Christiane Nüsslein-Volhard im Interview "Klassischer Konflikt"

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Studenten in Düsseldorf:

Glauben Sie als Genforscherin, dass es einen Geschlechtsunterschied gibt? Denken Frauen etwa in der Breite, sind sie weniger fokussiert als Männer?

Ich glaube, dass es sehr große Unterschiede gibt, die allerdings in erster Linie nicht genetisch, sondern durch Hormone bedingt sind. Jede Mutter wird einem bestätigen, dass die Mädchen von klein auf anders sind als Buben, und zwar nicht nur, weil die Eltern sie anders behandeln. Heutzutage dürfen Mädchen doch alles, was Jungen dürfen. Das war in meiner Kindheit ganz anders. Wir haben mit Puppen gespielt, und viele Mädchen bekamen das Gefühl vermittelt, weniger wert zu sein als Jungen.

Sie haben drei Schwestern und einen Bruder.

Ja, der arme Kerl. Als er geboren wurde, hat sich alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Zum Glück ist trotzdem etwas aus ihm geworden. Um nicht missverstanden zu werden: Auch wenn es biologisch bedingte Unterschiede gibt, halte ich Frauen für genauso intelligent wie Männer. Die Interessen sind aber zum Teil sehr verschieden. Und es gibt auch viele Männer, die ein dummes, hübsches Hascherl suchen, das zu ihnen aufschaut und ihnen daheim den Haushalt macht. Leider lassen sich viele Frauen auf die traditionelle Hausfrauenrolle ein, auch gut ausgebildete. Oder sie bestehen darauf, sechs Jahre bei ihrem Kind zu bleiben, obwohl sie sich dadurch berufliche Chancen versperren, die nicht aufzuheben sind. Da kann man schon an der weiblichen Intelligenz zweifeln.

"Aber ich würde mir auch Ganztagsschulen und weniger Bürokratie wünschen."

Sie haben der Karriere wegen auf Kinder verzichtet. Würden Sie das heute anders machen?

Das kann man so nicht sagen. Ich war ja verheiratet, fand aber meine Arbeit sehr wichtig und spannend. Wir haben uns getrennt, als ich 32 war. Es war der klassische Konflikt, ich war erfolgreicher als er. Viele Frauen hätten sich wohl untergeordnet, leider. Frauen müssen einen intellektuell ebenbürtigen Partner finden, der mindestens so erfolgreich ist wie sie, sonst funktioniert das nicht. Bei Männern geht es auch anders.

Meine männlichen Kollegen haben Kinder, und Frauen, die nicht arbeiten und ihnen vor der Dienstreise den Koffer packen. Diese Kollegen sind wohlgemerkt 20 Jahre jünger als ich! Obwohl sie sich heute viel mehr um ihre Kinder kümmern als das die Väter früher taten, ist das natürlich ein anderes Leben. Die Frauen dagegen, die mit Kindern Karriere machen wollen, müssen zugleich den Großteil der Familienarbeit schultern. Deshalb habe ich die Stiftung gegründet – damit junge Wissenschaftlerinnen sich eine gute Kinderbetreuung leisten und mehr Zeit im Labor verbringen können.

Quote nein, finanzielle Unterstützung ja?

Genau. Aber ich würde mir auch Ganztagsschulen und weniger Bürokratie wünschen. Ich habe Mitarbeiter, die dürfen ihre Kinder nicht hier in die städtischen Kindergärten in der Nähe des Instituts geben, weil die Stadt einen Zuschuss zahlt und sie außerhalb von Tübingen wohnen. Das ist doch Unsinn.

Wie viele Frauen haben Sie mit Ihrer Stiftung bislang unterstützt?

So um die 40. Der Andrang ist nicht so groß, vielleicht auch, weil die ehrgeizigen Frauen sich nicht trauen, Kinder zu kriegen, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Aber vielleicht auch, weil die deutschen Frauen eben doch noch immer auf die Mutterrolle fixiert sind. Viele wollen ihr Kind nicht in die Krippe geben. Und die Gesellschaft verstärkt diesen Effekt und spricht gleich von „Rabenmutter“. Dabei ist längst erwiesen, dass Kinder in einer guten Kinderkrippe sehr gut zurechtkommen. Dennoch glaube ich nicht, dass man je einen Professorinnen-Anteil von 40 Prozent erreichen wird.

Biologie ist das naturwissenschaftliche Fach mit den meisten Studentinnen. Trotzdem sind erfolgreiche Forscherinnen immer noch die Ausnahme. Was haben Sie anders gemacht?

Ich habe mich schon sehr früh für die Natur interessiert. Und ich bin ein Mensch, der gerne in die Tiefe geht. Ich habe einige außerberufliche Interessen, die ich mit fast professioneller Intensität verfolge, zum Beispiel Musik. Ich glaube aber auch, dass Frauen sich einfach weniger für Naturwissenschaften interessieren. Das merke ich auch an meiner Familie und bei Bekannten. Wenn ich über meine Arbeit erzähle, hören die Frauen bald nicht mehr zu.

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