
Wirtschaftswoche: Herr Carr, Computer und Algorithmen übernehmen immer mehr Aufgaben für uns. Werden wir zu den Sklaven unserer Smartphones?
Nicholas Carr: Wir verlassen uns in vielen Situationen in unserem täglichen Leben zu stark auf Computer. Das zeigt sich besonders deutlich, seitdem wir alle einen Computer in unserer Hosentasche griffbereit mit uns herumschleppen. Wir schätzen den Komfort, die Effizienz und den Zeitvorsprung, den uns neue Technologien zweifellos ermöglichen. Aber wir übersehen dabei oft, was alles auf der Strecke bleibt. Wir lassen den Computer immer mehr Dinge erledigen - bemerken dabei aber nicht, dass wir glücklicher waren, als wir diese Dinge noch selbst gemacht haben.
Zur Person
Nicholas Carr ist ein US-amerikanischer Wirtschaftsjournalist und Bestseller-Autor. Er schreibt für das "New York Times Magazine" und das "Wall Street Journal" über die gesellschaftlichen Auswirkungen, die mit digitalen Technologien einhergehen. Sein Buch "Wer bin ich, wenn ich online bin" wurde in 23 Sprachen übersetzt. Im September 2014 erschien sein jüngstes Werk: Abgehängt. Wo bleibt der Mensch, wenn Computer entscheiden. 19,90 Euro. ISBN 978-3-446-44032-6. Carl Hanser Verlag, München.
Zum Beispiel?
Wenn Sie jahrelang ein Auto mit Gangschaltung gefahren sind und dann auf Automatik wechseln, fühlen Sie sich zunächst total befreit. Ihr linker Fuß muss nicht mehr kuppeln, Ihre rechte Hand klebt nicht mehr ständig am Schaltknüppel. Doch nach einiger Zeit schlägt die Freude, weniger zu tun zu haben, in ein anderes Gefühl um: in Langeweile. Die Koordination von Hand und Fuß mit Gas, Bremse, Kupplung und Schaltknüppel beansprucht uns in genau dem richtigen Ausmaß. Sie überfordert uns nicht, aber sie unterfordert uns auch nicht. Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi hat herausgefunden, dass wir nach kaum einer Tätigkeit so dankbar und glücklich sind wie nach dem Autofahren.
Ich bin sehr froh, dass es Leute gibt, die an Autos arbeiten, die ohne menschliche Hilfe fahren können. Aber ich glaube nicht, dass es im menschlichen Leben ausschließlich um Sicherheit geht. Die meisten von uns sind lieber Fahrer als Passagier. Noch dazu sind wir weit davon entfernt, dass autonome Fahrzeuge in allen denkbaren Situationen reibungslos funktionieren. Für eine lange Zeit werden wir weiterhin Menschen in den Fahrprozess einbinden müssen – zumindest als Rückversicherung, um zur Not eingreifen zu können. Wir müssen wachsam bleiben und versuchen mit unserer Aufmerksamkeit nicht zu sehr abzuschweifen, sonst versagen wir, wenn wir wirklich gebraucht werden – wenn die Maschine plötzlich ausfällt.





Wiegen uns Computer in ein falsches Gefühl von Sicherheit?
Ja, in unserem Streben nach Sicherheit und Effizienz gehen wir womöglich zu weit. Die US-amerikanische Luftfahrtbehörde FAA hat vergangenes Jahr einen Report veröffentlicht, der nahelegt, dass unsere Piloten nicht mehr genug Erfahrung im manuellen Fliegen haben. Sie verlassen sich so sehr auf die Computer und Bordinstrumente, dass sie ihre eigenen Flugfähigkeiten und Instinkte verlieren. Wenn wir die Verantwortung für das Flugzeug und die Passagiere wieder stärker auf die Piloten anstatt auf die Computer verlagern, würden wir vielleicht sicherer fliegen, als dies jetzt der Fall ist.
Heute gibt es weit weniger Flugzeugabstürze als noch vor 15 oder 20 Jahren. Technologische Errungenschaften haben dazu doch wesentlich beigetragen.
Absolut. Die Automatisierung in der Luftfahrt ist eine Erfolgsgeschichte. Aber im Laufe der vergangenen 100 Jahre Fluggeschichte haben wir die Arbeit Stück für Stück vom Mensch zur Maschine verlagert. Und heute sehen wir, dass wir vielleicht einen Schritt zu weit gegangen sind. Selbst wenn Automation prinzipiell begrüßenswert ist, heißt das ja nicht gleich, dass jede weitere Automatisierung auch hilfreich ist. Ab einem bestimmten Punkt ziehen wir die menschliche Expertise zu stark zurück und machen die Dinge dadurch unsicherer als zuvor.