Christiane Nüsslein-Volhard im Interview "Klassischer Konflikt"

Deutschlands einzige Medizin-Nobelpreisträgerin, die Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard, über die Karrierechancen forschender Frauen.

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Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard Quelle: Bettina Flitner/Collection Rolf Heyne

WirtschaftsWoche: „Ehret die Frauen, sie sticken und weben himmlische Rosen ins irdische Leben.“ Dieses Schiller-Zitat haben Sie einem Zeitungsartikel vorangestellt. War das ironisch gemeint?

Nüsslein-Volhard: Natürlich! Wir wollen uns doch alle von dem altmodischen Verständnis befreien, dass Frauen nur zur Zierde da sind. Wir wollen doch wegkommen von der Einstellung: „Ach wie schön, dass jetzt eine Frau im Kollegium ist, dann sind die Unterhaltungen netter, und sie sorgt für ein angenehmes soziales Klima im Haus.“ Dabei möchte die Kollegin in erster Linie wegen ihrer Forschung wahrgenommen werden. Frauen sollten ihre sozialen Stärken bitte nicht ablegen, sondern eher dafür sorgen, dass die männlichen Kollegen sich diese netten Eigenschaften auch aneignen.

1985 hat man Sie als erste Direktorin ans Tübinger Max-Planck-Institut berufen. Sie waren die zweite Max-Planck-Direktorin überhaupt in Deutschland – unter etwa 200 Männern. Hat man Sie wegen Ihres Geschlechts eingestellt?

Mit Sicherheit nicht. Damals gab es innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft überhaupt keine Sensibilität für Gleichberechtigung, und es gab sicher keine Pluspunkte für Frauen. Im Gegenteil, die Vorurteile waren stets präsent. Ich habe später auch festgestellt, dass kein Direktor vor mir und keiner nach mir je eine so magere Ausstattung bekommen hat.

"Als ich einen Preis nach dem anderen erhielt, hat sich das geändert."

Haben Sie nicht dagegen protestiert?

Na ja, zunächst war ich einfach überwältigt, dass man mir die Stelle überhaupt angeboten hat. Außerdem hieß es ganz klar: Wenn Sie nicht zufrieden sind, können Sie ja wegbleiben. Ein Unding! Damals war mir das gar nicht so bewusst, schließlich bekam ich doppelt so viele Mittel, Stellen und Platz wie zuvor als Gruppenleiterin. Aber im Vergleich zu meinen Kollegen war es sehr wenig, auf die Dauer zu wenig – und das hat mich schon gekränkt.

Und irgendwann haben Sie mehr bekommen?

Als ich einen Preis nach dem anderen erhielt, hat sich das geändert. Nach dem Leibniz-Preis habe ich mehr Platz und Geld gefordert und damit das Dachgeschoss unseres Institutsgebäudes ausgebaut. Aber es war schon bezeichnend, dass ich den Leibniz-Preis nicht allein bekam, sondern mit einem anderen Forscher, Herbert Jäckle, teilte. Er hatte einige der Segmentierungsgene, die Eric Wieschaus und ich gefunden haben, molekularbiologisch untersucht.

Frauen, die forschen

Man traute sich also nicht, einer Frau alleine den Leibniz-Preis zu geben?

Möglich. Aber letztlich war es schon in Ordnung so. Jäckle und ich arbeiteten im gleichen Institut und unsere Forschungen ergänzten sich thematisch. Ich war die einzige Frau neben zwölf nominierten Männern.

Als Sie dann Direktorin waren und die Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft anstand – das wichtigste Ereignis der Institution – hat man Ihnen das Damenprogramm zugeschickt.

Ja, das war schon kurios. Aber es gab viele solcher Erlebnisse. Ende der Achtzigerjahre hatte die Max-Planck-Gesellschaft ein Symposium über Embryonenschutz organisiert. In letzter Minute rief man mich an und sagte, ich müsse unbedingt kommen, weil sonst keine einzige Frau da sei. Die wussten noch nicht einmal, dass ich Embryonenforscherin bin. Da war ich wirklich wütend und habe abgesagt.

Und heute? Hat sich die Lage gebessert?

Aber ja! Nie würde jemand sich im Entferntesten trauen, Frauen so zu behandeln, wie man mich behandelt hat. Und ich darf das heute auch laut sagen, weil ich erfolgreich gewesen bin. Für Frauen, die es nicht bis zur Spitze geschafft haben, ist das viel schwieriger. Denn dann schwingt immer unterschwellig mit: Die ist eben auch nicht so gut, es war ja ganz richtig, sie nicht zu fördern. Nein, im Moment ist die Stimmung eher ins Gegenteil umgeschlagen.

Sie meinen, die Frauen würden zu sehr hofiert?

Viele Frauen müssen sich ja schon bedrängt fühlen, wenn es immer heißt, es gebe nicht genug Professorinnen. Es gibt viele Frauen, die wollen keine 12, 14 Stunden im Labor stehen. Mittlerweile hat das Forschungsministerium gefordert, 40 Prozent der Professorenstellen müssten mit Frauen besetzt werden. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja gar nicht genügend qualifizierte Frauen, die so einen Job auch ernsthaft wollen.

Aber strukturelle Benachteiligung gibt es doch. Sie haben deshalb auch eine Stiftung gegründet, die jungen Wissenschaftlerinnen Geld für die Kinderbetreuung gibt.

Ja, natürlich trauen manche Frauen sich nicht oder machen schlechte Erfahrungen mit Diskriminierung. Für viele ist es in unserer Gesellschaft wirklich schwierig, Familie mit Beruf zu vereinbaren. Diese muss man unterstützen. Ein Fünftel oder ein Viertel der Spitzenstellen mit Frauen besetzen zu wollen – das ist ja noch sinnvoll, und entspricht wohl auch dem Angebot. Schließlich drängen Frauen auch nicht in andere Hochleistungsberufe, in Politik, Kunst, Wirtschaft etwa. Das muss doch einen Grund haben.

Studenten in Düsseldorf:

Glauben Sie als Genforscherin, dass es einen Geschlechtsunterschied gibt? Denken Frauen etwa in der Breite, sind sie weniger fokussiert als Männer?

Ich glaube, dass es sehr große Unterschiede gibt, die allerdings in erster Linie nicht genetisch, sondern durch Hormone bedingt sind. Jede Mutter wird einem bestätigen, dass die Mädchen von klein auf anders sind als Buben, und zwar nicht nur, weil die Eltern sie anders behandeln. Heutzutage dürfen Mädchen doch alles, was Jungen dürfen. Das war in meiner Kindheit ganz anders. Wir haben mit Puppen gespielt, und viele Mädchen bekamen das Gefühl vermittelt, weniger wert zu sein als Jungen.

Sie haben drei Schwestern und einen Bruder.

Ja, der arme Kerl. Als er geboren wurde, hat sich alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Zum Glück ist trotzdem etwas aus ihm geworden. Um nicht missverstanden zu werden: Auch wenn es biologisch bedingte Unterschiede gibt, halte ich Frauen für genauso intelligent wie Männer. Die Interessen sind aber zum Teil sehr verschieden. Und es gibt auch viele Männer, die ein dummes, hübsches Hascherl suchen, das zu ihnen aufschaut und ihnen daheim den Haushalt macht. Leider lassen sich viele Frauen auf die traditionelle Hausfrauenrolle ein, auch gut ausgebildete. Oder sie bestehen darauf, sechs Jahre bei ihrem Kind zu bleiben, obwohl sie sich dadurch berufliche Chancen versperren, die nicht aufzuheben sind. Da kann man schon an der weiblichen Intelligenz zweifeln.

"Aber ich würde mir auch Ganztagsschulen und weniger Bürokratie wünschen."

Sie haben der Karriere wegen auf Kinder verzichtet. Würden Sie das heute anders machen?

Das kann man so nicht sagen. Ich war ja verheiratet, fand aber meine Arbeit sehr wichtig und spannend. Wir haben uns getrennt, als ich 32 war. Es war der klassische Konflikt, ich war erfolgreicher als er. Viele Frauen hätten sich wohl untergeordnet, leider. Frauen müssen einen intellektuell ebenbürtigen Partner finden, der mindestens so erfolgreich ist wie sie, sonst funktioniert das nicht. Bei Männern geht es auch anders.

Meine männlichen Kollegen haben Kinder, und Frauen, die nicht arbeiten und ihnen vor der Dienstreise den Koffer packen. Diese Kollegen sind wohlgemerkt 20 Jahre jünger als ich! Obwohl sie sich heute viel mehr um ihre Kinder kümmern als das die Väter früher taten, ist das natürlich ein anderes Leben. Die Frauen dagegen, die mit Kindern Karriere machen wollen, müssen zugleich den Großteil der Familienarbeit schultern. Deshalb habe ich die Stiftung gegründet – damit junge Wissenschaftlerinnen sich eine gute Kinderbetreuung leisten und mehr Zeit im Labor verbringen können.

Quote nein, finanzielle Unterstützung ja?

Genau. Aber ich würde mir auch Ganztagsschulen und weniger Bürokratie wünschen. Ich habe Mitarbeiter, die dürfen ihre Kinder nicht hier in die städtischen Kindergärten in der Nähe des Instituts geben, weil die Stadt einen Zuschuss zahlt und sie außerhalb von Tübingen wohnen. Das ist doch Unsinn.

Wie viele Frauen haben Sie mit Ihrer Stiftung bislang unterstützt?

So um die 40. Der Andrang ist nicht so groß, vielleicht auch, weil die ehrgeizigen Frauen sich nicht trauen, Kinder zu kriegen, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Aber vielleicht auch, weil die deutschen Frauen eben doch noch immer auf die Mutterrolle fixiert sind. Viele wollen ihr Kind nicht in die Krippe geben. Und die Gesellschaft verstärkt diesen Effekt und spricht gleich von „Rabenmutter“. Dabei ist längst erwiesen, dass Kinder in einer guten Kinderkrippe sehr gut zurechtkommen. Dennoch glaube ich nicht, dass man je einen Professorinnen-Anteil von 40 Prozent erreichen wird.

Biologie ist das naturwissenschaftliche Fach mit den meisten Studentinnen. Trotzdem sind erfolgreiche Forscherinnen immer noch die Ausnahme. Was haben Sie anders gemacht?

Ich habe mich schon sehr früh für die Natur interessiert. Und ich bin ein Mensch, der gerne in die Tiefe geht. Ich habe einige außerberufliche Interessen, die ich mit fast professioneller Intensität verfolge, zum Beispiel Musik. Ich glaube aber auch, dass Frauen sich einfach weniger für Naturwissenschaften interessieren. Das merke ich auch an meiner Familie und bei Bekannten. Wenn ich über meine Arbeit erzähle, hören die Frauen bald nicht mehr zu.

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