Arago-CEO Chris Boos „Es gibt auf der Welt schon genug schlechten Code“

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„Zukunft muss im Kopf aller Menschen zu etwas Wünschenswertem werden“

Sie sitzen im Digitalrat der Bundesregierung. Wie viele Phrasen fallen dort?
Relativ wenige. Das Spannende am Digitalrat ist nämlich, dass dort Leute sitzen, die allesamt keine politische Karriere hinter sich haben oder eine anstreben. Sondern wir machen das freiwillig und weil wir den Eindruck haben, dass wir etwas bewegen müssen. Auf der anderen Seite steht die Politik. Und die weiß, dass wir im Digitalrat auch allesamt wahnsinnig viele andere Dinge zu tun haben. Wenn zu viele Phrasen fallen würden, dann sind wir alle sehr schnell wieder weg. Bisher hat die Politik da ein sehr offenes Ohr. Ich bin erstaunt, wie viel Zeit investiert wird, um sich tatsächlich mit den Themen zu beschäftigen und sich von Grund auf schlau zu machen - bevor die Phrasen überhaupt gedroschen werden können.

Bei welchem Zukunftsthema wäre noch Nachhilfe nötig?
In den Medien kommt häufig die Diskussion über 5G auf. Disruption liegt für mich aber nicht in einem besseren Handyempfang. Klar, den hätte ich auch gerne. Wenn jemand allerdings behauptet, dass wir für diverse Zukunftsthemen diese Bandbreite zwingend brauchen, frage ich immer: „Warst du schon mal in San Francisco, da wo angeblich all die Disruption herkommt? Hast du da mal versucht, mit deinem Handy zu telefonieren?“ Von zehn Anrufen kommen dort acht gar nicht zustande. 

Worüber sollten wir mehr diskutieren?
Es gibt lauter Zukunftskonferenzen, auf denen man immer wieder die gleichen Leute sieht. Doch diejenigen, die gerne zurück in die Vergangenheit wollen, werden dort nicht angesprochen. Wir müssen es schaffen, dass wir mit allen Menschen über die Zukunft diskutieren. Wenn ich den typischen abendlichen Nachrichteninterviews im Fernsehen zuhöre, habe ich den Eindruck, dass Zukunft gar keine Option sei. Zukunft muss im Kopf aller Menschen zu etwas Wünschenswertem werden. Sie kommt ja sowieso auf uns zu. Es ist furchtbar, wenn so viele von uns Angst vor der Zukunft haben.

Wie nehmen Sie den Leuten außerhalb des Digitalrats diese Angst?
Ich investiere aktuell 13 Prozent meiner Zeit in Bildung. Also, um das Thema KI zu erklären, wie das funktioniert und was man damit macht. Aber auch, um deutlich zu machen, dass nicht jeder arbeitslos wird, wenn wir alle Prozesse automatisieren. Denn es ist viel gefährlicher, wenn wir einfach warten und auf dem Feld der KI nichts tun. 

Eines Ihrer Statements, das den Leuten womöglich die Angst nimmt, ist, dass nicht jeder in Zukunft das Programmieren lernen muss. Warum nicht?
Also: Programmierer schreiben Programme. Dann gibt es Algorithmendesigner, Leute wie mich. Wir schreiben nicht nur Programme, sondern unsere Programme müssen auch noch beweisbar sein. Und aus der Sicht eines Algorithmendesigners gibt es auf der Welt schon genug schlechten Code. Dass dann noch mehr Leute schlechten Code produzieren sollen, finde ich schlimm. Denn das ist wahnsinnig sicherheitsrelevant. Programmieren sollte nur Teil einer Philosophie zur Problemlösung sein. Beim Programmieren gibt es dafür zwei große Methoden. Die eine ist „Divide-and-conquer“. Man nimmt ein großes Problem, teilt es in Kleinigkeiten und löst die kleinen Probleme. Die zweite Methode ist Rekursion, also ein Problem mit sich selbst zu lösen, weil man es auf etwas Kleineres anwendet.  

Das klingt immer noch kompliziert.
Mir ist unklar, warum Menschen davor so einen Respekt haben. Alle Algorithmen der Welt lassen sich aus fünf Kommandos zusammensetzen: Tue etwas, tue nichts, entscheide dich, wiederhole etwas und weise etwas zu. Jeder kann das lernen. Eine Grammatik für eine Programmiersprache hat vielleicht zwei Seiten. Das ist keine Magie. Wir müssen uns fragen, ob wir Leuten beibringen, Probleme zu lösen. Ja, Programmieren ist eine Art Probleme zu lösen und algorithmisches Denken ist auch noch eine gute Art. Aber wenn man das macht, sollte man auch Dialektik lernen oder das gemeinsame Lösen von Problemen. Programmieren allein kann nicht die Lösung sein.

Gibt es in Deutschland genug kluge Leute, die etwas von KI verstehen, rausgehen und die Leute über Chancen der KI aufklären?
Das Problem ist, dass unter diesen klugen Köpfen viele introvertierte Menschen sind. Wenn man nicht rechtzeitig gelernt hat, dass es egal ist, wenn man sich mal auf einer Bühne blamiert, dann geht man auch nicht auf die Bühne. Außerdem treffen die Leute, die sich auskennen und von den Chancen der KI überzeugt sind, oft nur auf ihresgleichen. Es wäre viel wichtiger, deutlich breiter zu diskutieren.

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