte noch beschäftigen wird: Der Landtag in Düsseldorf hat für die Tilgung der Schulden einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren veranschlagt.

Schulden der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände beim nicht-öffentlichen Bereich

Eine Ebene weiter unten, bei den Städten und Gemeinden, zeigt sich ein gemischtes Bild. Während die Kommunen in einigen Bundesländern sogar Schulden abbauen konnten, stieg der Schuldenstand in neun von sechzehn Fällen an. Der Stadtstaat Bremen, der mit 20,8 Prozent den größten Zuwachs zu verzeichnen hatte, setzte das Geld vor allem für Rückklagen und Barsicherheiten von Derivatgeschäften einIm Saarland hingegen übernahm das Land mit dem „Sondervermögen Saarlandpakt“ 336 Millionen Euro an Krediten der Gemeinden – die kommunalen Schulden sanken deshalb um 15,1 Prozent.

Die Frage, wie die Finanzierung auf Pump bezahlt werden soll, stellt sich erst noch. Die Liste der Vorschläge reicht über einen Corona-Solidaritätsbeitrag bis hin zur Erhöhung der Einkommenssteuer. Finanzminister Olaf Scholz sprach sich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aus – er wird einen Weg finden müssen, die Bazooka für den nächsten Einsatz nachzuladen.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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