Wenn Pasi Vainikka eine Weide mit Kühen sieht, muss er immer wieder daran denken, wie ineffizient das alles noch ist – wie umständlich der Weg vom Sonnenlicht über das Gras und die Kuh bis zum Steak.
Vainikka will diesen Weg radikal abkürzen. Die Farm der Zukunft, an der der Finne arbeitet, sieht radikal anders aus: Solarzellen ersetzen das Grasland, Stahltanks ersetzen Schlachthöfe. Um Fleisch herzustellen, glaubt er, brauchen wir künftig nur Solarstrom – und Luft.
Möglich machen sollen das winzige Mikroben. Die Einzeller, mit denen Vainikka in seinem Start-up Solar Foods arbeitet, erzeugen in den Stahltanks ein Pulver aus Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten und Mineralien, aus dem sich Nahrungsmittel für den Supermarkt erzeugen lassen von denen sich Menschen ernähren können. Um zu wachsen und sich zu vermehren, brauchen sie nur CO2 und Wasserstoff. Das CO2 holt Solar Foods mit speziellen Maschinen aus der Luft; den Wasserstoff kann er in Elektrolyseanlagen erzeugen, die mit Solarstrom funktionieren.
„Wir verwanden billige Energie in Kalorien“, fasste es Vainikka kürzlich auf der digitalen Biotech-Konferenz SynBioBeta zusammen. Damit, ist er überzeugt, könne die Menschheit bald Tiere aus der Nahrungsmittelproduktion ausklinken. Und so alle Probleme lösen, die mit der heutigen Landwirtschaft verbunden sind: brennende Regenwälder, Klimagase aus Kuhmägen, Missernten durch Dürren, mit Nitrat verseuchtes Wasser. Allein die Viehzucht sorgt für 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgase.
Essen aus der Luft zaubern: Die neue Welt der Nahrungsmittel, die der Finne da heraufbeschwört, hat etwas von Magie.
Aber was gerade nicht nur in Finnland, sondern in Laboren, Fabriken und Supermärkten weltweit gerade passiert, ist weit mehr als ein Zaubertrick – nämlich vielleicht die größte Umwälzung seit Erfindung der Landwirtschaft: Die Menschheit steht davor, ihre Nahrungskette grundlegend neu zu schmieden. Proteine, die Bausteine unseres Stoffwechsels, züchten wir nicht mehr in der Farm – sondern der Fabrik.





Davon ist auch Mark Kozubal überzeugt. Ursprünglich wollte der Mikrobiologe helfen, Leben auf anderen Planeten zu finden. Für die Raumfahrtbehörde Nasa streifte der Forscher durch den Yosemite-Nationalpark, nahm Proben an den heißen geothermalen Quellen, um herauszufinden, wie Leben auch in extremer Umwelt bestehen kann. Und stieß auf Fusarium flavolapis.
Der Einzeller, ein winziger Pilz ähnlich wie Hefe, für Menschen nur unter dem Mikroskop zu erkennen, erwies sich als erstaunliches Geschöpf. Nicht nur, dass der Winzling in kochendem Wasser überleben kann. Er enthält auch Eiweiße, von denen sich Menschen ernähren können.
Die Entdeckung brachte auf Kozubal und Kollegen auf eine ganz neue Idee. Statt Leben auf anderen Planeten zu finden, wollen die Forscher nun Leben auf der Erde retten. Fusarium flavolapis, die Mikrobe aus den Vulkanquellen, soll die Probleme überwinden, die die Landwirtschaft und den Planeten gerade an den Rande des Kollaps bringen.
Dazu wollen Kozubal und seine Mitgründer des Start-ups Nature’s Fynd in Chicago die Yellowstone-Mikrobe in eine Proteinquelle verwandeln. Sie bringen ihr bei, in großen Stahltanks heranzuwachsen zu lassen. Ähnlich wie in Brauereien, wo Hefepilze Stärke in Bier umwandeln. Nur dass die Pilze diesmal selbst zum Nahrungsmittel werden.
Ist die Pilz-Proteinmasse erst einmal getrocknet, verarbeiten die Lebensmittelingenieure sie weiter. „Unser Protein kann in alternatives Fleisch verwandelt werden, etwa Burger-Patties oder Hühnchen“, sagt Karuna Rawal, Marketingchefin bei Nature’s Fynd. Auch Yogurt und Käse lasse sich herstellen. Die nötigen Verfahrensschritte, um etwa die Form und Textur der Lebensmittel herzustellen, sind in der Lebensmittelproduktion schon lange bekannt. Für den passenden Geschmack sorgen die Proteine selbst und weitere Zutaten, die sich auch biotechnologisch erzeugen lassen. Anders als bei Solar Foods brauchen die Einzeller von Nature’s Fynd Stärke oder Zucker, um heranzuwachsen. Dennoch glauben die Gründer, dass sie, um die gleiche Menge Kalorien zu erzeugen wie heutige Rinderfarmen, 99 Prozent weniger Land benötigen, 99 Prozent weniger Treibhausgase verursachen – und 87 Prozent weniger Wasser benötigen.
Die Idee hat namhafte Unterstützer gefunden: Zu den Investoren von Nature’s Fynd zählen Ex-US-Vizepräsident Al Gore und Microsoft-Gründer Bill Gates. 113 Millionen Dollar haben die Gründer aus Chicago zur Verfügung, um ihre Idee zu verwirklichen. „Wir wollen Ende des Jahres einen ersten Testlauf am Markt machen“, sagt Marketingchefin Rawal. Für Sommer oder Herbst 2021 sei ein größerer Produktstart geplant, Gespräche mit Lebensmittelhändlern liefen schon.
Das interessiert WiWo-Leser heute besonders
So schummels sich Ikea, Karstadt & Co. am Lockdown vorbei
Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen
„Ich dachte, der KGB hätte mich entführt“
Was heute wichtig ist, lesen Sie hier
Noch sei die Technologie jung, heißt es in einem Bericht der Good Food Instituts (GFI), einem US-Think-Tank, die die Entwicklung neuartiger Lebensmittel unterstützt. Die Gründer müssen zeigen, dass sie die Produktion in großem Stil beherrschen, wettbewerbsfähige Kosten erreichen – und dass ihre Lebensmittel von Verbrauchern geschätzt werden. Immerhin sind laut dem GFI-Bericht allein in der ersten Jahreshälfte 435 Millionen Dollar in Mikroben-Nahrungsmittel-Gründungen geflossen - so viel Geld wie nie.
68 Start-ups arbeiten an Lebensmitteln aus dem Mikroben-Tank. Gelänge ihnen der Durchbruch, hätte das erstaunliche Folgen für die weltweite Nahrungsmittelproduktion. Lisa Dyson, Gründerin des Start-ups Air protein, rechnet mit einem massiven Effizienzsprung: „Auf der Fläche von Disney World“ – was knapp dem Stadtgebiet Bonns entspricht, „erzeugen wir so viele Proteine wie eine Sojafarm von der Größe Texas.“ Bakterien und Pilze in Tanks sind nicht abhängig vom Wetter oder Jahreszeiten – sie können tagein, tagaus in gewünschten Mengen Proteine produzieren.
„Was wir essen, wie wir es herstellen, wird sich in den nächsten Jahrzehnten radikal verändern“, glaubt Nature’s-Fynd-Marketingchefin Rawal. Zehntausend Jahre lang hat der Mensch große Lebewesen domestiziert, hat Kühe und Schweine gezüchtet. Jetzt, glauben manche, beginne die Zähmung der Mikroben.
Mehr zum Thema: Das globale Angebot an Frischwasser nimmt stetig ab. Vielen Regionen der Welt droht chronische Wasserknappheit.