Compex SP 8.0 im Test Traumfigur aus der Steckdose?

Elektronischer Muskelaufbau ohne Hantelbank und Beinpresse: Das verspricht Compex mit dem Stimulationsgerät SP 8.0. Auch zur Entspannung soll es beitragen. Kann das funktionieren? Wir haben uns unter Strom setzen lassen.

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Die Schweizer EMS-Wundermaschine SP 8.0. Billig ist das Gerät allerdings nicht. Käufer müssen dafür 1.229,00 Euro hinblättern.

Keine Zeit für Sport? Der Nacken verspannt, die Beine schwer? Strom an, Fett weg, schlaffe Dellen weg: EMS-Training heißt der Trend, der hier schnelle Abhilfe verspricht und derzeit in ganz Deutschland boomt. Kein Wunder, können doch bis zu 600 Kalorien in nur 20 Minuten verbrannt werden. Und schon ein einzige Trainingseinheit pro Woche soll denselben Effekt auf die Muskeln haben wie stundenlanges Schuften an der Hantelbank oder der Beinpresse - klingt eigentlich ganz so, als sei damit das Rad der Fitnessbranche neu erfunden.

Die Abkürzung EMS steht für elektrische Muskelstimulation, die ursprünglich aus dem medizinischen Reha-Training kommt, um beispielsweise Muskelschwund nach längeren Verletzungspausen oder Operationen entgegen zu wirken. Ebenso nutzen viele Profi-Sportler die Technologie als legales Doping, um ihre Leistung zu erhöhen und effektiver zu regenerieren nach anstrengenden Wettkämpfen.

Auf EMS spezialisierte Mikro-Studios in Innenstadtlagen erleben derzeit besonders großen Zulauf und die Zahl der Trainierenden wächst stetig. Mittlerweile, das hat eine Untersuchung der Fitness-Suchmaschine Fitogram.de ergeben, nutzen mehr als 140.000 Menschen das Spezialtraining. Mehr als 1500 dieser kleinen Fitness-Studios für Sportfaule (oder Berufstätige, die ihr Training gerne in der Mittagspause erledigen) haben inzwischen eröffnet. Obwohl Monatsbeiträge für die gezielte Muskel-Stimulation bis zu 120 Euro kosten können, ist die Nachfrage ungebrochen.

Die Sache hat jedoch zumindest für mich einen ganz speziellen Haken: Für das Training muss man in einen verkabelten und hautengen Ganzkörperanzug schlüpfen, damit es kribbelt und der Strom, der die Traumfigur aus der Steckdose formen soll, durch die Muskulatur schießen kann. Es gibt bestimmt Menschen, die in der angefeuchteten Funktionsbekleidung (der Strom leitet dann besser) gut aussehen, aber seien wir ehrlich: DAS ist nicht jedermanns Sache!

Aus diesem Grund haben wir für Sie den SP 8.0 getestet, ein professionelles EMS-Gerät für den Hausgebrauch, das der Schweizer Hersteller Compex als den König unter den Elektrostimulationsgeräten bezeichnet. Wie funktioniert das? Wie wirkt sich das Training auf die Muskeln aus? Hilft das Gerät bei chronischen Rückenschmerzen und Dauerverspannungen im Nacken? Wir haben es mehrere Monate lang ausprobiert und sagen, was es gebracht hat.

Vielversprechende Werbeslogans

Mit Strom und minimalem Aufwand die Muskeln trainieren. Kraft und Ausdauer optimieren. Die Regenerationszeit bei gleichzeitiger Vorbeugung von Verletzungen verkürzen und bestehende Schmerzen lindern: Die Werbebotschaften von Compex klingen eigentlich viel zu schön, um wahr zu sein und erinnern mich an ähnlich vielversprechende Slogans wie „Millionär in zehn Tagen“, „Schlank im Schlaf“ oder „Zehn Kilo weniger in nur fünf Tagen“. Nahezu ideal also für jeden Menschen, der weder besonders misstrauisch noch eine Sportskanone ist und nicht viel Zeit in sein Training investieren will oder kann (wir haben ja doch alle keine Zeit), oder?

Billig ist der reizende Spaß allerdings nicht: im Online-Shop von Compex kostet die kabellose High-End-Ausführung, die wir getestet haben, 1.229,00 Euro. Es gibt auch weniger teure Geräte mit abgespeckten Funktionen, deren Preise fangen allerdings auch schon bei 429 Euro (für die kabellose Variante) an.

Was den SP 8.0 vielleicht so besonders (teuer) macht: Er verfügt unter anderem über eine Funktion namens MI-Autorange (muscle intelligence). Aufgrund dieser Technologie passt das Gerät die Intensität der Programme automatisch an die Beschaffenheit der Muskulatur an (auch während einer Session) und legt für den Anwender das ideale Stimulationslevel fest. Gut für alle Anfänger im Bereich EMS-Training, denn die müssen selber gar nichts mehr einstellen. Wer das nicht mag, kann die Stromimpulse aber auch manuell auf einer Skala von 0 bis 999 regulieren - bei mir war bei spätestens 200 Schluss. Das Gerät zwiebelt ganz schön ordentlich, wenn man es hochdreht...

Im Lieferumfang enthalten sind neben der Ladestation und einer Tragetasche vier kabellose Module, an denen die Klebeelektroden für Haut befestigt werden. Damit lassen sich mehrere Körperpartien gleichzeitig trainieren, beispielsweise den rechten und den linken Oberschenkel sowie die rechte und die linke Wade in einem Rutsch.

Sie können den SP 8.0 auch ohne besondere Vorkenntnisse und intensives Studium der Bedienungsanleitung starten, ich würde Ihnen aber empfehlen, sich wenigstens rudimentär damit zu beschäftigen. Alleine schon deswegen, weil es eine Rolle spielt, wo am Körper die Module beziehungsweise die Elektroden befestigt werden. Compex bietet hier auf der Online-Seite gute Erklärungen und auch einige Videos an. Nach einer kostenlosen Registrierung lässt darüber hinaus auch noch ein individueller Trainingsplan je nach Fitnesszustand und Trainingsziel erstellen.

Kleine Stromstöße, große Wirkung



Allen Bedienungsanleitungsvermeidern (wie ich es bin) wird aber auch nochmal im Farbdisplay des handgroßen Gerätes via Piktogramm angezeigt, wo die Elektroden im Idealfall hingehören. Natürlich kann man die sich die kleinen Teilchen auch überall woanders ankleben, wo es gerade zwickt oder verspannt ist. Ich habe das im Test sehr oft und immer dort gemacht, wo es sich für mich angenehm angefühlt hat (im Regenerations- oder Massagemodus), muss aber an der Stelle erwähnen, dass das von Compex nicht so gerne gesehen ist, da eine „optimale Stimulation sonst nicht gewährleistet werden kann.“

Apropos optimale Stimulation. Ob nun in einem speziellen EMS-Studio oder mit dem Compex SP 8.0: Das Training ist deswegen so effektiv, weil der Strom die Muskelkontraktionen verstärkt und man so auch die Tiefenmuskulatur erreicht, die bei einem normalen Krafttraining gar nicht aktiviert wird. Nun bin ich selbst keine Sportwissenschaftlerin und kann zum Wahrheitsgehalt keine qualifizierte Aussage machen. Aber es gibt u.a. Studien der Kölner Sporthochschule, der Uni Bayreuth und der Uni Nürnberg, die übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen sind, dass das EMS-Training tatsächlich positiv für den schnellen Muskelaufbau ist, gut gegen Rückenschmerzen und auch Krankheiten vorbeugen kann.

Auf der anderen Seite gibt es - das sei hier nicht unerwähnt - nach einem anfänglichen Hype aber auch kritische Stimmen, die vor einem Übertraining und daraus resultierenden Gesundheitsgefahren durch EMS-Training warnen (ich empfehle Ihnen dazu einen guten Bericht meiner Kollegen vom NDR).

Um dem Fazit kurz vorzugreifen: Generell sehr wichtig sind daher ausreichende Erholungsphasen zwischen den Einheiten und ich würde mich auch denjenigen Experten anschließen, die von einem reinen EMS-Training abraten. Auf Dauer sollten Ausdauersport und Krafttraining damit nicht ersetzt werden. Oder kurz und frei nach Paracelsus: Die Dosis macht das Gift.

Die Schmerzen sind wie weggeblasen

Persönlich habe ich zu Beginn der Testphase den beinahe täglich im Einsatz gehabt - allerdings nicht zum Muskelaufbau, sondern entweder mit einem Programm zur Erholung oder zur Schmerzlinderung (Compex bietet beim 8.0 insgesamt vierzig verschiedene Programme in den Kategorien Konditionstraining, Fitness, Rehabilitation, Erholungsmassagen und Schmerzbehandlung).

Als chronische Schmerzpatientin wurde ich schon vor Jahren mit einem einfachen Tens-Gerät (Transkutane Elektrische Nervenstimulation, bei der Schmerzen ebenfalls mit Strom bekämpft werden) von meinem Arzt ausgestattet, das mir an besonders schmerzintensiven Tagen etwas Linderung (der Rücken, ich bin eine Schreibtischnomadin!) verschafft hat. Doch was ich nach der ersten Anwendung mit dem Compex erlebte, machte mich wirklich sprachlos.

Sie kennen die fiesen, dumpfen, ziehenden und elenden Schmerzen im unteren Rücken, im Bereich der Lendenwirbelsäule? Willkommen im Club. Am nächsten Morgen nach meiner ersten Compex-Einheit war meine Schmerzen wie weggeblasen. Wie kann das sein? So ein krasser Gegensatz zum Vortag! So eine schnelle Linderung - mit dem normalen Tens-Gerät dauerte es meist Tage, bis es wieder besser wurde! Ich war wirklich baff.

Da meine Schmerzen sonst eigentlich immer latent vorhanden sind, freute ich mich unglaublich über einen ganzen beschwerdefreien Tag. Als sich die Schmerzen am übernächsten Tag wieder angekrochen kamen, war Compex wieder im Einsatz (Programm: „Akuter Schmerz“) und erneut wurde ich nach schön-kribbeligen 20 Minuten für etliche Stunden von meiner Pein befreit.

Welche Schwächen der Compex SP 8.0 hat



Gestört hat mich allerdings jedesmal die Tatsache, dass es unglaublich umständlich ist, die Elektroden (die übrigens teuer sind und nach 30 Anwendungen ausgetauscht werden müssen) alleine und ohne fremde Hilfe am Rücken oder im Nacken zu befestigen. Am Ende fand ich mich halbnackt vor dem Ganzkörperspiegel im Flur wieder und es brauchte mehrere Anläufe, bis alle Module ihren korrekten Sitz hatten. Gestört hat mich außerdem, dass ich mich mit den Modulen nicht entspannt auf den Rücken legen konnte während der Anwendung, sondern entweder dabei saß oder aber (sic) mit seitlich abgeknicktem Kopf auf dem Bauch lag.

Wesentlich komfortabler geht es bei der Erholungsmassage für die Beine nach einem intensiven Lauf- oder Radtraining vonstatten. Im Sitzen die Module ankleben, aufs Sofa setzen, Beine hochlegen, Rücken anlehnen - genießen. Mein persönlicher Eindruck war, dass ich tatsächlich weniger schwere Beine nach harten Einheiten hatte, mich schneller erholt fühlte und früher wieder intensiver trainieren konnte.

Es gab aber auch zweimal im Abstand von je drei Wochen besonders hartnäckige Schulterschmerzen in der Testphase, denen ich mit dem Compex einfach nicht beikommen konnte. Plötzlich war es wie verhext und die Schweizer Wundermaschine konnte nichts mehr ausrichten. Nach mehreren Tagen erfolgloser Anwendung brachte meine Physiotherapeutin in 20 Minuten mit ein paar gezielten und festen Handgriffen die Erlösung und endlich wieder Schmerzfreiheit.

Was ich hingegen kaum genutzt habe, waren die Programme zum Muskelaufbau, bei denen ich parallel zu den Stromimpulsen über die Module an Bauch, Beinen oder Po noch Kniebeugen oder Sit-ups oder andere anstrengende Sachen hätte machen müssen. Für 20 Minuten, die sich anfühlen wie mehrere Stunden, war ich schlicht und ergreifend einfach zu faul. Da bin ich auch schon durch mein normales Triathlon-Training ganz gut gefordert und trainiert. Wer das tut, so sagt man, darf aber wohl schon nach vier bis sechs Wochen mit einem mess- und sichtbaren Kraftzuwachs rechnen.

Das Fazit zum Compex 8.0

Der SP 8.0 ist effektiver, als ich zunächst gedacht habe. Generell halte ich EMS-Training mit Compex für eine gute Sache, solange man noch ergänzend Ausdauer- und Krafttraining macht. Obwohl Einführung und Anleitung durch einen Profi fehlen, ist die Anwendung auch für den Laien einfach und die Bedienung intuitiv. In der Preisklasse sehe ich es allerdings nicht in der Massenanwendung, sondern vielmehr als Ergänzung für erfahrene Leistungssportler und ambitionierte Hobby-Athleten.

Wer auf der Suche nach Schmerzlinderung ist und angenehm-kribbelnden Massagen bei Verspannungen und Rückenschmerzen ist sicherlich mit einem deutlich günstigeren Gerät gut versorgt - Compex hat beispielsweise auch eine verkabelte Variante für rund 200 Euro im Angebot (Compex Fit 1.0). Auch wenn mich der SP 8.0 überzeugt und er mir in der Testphase viel gebracht hat, werde ich das Training damit nicht fortsetzen. Mir fehlt das Geld. Wobei sich das Prinzip auch, das hat die Antike gezeigt, alternativ auch sehr viel billiger umsetzen lässt: Schon damals wurden Zitterrochen und - aale gegen Schmerzen im Muskel-Skelett-System eingesetzt. Ich werde berichten.

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