6G-Mobilfunk Wenn die Handynetze fühlen lernen

6G wird voraussichtlich gegen 2030 marktreif sein Quelle: Bloomberg

Der Aufbau der 5G-Netze ist nicht abgeschlossen, da forscht die Mobilfunkbranche schon am Nachfolger 6G. Der soll nicht bloß mehr und schneller Daten übertragen, sondern auch bislang unbekannte Anwendungen ermöglichen.

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Kugelrund wie ein überdimensionaler Ballon, steht ein gleißend weiß beleuchteter Pavillon am Rand des riesigen Messestandes von Ericsson in Halle zwei auf dem Mobile World Congress in Barcelona. Wer durch einen niedrigen Gang ins Innere tritt, steht unter einer Art virtuellem Sternenzelt im Halbdunkel vor einer Handvoll Präsentationsstände. Hier, das soll das Ambiente wohl ausstrahlen, geht der Blick in die Zukunft. Was der schwedische Mobilfunkausrüster und Netzausrüster zeigt, sind Technologien für die sechste Generation von Funknetzen, für 6G also, ein Standard, der voraussichtlich gegen 2030 marktreif sein und in seiner Leistungsfähigkeit die heutigen Netze ein weiteres Mal in den Schatten stellen soll.

Zwar ist der Aufbau der neuen 5G-Netze weltweit gerade erst in Gange, und Tommi Uitto, President Nokia Mobile Networks, betont auf der weltweit größten Kommunikationsmesse, dass „bisher nur ein Bruchteil der globalen Mobilfunkinfrastruktur komplett auf 5G umgestellt ist“. Doch in den Laboren von Netzausrüstern, in Hochschulen und bei den Mobilfunkanbietern arbeiten die Forschungsteams längst mit Hochdruck daran, die Technologien der Zukunft zu entwickeln. 

Statt der heute möglichen Spitzengeschwindigkeiten von 10 Gigabit pro Sekunde, sollen mit 6G beispielsweise bis zu einem Terabit pro Sekunde möglich werden – dem Hundertfachen heutiger Geschwindigkeiten. Pro Funkzelle soll die Technik bis zu tausend Mal mehr Geräte pro Funkzelle versorgen und bei all dem idealerweise nur noch einen Bruchteil der Energie je Verbindung benötigen. 

Aber die Ideen, die die Entwickler mit 6G umsetzen wollen, gehen weit über den Ausbau von Übertragungstempo und Zahl der versorgten Geräte hinaus. In Ericssons Zukunftszelt sind per Funk verbundene Sensoren zu sehen, die etwa die Luftqualität in Wäldern messen, den Verkehrsfluss auf Straßen erfassen oder den Zustand von Logistiksendungen dokumentieren könnten – und dabei sogar ganz ohne eigene Stromversorgung auskommen sollen. Die für die Datenübertragung erforderliche Energie könnten sie entweder über erneuerbare Energiequellen beziehen oder quasi aus den Mobilfunkwellen in der Luft drahtlos ziehen, erläutert einer der Ericsson-Techniker in Barcelona. 

Auf den Zentimeter genau lokalisieren

Und das ist nur eine von einer ganzen Reihe neuer Funktionen, die mit 6G möglich werden sollen. Eine Weitere, die in Barcelona die Diskussionen bestimmt, ist der Plan, die Funknetze nicht mehr bloß zur Datenübertragung zu verwenden. „Die Netze sollen sozusagen fühlen lernen“, umschreibt Nokia-Mann Uitto und meint damit, dass sie Distanzen und Positionen erfassen sollen. Und zwar weit genauer, als das heute anhand der Funkzellen möglich ist, in die ein Mobilfunknutzer eingebucht ist, oder mithilfe der sogenannten Kreuzpeilung von verschiedenen Antennenstandorten aus, die es etwa erlaubt, den groben Standort von verirrten Wanderern in den Bergen zu lokalisieren.

„Wenn wir mit heutiger Technik versuchen, beispielsweise den Standort von autonomen Transportwagen in vernetzten Fabriken oder von Drohnen für Kameraaufnahmen zu identifizieren, führt das nur zu Unfällen“, sagt Nokia-Manager Uitto. „In Zukunft wollen und wird die Netzwerktechnik in der Lage sein, Positionen zentimetergenau zu identifizieren.“ De facto entwickelten sich heutige Kommunikationsnetze auf diese Weise zu einer Art ortsbezogenem Radar weiter, mit dessen Hilfe etwa auch Lokalisierungsanwendungen innerhalb von Gebäuden möglich werden, dort also, wo Peilung über etablierte Satellitensysteme wie GPS oder Galileo mangels freier Sicht zum Himmel nicht funktionierten.

Theoretisch wäre es sogar möglich, mithilfe der reflektierten elektromagnetischen Wellen die Größe, Form und Bewegungsrichtung von Objekten zu identifizieren. Also etwa festzustellen, ob sich ein Mensch, ein Tier oder ein Fahrzeug innerhalb einer Funkzelle bewegt. Damit könnten künftige Netze beispielsweise erkennen, ob sich an einer schwer einsehbaren Kreuzung Autos, Radfahrer oder Fußgänger aus unterschiedlichen Richtungen nähern und womöglich eine Kollision droht. Die entsprechende Warnung, so eines der in der Branche diskutierten Szenarien, könnte dann das Funknetz selbst automatisch an alle Verkehrsteilnehmer senden – ohne dass dafür noch eine gesonderte Warn-App nötig wäre.

Eine Voraussetzung dafür besteht allerdings darin, dass die Netzausrüster und -betreiber Zugriff auf die für solche Anwendungen nötigen Frequenzen bekommen. Denn für so exakte Peilungen, wie sie Uitto skizziert, ist das heute für den Mobilfunk freigegebene Funkspektrum kaum geeignet. Die für die Übertragung genutzten elektromagnetischen Wellen schwingen mit zu großer Wellenlänge, um bereits jetzt eine exakte Positionierung zu erlauben. So, als versuche man, mit einem Zollstock, auf dem nur Dezimeterstriche angezeichnet sind, Millimeterabstände auszumessen.

Im Herbst beginnt das Hauen und Stechen

Ob (und wenn ja: welches) zusätzliche Spektrum für 6G zur Verfügung steht, ist noch offen. Auf einiger der Frequenzen, auf die Netzausrüster und -betreiber spekulieren, haben auch andere Anwender längst ein Auge geworfen, so etwa Satellitenbetreiber, Hersteller von Wlan-Technik oder auch Militärs oder Energieversorger. Spätestens im Herbst auf der World Radiocommunication Conference in Dubai, auf der die in der UN-Telekommunikationsbehörde ITU versammelten Länder- und Industrievertreter über die Frequenzvergabe beraten, werde das große Feilschen beginnen, sagen Branchenexperten voraus. Voraussichtlich 2027 müsste dann klar sein, wer wann neue 6G-Netze in welchem Funkspektrum betreiben darf.

Dennoch, einen groben Vorgeschmack auf das, was sie 6G-Netzen beibringen wollen, geben die Forscher von Nokia bereits in diesen Tagen in Barcelona. Dort haben sie eine rund 15 Meter lange Videowand aufgebaut, vor der Besucher auf- und abgehen können. An einer Seite, hinter einer Stoffwand verborgen, steht eine Sende- und Empfangsstation, deren Funkstrahlen die Fläche vor der Wand abdecken. Sobald jemand beginnt, dort entlangzugehen, verändert sich die Farbe der Leuchtdioden auf Höhe der Person.

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Noch wandert der Farbbalken in Blöcken von rund einem halben Meter Breite. „Wir nutzen 5G-Funktechnik zur Positionsbestimmung, daher ist die Peilung nicht zentimetergenau“, erläutert eine Nokia-Forscherin die groben Farbsprünge. In Zukunft aber werde die Technik sehr viel exakter arbeiten, versichert sie. „Aber, dass im Grundsatz funktioniert, was wir uns für 6G vorgenommen haben, das können wir hier beweisen.“ Im Kleinen, auf einer Videowand in Halle 3 des Mobile World Congress, hat die Zukunft des Mobilfunks also schon begonnen.

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