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BiotechnologieEssen aus Luft! Kann diese Idee alle Probleme der Landwirtschaft lösen?

Luft, Sonnenlicht und winzige Organismen: Damit erzeugen Gründer jetzt Lebensmittel – und wollen den Kollaps der Welternährung verhindern. Selbst Microsoft-Gründer Bill Gates unterstützt die Visionäre.Andreas Menn 10.10.2020 - 15:17 Uhr

Die Einzeller, mit denen das Start-up Solar Foods arbeitet, erzeugen ein Pulver aus Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten und Mineralien, aus dem sich Nahrungsmittel für den Supermarkt erzeugen lassen von denen sich Menschen ernähren können.

Foto: Solar Foods

Wenn Pasi Vainikka eine Weide mit Kühen sieht, muss er immer wieder daran denken, wie ineffizient das alles noch ist – wie umständlich der Weg vom Sonnenlicht über das Gras und die Kuh bis zum Steak.

Vainikka will diesen Weg radikal abkürzen. Die Farm der Zukunft, an der der Finne arbeitet, sieht radikal anders aus: Solarzellen ersetzen das Grasland, Stahltanks ersetzen Schlachthöfe. Um Fleisch herzustellen, glaubt er, brauchen wir künftig nur Solarstrom – und Luft.

Möglich machen sollen das winzige Mikroben. Die Einzeller, mit denen Vainikka in seinem Start-up Solar Foods arbeitet, erzeugen in den Stahltanks ein Pulver aus Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten und Mineralien, aus dem sich Nahrungsmittel für den Supermarkt erzeugen lassen von denen sich Menschen ernähren können. Um zu wachsen und sich zu vermehren, brauchen sie nur CO2 und Wasserstoff. Das CO2 holt Solar Foods mit speziellen Maschinen aus der Luft; den Wasserstoff kann er in Elektrolyseanlagen erzeugen, die mit Solarstrom funktionieren.

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„Wir verwanden billige Energie in Kalorien“, fasste es Vainikka kürzlich auf der digitalen Biotech-Konferenz SynBioBeta zusammen. Damit, ist er überzeugt, könne die Menschheit bald Tiere aus der Nahrungsmittelproduktion ausklinken. Und so alle Probleme lösen, die mit der heutigen Landwirtschaft verbunden sind: brennende Regenwälder, Klimagase aus Kuhmägen, Missernten durch Dürren, mit Nitrat verseuchtes Wasser. Allein die Viehzucht sorgt für 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgase.

Essen aus der Luft zaubern: Die neue Welt der Nahrungsmittel, die der Finne da heraufbeschwört, hat etwas von Magie.

Aber was gerade nicht nur in Finnland, sondern in Laboren, Fabriken und Supermärkten weltweit gerade passiert, ist weit mehr als ein Zaubertrick – nämlich vielleicht die größte Umwälzung seit Erfindung der Landwirtschaft: Die Menschheit steht davor, ihre Nahrungskette grundlegend neu zu schmieden. Proteine, die Bausteine unseres Stoffwechsels, züchten wir nicht mehr in der Farm – sondern der Fabrik.

Mondarella
Einen Mozzarella aus Mandeln und anderen natürlichen pflanzlichen Zutaten hat das Berliner Start-up al-mond Dairy entwickelt. Seit Mitte Juni finden Kunden ihn in tausenden Lidl- und Kaufland-Filialen.

Foto: PR

Impossible Foods
Das Start-up Impossible Foods aus Kalifornien hat 1,2 Milliarden Dollar Wagniskapital eingesammelt und ist mit seinen Burgern schon in tausenden Restaurants und Fast-Food-Filialen vertreten, etwa bei Burger King. Mit einer pflanzenbasierten Wurst der Kalifornier werden schon Pizzen der Kette Little Caesars belegt. Bis 2035 will das Unternehmen sämtliche tierischen Fleischprodukte ersetzen.

Foto: PR

Redefine Meat
Steak aus dem Drucker: Das israelische Start-up Redefine Meat druckt Fleisch Schicht für Schicht aus pflanzlichen Zutaten zusammen. In ausgewählten Restaurants soll es im Herbst zum Test serviert werden, nächstes Jahr dann auf den Markt kommen.

Foto: PR

Just
Das US-Start-up Just entwickelt Chicken Nuggets und Hähnchenfilets aus tierischen Zellen, die in Bioreaktoren heranwachsen. Für den Marktstart benötigen die Kalifornier noch die Freigabe der Regierungsbehörden. Mit seinem pflanzlichen Ei-Ersatz, den es schon in US-Supermärkten gibt, hat das Start-up nach eigenen Angaben bisher 40 Millionen Eier von Hühnern ersetzt.

Foto: PR

Mosa Meat
Einen Burger aus kultiviertem Fleisch entwickeln die Gründer von Mosa Meat. Die tierischen Zellen wachsen in einem Nährmedium, die Technik soll sauberer und umweltfreundlicher sein als die Tierzucht. Die Niederländer machten 2013 Furore, als sie den ersten kultivierten Burger präsentierten. Bis zum Marktstart muss die Technologie aber noch für die Massenfertigung ausgebaut werden.

Foto: PR

Avant Meats
Fisch aus Zellkulturen ist das Ziel der Gründer von Avant Meats in Hongkong. Als erstes wagen sie sich an den Nachbau von Fischblasen, die in der chinesischen Küche beliebt sind.

Foto: PR

New Age Meats

Würstchen aus kultivierten Schweinefleischzellen wollen die Gründer von New Age Meats auf den Markt bringen. Durch eine automatisierte Produktion sollen die Preise möglichst schnell sinken. Tester durften schon einmal probieren - und waren angeblich sehr zufrieden.

Foto: PR

Wild Type
Lachs aus Zellkulturen entwickeln die Forscher von Wild Type aus den USA - etwa als Zutat für Sushi-Rollen. Wann der Fisch auf den Markt kommen soll, ist noch offen.

Foto: PR

Atlast Food
Sieht aus wie Bacon - ist aber aus Pilzen: Binnen weniger Tage lassen die Lebensmitteltechniker von Atlast Food Pilzfasern in vertikalen Farmen heranwachsen, die ein ähnliches Mundgefühl wie echter Speck erzeugen sollen. Nur wenige weitere Zutaten sollen reichen, um Geschmack und Farbe ähnlich wie beim Originalprodukt zu erzeugen. Noch dieses Jahr könnte eine Produktion in kleinem Maßstab beginnen.

Foto: PR

Swarm Protein
Energieriegel aus Insekten verkaufen die Gründer von Swarm in Köln. Sie sollen viele Proteine enthalten - und nur ein Prozent der Treibhausgase verursachen, die die gleiche Menge Kalorien aus Rindfleisch verursachen. Zu kaufen gibt es sie unter anderem bei Rewe und Edeka.

Foto: PR

Blue Nalu
Fischfilets ohne Fisch sind das Ziel von Blue Nalu. Das Start-ups will aus Zellen Seafood wachsen lassen - besonders von Arten, die sich schwer in Fischfarmen züchten lassen. Noch müssen die Gründer ihre Technologie verfeinern.

Foto: PR

Davon ist auch Mark Kozubal überzeugt. Ursprünglich wollte der Mikrobiologe helfen, Leben auf anderen Planeten zu finden. Für die Raumfahrtbehörde Nasa streifte der Forscher durch den Yosemite-Nationalpark, nahm Proben an den heißen geothermalen Quellen, um herauszufinden, wie Leben auch in extremer Umwelt bestehen kann. Und stieß auf Fusarium flavolapis.

Der Einzeller, ein winziger Pilz ähnlich wie Hefe, für Menschen nur unter dem Mikroskop zu erkennen, erwies sich als erstaunliches Geschöpf. Nicht nur, dass der Winzling in kochendem Wasser überleben kann. Er enthält auch Eiweiße, von denen sich Menschen ernähren können.

Die Entdeckung brachte auf Kozubal und Kollegen auf eine ganz neue Idee. Statt Leben auf anderen Planeten zu finden, wollen die Forscher nun Leben auf der Erde retten. Fusarium flavolapis, die Mikrobe aus den Vulkanquellen, soll die Probleme überwinden, die die Landwirtschaft und den Planeten gerade an den Rande des Kollaps bringen.

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Dazu wollen Kozubal und seine Mitgründer des Start-ups Nature’s Fynd in Chicago die Yellowstone-Mikrobe in eine Proteinquelle verwandeln. Sie bringen ihr bei, in großen Stahltanks heranzuwachsen zu lassen. Ähnlich wie in Brauereien, wo Hefepilze Stärke in Bier umwandeln. Nur dass die Pilze diesmal selbst zum Nahrungsmittel werden.

Ist die Pilz-Proteinmasse erst einmal getrocknet, verarbeiten die Lebensmittelingenieure sie weiter. „Unser Protein kann in alternatives Fleisch verwandelt werden, etwa Burger-Patties oder Hühnchen“, sagt Karuna Rawal, Marketingchefin bei Nature’s Fynd. Auch Yogurt und Käse lasse sich herstellen. Die nötigen Verfahrensschritte, um etwa die Form und Textur der Lebensmittel herzustellen, sind in der Lebensmittelproduktion schon lange bekannt. Für den passenden Geschmack sorgen die Proteine selbst und weitere Zutaten, die sich auch biotechnologisch erzeugen lassen. Anders als bei Solar Foods brauchen die Einzeller von Nature’s Fynd Stärke oder Zucker, um heranzuwachsen. Dennoch glauben die Gründer, dass sie, um die gleiche Menge Kalorien zu erzeugen wie heutige Rinderfarmen, 99 Prozent weniger Land benötigen, 99 Prozent weniger Treibhausgase verursachen – und 87 Prozent weniger Wasser benötigen.

Die Idee hat namhafte Unterstützer gefunden: Zu den Investoren von Nature’s Fynd zählen Ex-US-Vizepräsident Al Gore und Microsoft-Gründer Bill Gates. 113 Millionen Dollar haben die Gründer aus Chicago zur Verfügung, um ihre Idee zu verwirklichen. „Wir wollen Ende des Jahres einen ersten Testlauf am Markt machen“, sagt Marketingchefin Rawal. Für Sommer oder Herbst 2021 sei ein größerer Produktstart geplant, Gespräche mit Lebensmittelhändlern liefen schon.


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Noch sei die Technologie jung, heißt es in einem Bericht der Good Food Instituts (GFI), einem US-Think-Tank, die die Entwicklung neuartiger Lebensmittel unterstützt. Die Gründer müssen zeigen, dass sie die Produktion in großem Stil beherrschen, wettbewerbsfähige Kosten erreichen – und dass ihre Lebensmittel von Verbrauchern geschätzt werden. Immerhin sind laut dem GFI-Bericht allein in der ersten Jahreshälfte 435 Millionen Dollar in Mikroben-Nahrungsmittel-Gründungen geflossen - so viel Geld wie nie.

68 Start-ups arbeiten an Lebensmitteln aus dem Mikroben-Tank. Gelänge ihnen der Durchbruch, hätte das erstaunliche Folgen für die weltweite Nahrungsmittelproduktion. Lisa Dyson, Gründerin des Start-ups Air protein, rechnet mit einem massiven Effizienzsprung: „Auf der Fläche von Disney World“ – was knapp dem Stadtgebiet Bonns entspricht, „erzeugen wir so viele Proteine wie eine Sojafarm von der Größe Texas.“ Bakterien und Pilze in Tanks sind nicht abhängig vom Wetter oder Jahreszeiten – sie können tagein, tagaus in gewünschten Mengen Proteine produzieren.

„Was wir essen, wie wir es herstellen, wird sich in den nächsten Jahrzehnten radikal verändern“, glaubt Nature’s-Fynd-Marketingchefin Rawal. Zehntausend Jahre lang hat der Mensch große Lebewesen domestiziert, hat Kühe und Schweine gezüchtet. Jetzt, glauben manche, beginne die Zähmung der Mikroben.

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