Bargeldlose Gesellschaft Das Ende vom Geld, wie wir es kennen

Seit langem ist die bargeldlose Gesellschaft ein Gesprächsthema. 2013 werden wichtige Grundlagen gelegt, angetrieben von neuen Technologien und Unternehmen. Wie sich unsere Auffassung vom Geld ändert.

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Seit vielen Jahren besitzt die Vision einer bargeldfreien Gesellschaft eine gewisse Präsenz in den Debatten progressiver Kreise. Bislang war die Wirtschaft von einer Verwirklichung eines solchen Zustands aber meilenweit entfernt. Das Jahr 2013 jedoch könnte im Nachhinein als tatsächlicher Anfang vom Ende von Geldscheinen und Münzen in die Geschichtsbücher eingehen. Denn momentan kommt massive Bewegung in den Markt, angetrieben von neuen Technologien sowie Unternehmen, die Stück für Stück am Fundament des Bargelds sägen.

Dass unsere Sicht auf Geld derzeit einen Paradigmenwechsel erlebt und dabei zunehmend eine Abkehr vom psychologisch motivierten Festhalten an physischen Zahlungsmittelträgern wie Bargeld oder Kreditkarte erfolgt, zeigt sich ganz hervorragend, setzt man sich etwas näher mit der Idee des US-Startups Coin auseinander.

Coin und die Vergänglichkeit der Karte

Die gerade in der Produktion befindliche intelligente Geldkarte vereint verschiedene Kredit- und Debitkarten in einem Plastikkärtchen und befreit Besitzer von der Notwendigkeit, alle ihre Karten stets bei sich tragen zu müssen. Das Medienecho auf die Präsentation von Coin war gigantisch. Innerhalb von 40 Minuten hatten fast 5.000 Nutzer das aufgrund seiner fehlenden Unterstützung von EMV-Chips für Europa vorläufig ungeeignete “Gadget” bestellt und im Voraus bezahlt.

Egal ob man Coin als praktischen Helfer oder als Scheininnovation mit denkbar kurzem Produktlebenszyklus ansieht, so verdeutlicht die Funktionsweise die Signifikanz der derzeitigen Entwicklung im Gesamtprozess der monetären Revolution: Um Coin mit den Informationen der persönlichen Kredit- und Debitkarten zu versehen, muss man deren Magnetstreifen durch einen über den Kopfhörerausgang an ein Smartphone angeschlossenen Cardreader ziehen. Anschließend wird Coin durch den selben Leseaufsatz gezogen, woraufhin die zuvor in der Smartphone-App gesammelten Kartendaten auf das kleine Gadget strömen, das nun in Karten akzeptierenden Geschäften einsatzbereit ist. Im Klartext: Nutzer digitalisieren Zahlungsinformationen ihrer Karten auf einem Smartphone, um sie anschließend zurück auf eine Karte zu übertragen, die daraufhin am Point of Sale durch stationäre oder abermals an mobile Geräte angeschlossene Zahlungsterminals gezogen werden, um eine elektronische Zahlung zu veranlassen. Wenn man auf diese Weise bequem acht Karten zu einer machen kann, wer zweifelt dann noch daran, dass diese eine Karte demnächst endgültig in das Handy zieht? Übrigens: Dieses erhält von Coin via Bluetooth einen Alarmhinweis, sofern man das smarte Kärtchen irgendwo liegen gelassen hat.

Unfreiwillige Absurdität

Die Deutlichkeit, mit der die Macher von Coin (wahrscheinlich) unfreiwillig die Absurdität von physischen Zahlungsmittelträgern in einem Zeitalter unterstreichen, in dem jeder Mensch einen persönlichen Supercomputer mit sich herumführt, verblüfft. Der Durchbruch des mobilen Bezahlens ist aufgrund der Fragmentierung auf Anbieterseite und einer gewissen, bei radikal veränderte Verhaltensmuster nach sich ziehenden Neuerungen typischen Zurückhaltung in der Bevölkerung zwar bislang ausgeblieben. Ironischerweise liefert nun aber ein Startup, bei dem sich alles um die Beibehaltung der physischen Karte dreht, das beste Argument für deren Vergänglichkeit.

Die Auffassung von Geld ändert sich

Das Smartphone als Einkaufsbegleiter
Wo das Smartphone beim Einkauf zum Einsatz kommtVirtueller SupermarktDie Schweizer Handelskette Coop betreibt in Zürich den ersten virtuellen Supermarkt. Passanten können im Vorbeigehen auf der bunten Plakatwand das gewünschte Produkt via Smartphone einscannen und bezahlen, und erhalten den Einkauf wenige Stunden später nach Hause geliefert. Quelle: Pressebild
Produkt-ScannerDas Berliner Startup Barcoo hat eine gleichnamige App veröffentlicht, die dem Benutzer, neben den gängigen Packungsangaben, zusätzliche Informationen zu Produkten liefert. Scannt der Benutzen den Barcode eines Artikels ein, gibt die App Auskunft über Testberichte, CO²-Bilanzen, Allergenen sowie Herkunft der Inhaltsstoffe, und findet dank Preisvergleich zudem den günstigsten Anbieter. Quelle: Pressebild
Drive-in-EinkaufIn einem Real-Markt in Köln-Porz entfällt künftig auch das Schleppen der Einkäufe. Die gewünschten Produkte werden per Smartphone eingescannt, anschließend wird der Einkauf bequem an einem Drive-In-Schalter bezahlt. Supermarkt-Helfer bringen daraufhin den Einkauf bis ans Auto. Quelle: Pressebild
Mobile BestellungBei der US-Imbisskette The Melt entfällt künftig das Warten an der Theke. Per App lässt sich das gewünschte Mittagessen vorbestellen und bezahlen, der Kunde braucht es anschließend nur noch im Lokal abzuholen.
Virtueller KleidertauschMit der App der Modekette Debenhams kann man sich den Gang in die Umkleidekabine sparen. Das Sortiment des Geschäfts lässt sich bequem auf dem Smartphone oder Tablet durchstöbern - und sogar anprobieren. Quelle: Pressebild
Der AufbauhelferKünftig hilft das Smartphone auch bei der Montage von Möbeln. Wirft die handelsübliche Bauanleitung eines Möbelstücks mehr Fragen auf , als sie klärt, reicht ein kurzes Berühren des Papiers mit dem Handy, und ein Montagevideo wird abgespielt. Quelle: Pressebild

Coin ist eines von mehreren Indizien, die mich zu dem Schluss bringen, dass 2013 als ein ganz wichtiges Jahr für die Transformation des Geldes gesehen werden muss. Eine besondere Triebkraft hierbei stellt natürlich die Kryptowährung Bitcoin dar, die sich nach einiger Zeit im virtuellen Untergrund nun zweifellos dem Mainstream annähert. Behördliche Prüfverfahren, ein boomendes Ökosystem, mit dem digitalen Geld liebäugelnde Handelskonzerne wie eBay und tausende Onlineshops, bei denen mit Bitcoin bezahlt werden kann, lassen wenig Zweifel an der Tragweite der Entwicklung. Inwieweit Bitcoin selbst für alle Ewigkeit überleben wird, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass die Währung den Weg für vollständig elektronisches Geld ebnet und den Teilnehmern am internationalen Finanzverkehr, Händlern und Konsumenten einen reichen Fundus an Erfahrungen und Problemlösungsansätzen beschert, die ungeachtet von Bitcoins eigener Zukunft als solide Basis für alle künftigen Internetwährungen dienen.

Geld und seine Funktionen

Millionen Menschen werden durch Bitcoin erstmals dazu gezwungen, sich über die Funktionen und Formen von Geld Gedanken zu machen. Bitcoin bringt sie zu der Erkenntnis, dass mit der Abkehr von Scheinen und Münzen viele alte Strukturen und Verhaltensweisen im Bezug auf die Handhabung, Verwaltung und Nutzung von Geld ebenfalls hinterfragt werden können. Bitcoins Verdienst ist damit in erster Linie, dass es unseren Horizont und unser Verständnis für das flexible Konstrukt hinter dem starren Geldbegriff abermals erweitert – so wie es auch der Fall war, als Kurantgeld wie Goldmünzen gegen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts zugunsten des bis heute verbreiteten Fiatgelds abgelöst wurden.

Weitreichender Wandlungsprozess

Im Jahr 2013 lösen Hochleistungsrechner kryptische Aufgaben, um virtuelles Geld zu erstellen. Menschen komprimieren einen Stapel an Kreditkarten in ein kleines kartenähnliches Gadget, wie bei Coin. Oder sie schicken Geld per E-Mail mittels Square Cash. Hohe Transaktionsgebühren bei internationalen Geldtransfers verschwinden dank Peer-to-Peer-Überweisungen von Transferwise. Startups wie der US-Dienst Simple oder der deutsche Anbieter Avuba schreiben sich auf die Fahnen, Banking im Onlinezeitalter neu zu definieren. Ein anderes Jungunternehmen aus Deutschland, Papayer, möchte Teenager mit einer Symbiose aus Prepaid-Kreditkarte und mobiler Smartphone-App an einen verantwortungsvollen Umgang mit elektronischem Geld heranführen… - Der gesamte Finanz- und Geldsektor befindet sich in einem weitreichenden Wandlungsprozess, der einer übergeordneten Prämisse folgt: der Abkehr vom Bargeld und der Schaffung neuer Verfahren und Nutzungskonzepte für den Einsatz elektronischen Geldes – sei es auf Basis befindlicher oder gänzlich neuer Währungen.

Sicherheit ist ein Hindernis

Was mit Blick auf das Voranschreiten dieses Trends nicht unter den Tisch fallen darf, sind die zwei entscheidenden Nachteile von elektronischem Geld: die Schwierigkeit, eine größtmögliche Sicherheit zu garantieren, sowie der Wegfall der Anonymität beim Bezahlen. Während man im Bezug auf Sicherheitsfragen schlicht darauf hoffen muss, dass alle Ausprägungen, die elektronisches Geld in den nächsten Dekaden annehmen wird, adäquaten Schutz vor Missbrauch und Diebstahl bieten – was im Übrigen auch für Bargeld nicht garantiert werden kann – mausert sich die drohende Komplettüberwachung von Käufen und Zahlungsabläufen im Lichte der Enthüllungen von Edward Snowden zum größten Hindernis auf der Reise zu einer bargeldlosen Gesellschaft. Gerade hier sehen die Anhänger von Bitcoin einen maßgeblichen Vorteil ihrer geliebten Währung: Sie erlaubt einen Anonymitätsgrad, mit der elektronische Transaktionen staatlich regulierter Währungen nicht mithalten können. Genau genommen bieten diese gar keine Anonymität: Bei jeder Art von Bezahlprozess, bei der klassische Währungen zum Einsatz kommen und der nicht in bar abläuft, müssen die involvierten Parteien prinzipiell damit rechnen, dass ihre Transaktion im Nachhinein von Behörden eingesehen und verfolgt werden kann.

Zum Barzahlen in den Wald gehen

An Bargeld festzuhalten, um sich Überwachern zu entziehen, erscheint als Strategie auf lange Sicht allerdings genauso unpraktisch, wie zum Reden in den Wald zu gehen. Deutlich erstrebenswerter wären verbindliche Abkommen, die den Zugriff von Ermittlungsbehörden und Regierungen auf Zahlungsvorgänge streng reglementieren und systematisches Ausspionieren untersagen. In der aktuellen Situation klingt dies natürlich utopisch, weil selbst bei einem Zustandekommen einer solchen Vereinbarung kein aufgeklärter Bürger der Einhaltung selbiger trauen würde. Dennoch ist dies die einzige wirkliche Hoffnung, da jede die Anonymität ihrer Nutzer wahrende virtuelle Währung ab einem bestimmten gesellschaftlichen Akzeptanzgrad einer staatlichen Regulierung mit eingebauten Transparenzzwängen unterworfen werden dürfte.

Ich befürchte, dass mit der Abkehr vom Bargeld ein gewisser Verlust von Autonomie im Zahlungsverkehr unumgänglich ist, glaube aber auch, dass es analog zu Verschlüsselungsmechanismen bei der digitalen Kommunikation immer fortgeschrittene Verfahren geben wird, die einen vor Dritten weitgehend verborgenen Transfer von virtuellem Geld erlauben. Die breite Masse wird davon freilich nicht profitieren und somit nochmals ein stückweit gläserner.

Trotzdem überwiegen in meinen Augen die Vorteile der Abschaffung von Bargeld. Nicht zuletzt schon aus hygienischen Gesichtspunkten. Jüngst war ich dazu gezwungen, mit einem größeren Geldbetrag in US-Dollar zu hantieren. Als ich die abgegriffenen Scheine betrachtete und darüber nachdachte, wo Leute ihre Hände hatten, bevor sie mit diesen Scheinen Geschäfte machten, konnte ich ein leichtes Ekelgefühl nicht verhindern. Wenn sonst nichts für elektronisches Geld spreche, dann wäre allein der hygienische Aspekt Grund genug für mich, um um Bargeld einen großen Bogen zu machen.

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