Bestseller-Autor Nicholas Carr "Computer verschärfen die soziale Ungleichheit"

Seite 3/4

"Maschinen ersetzen weit mehr als simple Fließbandarbeiten"

Bleiben wir bei dem Thema Kosten. Die Geschichte lehrt uns, dass Computer und Maschinen bestimmte Jobs hinfällig werden lassen. Das Marktforschungsunternehmen Gartner prognostizierte jüngst, das bis 2025 jeder dritte Job durch Roboter oder Drohnen ersetzt wird. Sehen Sie das ähnlich düster?

Ich glaube nicht, dass die Annahme realistisch ist, dass Roboter und Computer bis 2025 fähig sein werden, alles für uns zu tun. Maschinen unterliegen noch immer großen Limitierungen. Ihnen fehlen Kreativität, kritisches Denken, der gesunde Menschenverstand und die Fähigkeit, die Welt in allen Zusammenhängen zu verstehen. Das können nur wir Menschen. Und diese Hürden werden Computer in der vorhersehbaren Zukunft nicht überbrücken.

Trotzdem verändern Computer und Algorithmen unsere Arbeitswelt.

Absolut. Interessant dabei ist, dass Computer nicht mehr nur die körperlich anstrengenden Jobs ersetzen, sondern auch Tätigkeiten erledigen, die bisher von gut ausgebildeten Wissensarbeitern durchgeführt wurden. Maschinen ersetzen mittlerweile weit mehr als die simplen Fließbandarbeiten. Das sehen wir etwa bei Anwälten und Richtern. Durch spezielle Textanalyseprogramme können Computer Tausende Dokumente scannen und Dossiers für Rechtsfälle erstellen. Früher musste man dafür viele talentierte Leute rekrutieren, die stapelweise Dokumente durchleuchteten und nach Zusammenhängen für den jeweiligen Einzelfall suchten. Die Tendenz ist klar: Immer mehr gut bezahlte Mittelklasse-Jobs werden automatisiert. Und auf der anderen Seite sehen wir nicht, dass Computer die Arbeitsplatzverluste ausgleichen können. Computer haben bis jetzt noch keine großen Kategorien von neuen, gut bezahlten Jobs geschaffen.

Verschärft die Automatisierung und Mechanisierung unserer Arbeitswelt die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft?

Ja. Ich glaube, dass ist einer der Gründe, warum wir zumindest in den USA mit Einkommensungleichheiten und immer stärkeren Vermögensunterschieden kämpfen. Die neuen Technologien erlauben es, den Profit in den Händen von ein paar Leuten zu konzentrieren. In der Vergangenheit hat die Industrialisierung und Mechanisierung der Arbeit zu steigender Produktivität geführt. Und die Unternehmen waren sehr gut darin, sicherzustellen, dass die steigende Produktivität auch großen Teilen der Gesellschaft zugute kam. Die zusätzlichen Profite wurden unter vielen Arbeitern aufgeteilt. Es entstand breiter Wohlstand. Wenn wir uns dagegen heute das System ansehen, das Konzerne wie Google kreiert haben, dann sehen wir auf einmal ein viel stärkeres Gefälle. Offensichtlich verschärfen Computer und Automatisierung die soziale Ungleichheit. Denn die Produktivitätsgewinne werden nicht mehr unter einer Vielzahl von Mittelklassearbeitern aufgeteilt. Es ist paradox: Obwohl das Bruttoinlandsprodukt steigt, profitieren immer weniger Menschen davon. Und Computer sind ein Grund für diese Entwicklung.

Sind die Nachteile von Automatisierungsprozessen größer als die Vorteile?

Ich habe ich keine Ahnung, wie man das berechnen sollte. Insofern beschäftige ich mich mit dieser Fragestellung nicht. Die Diskussion über Automatisierung wird dort spannend, wo wir ins Detail gehen. Grobe Pseudo-Kalkulationen machen hingegen wenig Sinn.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%