
Was sind die Errungenschaften der Menschheitsgeschichte? Wie jeder schnell merkt, der sich diese Frage stellt, ist sie nicht so leicht zu beantworten. Wann beginnt die "Menschheitsgeschichte" eigentlich?
Schwer zu beantworten ist unsere Eingangsfrage aber auch deshalb, weil nicht von vornherein klar ist, welche Kriterien wir anlegen sollten: Welche Entwicklungen sind denn wirklich bedeutend?
Die meisten von uns würden vermutlich sagen, ein Vorfall oder Schritt, der den Lauf der Welt verändert – der die Kurve der Menschheitsgeschichte umlenkt.
Einschneidendes Erlebnis
Viele tausend Jahre tendierte die Kurve der menschlichen Entwicklung langsam aufwärts – quälend langsam, fast schon unmerklich. Tiere und Bauernhöfe, Kriege und Imperien, Philosophien und Religionen übten allesamt nur geringen Einfluss aus. Doch vor reichlich 200 Jahren ereignete sich plötzlich etwas Einschneidendes, das die Kurve der Menschheitsgeschichte – der Bevölkerung und ihrer sozialen Entwicklung – um fast 90 Grad knickte.

Der Knick fällt mit einer Entwicklung zusammen, über die wir schon viel gehört haben: die industrielle Revolution, also das Zusammenspiel mehrerer nahezu zeitgleicher Entwicklungen im Maschinenbau, in der Chemie, in der Metallurgie und anderen Disziplinen.
Mit Dampf fing alles an
Dabei können wir sogar ganz genau sagen, welche Technik die wichtigste war – nämlich die Dampfmaschine, und zwar die von James Watt und seinen Kollegen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte und verbesserte.
Vor Watt waren Dampfmaschinen äußerst ineffizient. Sie schöpften nur rund ein Prozent der von der verbrannten Kohle freigesetzten Energie ab. Watts brillante Spielereien zwischen 1765 und 1776 steigerten diesen Wert um mehr als das Dreifache.
Die industrielle Revolution ist natürlich nicht allein die Geschichte der Dampfkraft, doch mit Dampf fing alles an. Mehr als je zuvor konnten wir die Grenzen menschlicher und tierischer Muskelkraft überwinden und nach Belieben enorme Mengen nutzbarer Energie erzeugen.
Stufen der industriellen Entwicklung
Die erste industrielle Revolution datiert man auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Gekennzeichnet war sie durch die Einführung mechanischer Produktionsanlagen, die durch Wasser- und Dampfkraft angetrieben wurden. In dieser Zeit wurde auch der erste mechanische Webstuhl entwickelt.
Quelle: Deutsche Bank Research Industrie 4.0 - Upgrade des Industriestandorts Deutschland steht bevor, Stand: Februar 2014
Die Erfindung erster Fließbänder in Schlachthöfen in den USA ist Symptom der zweiten industriellen Revolution. Die Verfügbarkeit elektrischer Energie für Produktionszwecke bedingte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts automatisierte sich die Produktion weiter. Von diesem Zeitraum an wurde nicht mehr nur Arbeitsteilung betrieben, sondern ganze Arbeitsschritte wurden von Maschinen übernommen. Die Grundlage für diese Entwicklung war der Einsatz von Elektronik und IT.
Die Industrie 4.0 soll die vierte industrielle Revolution werden. In der "intelligenten Fabrik" sollen Menschen, Maschinen und Ressourcen miteinander kommunizieren. Das jeweilige Produkt soll, gefüttert mit Informationen über sich selbst, seinen eigenen Fertigungsprozess optimieren können.
Das ermöglichte Fabriken und Massenproduktion, Eisenbahnen und Massentransport – in anderen Worten, das moderne Leben. Die industrielle Revolution läutete das erste Maschinenzeitalter der Menschheit ein. Zum ersten Mal beruhte unsere Weiterentwicklung vor allem anderen auf technischer Innovation. Und in diese Zeit fielen die am tiefsten greifenden Umwälzungen, die die Welt je erlebt hat.
Das Maschinenzeitalter bricht an
Nun bricht das zweite Maschinenzeitalter an. Computer und andere digitale Errungenschaften haben auf unsere geistigen Kräfte – die Fähigkeit, mithilfe unseres Gehirns unsere Umwelt zu verstehen und zu gestalten – die gleiche Wirkung wie die Dampfmaschine und ihre Ableger auf die Muskelkraft.
Sie ermöglichen uns, frühere Einschränkungen zu überwinden, und führen uns auf Neuland. Wie genau sich diese Umwälzung vollziehen wird, liegt noch im Dunklen, doch ob das neue Maschinenzeitalter die Kurve ebenso drastisch verformt wie Watts Dampfmaschine oder nicht, eine große Sache ist sie allemal.
Um es vorab schon auf den Punkt zu bringen: Die Geisteskraft ist für Fortschritt und Entwicklung – für unsere physische und intellektuelle Fähigkeit, mit uns und der Welt erfolgreich zurechtzukommen – mindestens ebenso wichtig wie die physische Kraft. Ein so kräftiger und ungekannter Impuls für die Geisteskraft sollte der Menschheit daher einen enormen Schub verleihen – genauso wie früher einmal ihr physisches Pendant.