Blick hinter die Zahlen #8 – Gutverdienende Frauen Gender-Pay-Gap mal anders: In Ostdeutschland verdienen Frauen mehr als Männer

Das Lamento über die schlechtere Bezahlung von Frauen ist allgegenwärtig, gerade am Weltfrauentag. Dabei gehört auch zur Wahrheit: In den neuen Bundesländern verdienen Frauen mehr als Männer. Wie ist das zu erklären?

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Es ist eine Zahl, die sich tief in das deutsche Bewusstsein eingegraben hat: ein Fünftel. So viel verdienen Frauen hierzulande weniger als Männer, plus minus ein paar Prozentpunkte, je nach genauer Berechnungsgrundlage. Während die einen beim Thema Gender-Pay-Gap genervt die Augen verdrehen, sehen die anderen darin eine der größten Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Klar scheint nur: Frauen bekommen weniger Geld als Männer.

Doch das ist beileibe nicht so selbstverständlich, wie man denken könnte. Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen, dass Frauen im Osten im Gegenteil mehr verdienen als Männer. Und zwar nicht nur in einem Bundesland, sondern im Schnitt aller ostdeutschen Bundesländer. Und nicht nur in einer Branche, sondern im Gesamt-Median.

In Zahlen: Während Männer in den neuen Bundesländern 2300 Euro brutto im Monat verdienen, sind es bei Frauen knapp 100 Euro mehr. Gender-Pay-Gap einmal andersherum.

Frauen im Osten verdienen mehr als Männer

Um diese Zahlen zu verstehen, lohnt zunächst ein Blick, worauf sie sich überhaupt beziehen. Obwohl es die derzeit aktuellsten Daten sind, stammen sie aus dem Jahr 2014. Sie umfassen all jene Beschäftigten in den neuen Bundesländern, die in Vollzeit arbeiten. Und sie bilden jeweils den Median ab, also genau die Hälfte der Männer und Frauen verdient mehr beziehungsweise weniger als die angegebene Summe.

Schon eine etwas Berechnung des mittleren Einkommens kann alles verändern. Nimmt man statt des Medians nun den Durchschnitt als Grundlage, so kehrt sich nämlich das Verhältnis um: Im Schnitt verdienen Männer auch im Osten mehr als Frauen. Das liegt vor allem daran, dass es bei den Männern mehr Ausschläge nach oben gibt.

Wiederum in Zahlen: Während 1,3 Prozent der Frauen 6100 Euro und mehr im Monat verdienen, ist dies bei knapp 2,9 Prozent der Männer der Fall. Die Grenze von 9100 Euro im Monat überschreiten nur noch 0,2 Prozent der Frauen gegenüber 0,7 Prozent der Männer. Diese Top-Gehälter ziehen den Durchschnitt nach oben.

Was die Extreme nach oben angeht, gewinnen also auch im Osten die Männer. Bezogen auf die breite Masse haben die Frauen aber mehr Geld, wohl bemerkt: die in Vollzeit arbeitenden.

Die Destatis-Zahlen deuten darauf hin, dass das Gehalt der Frauen in Ostdeutschland zudem maßgeblich von ihrem Arbeitgeber abhängt. So verdienen Frauen bei öffentlichen Arbeitgebern etwas mehr als Männer. Bei nicht-öffentlichen Arbeitgebern hingegen verdienen die Männer 200 Euro mehr. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage der Tarifbindung: Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, verdienen die Frauen mehr. Ist er es nicht, haben sie das Nachsehen.

Auf den Arbeitgeber kommt es an

Diese Zahlen sprechen dafür, dass Frauen ein enges Gehaltskorsett zugutekommt. Müssen sie nicht persönliches Verhandlungsgeschick beweisen, sondern können sich auf vorgefertigte Gehaltsstufen verlassen, stehen sie im Geschlechtervergleich offenbar deutlich besser da.

Dass Frauen in den neuen Bundesländern im Median mehr verdienen als Männer, liegt vor allem an vier Wirtschaftsabschnitten – und zwar interessanterweise an solchen, die man gemeinhin nicht unbedingt mit Frauen in Verbindung bringen würde. So verdienen Frauen in Bergbau, Wasserversorgung, Verkehr sowie Wohnungswesen mehr als Männer. In den drei letztgenannten Wirtschaftszweigen liegen dabei nicht nur die Median-, sondern auch die Durchschnittsgehälter über denen der Männer.

In diesen Branchen verdienen Frauen besser

Auch wenn die Zahlen dies nicht belastbar hergeben, liegt doch die Vermutung nahe, dass die Frauen innerhalb der Wirtschaftsabschnitte qualifiziertere Jobs ausüben als die Männer. Und diese bringen eben mehr Geld. So gibt es etwa im Bergbau viele manuelle, schlechtbezahlte Tätigkeiten, die eher männlich besetzt sind, während die Frauen im selben Bereich eher die höher qualifizierten, besser bezahlten Bürojobs ausführen. Dazu passt auch, dass im Bereich Tiefbau Frauen im Median anderthalbmal so viel verdienen wie Männer.

Expertin Gabriele Wydra-Somaggio vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stützt diese Interpretation: Frauen in Ostdeutschland verfügten im Schnitt über eine höhere Qualifikation als Männer. Tatsächlich hat laut Destatis mehr als ein Drittel der in Vollzeit arbeitenden Frauen im Osten mindestens Abitur, aber nur gut ein Fünftel der Männer. Zudem ergreifen Frauen im Osten laut IAB häufig Berufe, die besser bezahlt würden als die der Männer.

Während die Jobwahl der Frauen sonst für den Gender-Pay-Gap mitverantwortlich gemacht wird – schlechtbezahlte Jobs wie Kindererziehung oder Pflege lassen grüßen –, entpuppt sie sich also im Osten als Teil des weiblichen Erfolgsrezepts.

Noch entscheidender für den Gehaltsvorsprung der Frauen ist jedoch etwas anderes, weniger Selbstbestimmtes, wie IAB-Forscherin Wydra-Somaggio erklärt: „Wichtigster Faktor ist das geringere Vorhandensein von sehr gut bezahlten Jobs in der Industrie in Ostdeutschland, von denen vor allem Männer profitieren.“

Frauen im Osten verdienen also nicht mehr als Männer, weil sie absolut gesehen so gut verdienen. Sondern, weil im Osten die gutbezahlten Top-Jobs fehlen, die nach wie vor meist Männer ausüben.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

Logo des Statistischen Bundesamtes (Destatis)


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