Wie die Betrüger ausgerechnet auf Walden gekommen sind? Vermutlich, weil er mit Bild im Internet auf der Homepage der Firma steht nach dem Motto „Ihr direkter Draht in der Buchhaltung“. Wo es nicht so einfach ist, behelfen sich die Betrüger mit einem Trick: Sie rufen die Zentrale an und geben vor, eine Überweisung an die Firma sei zurückgekommen. Man wolle sie nun erneut abschicken und benötige die korrekte Kontonummer. Bei wem man da in der Buchhaltung nachfragen könne?
So war es auch beim ostwestfälischen Kunststoffspezialisten Balda, mittlerweile Clere AG. Dort bat der vermeintliche Geschäftsführer einer Obergesellschaft einen Buchhalter, eine Million Euro auf ein ausländisches Konto zu überweisen. Balda wolle angeblich diskret Anteile an einem Wettbewerber übernehmen. Die Betrüger hatten allerdings nicht genau genug recherchiert. Die Person, die sie angemailt hatten, arbeitete nicht mehr dort.
Der Vorgang landete deshalb beim Vorgesetzten – und der fragte erst einmal intern nach. „Beide hätten die Überweisung ohne die Unterschrift eines zweiten Zeichnungsberechtigten ohnehin nicht durchführen können“, sagt Vorstand Oliver Oechsle. Er setzt auf eine offene Unternehmenskultur als Schutz vor solchen Betrügereien. „Die Mitarbeiter müssen wissen, dass sie Anweisungen hinterfragen sollen, statt sie einfach umzusetzen.“
Beim Techunternehmen Schwarz dagegen denkt Buchhalter Walden nicht ans Hinterfragen. Stattdessen mailt er am Dienstagnachmittag um 15.30 Uhr die Ankündigung der Swift-Bestätigung und fragt beim vermeintlichen Anwalt nach, wann die nächsten Zahlungen fällig sind. Doch mit dieser Mail wendet sich das Blatt – wegen eines kleinen Details: Per Antwort-Button will Walden an Dahmen mailen. Damit auch sein Chef Zink im Bilde bleibt, setzt er dessen Mailadresse selbst ins cc-Feld ein: Es ist die erste Mail, die nicht ausschließlich zurück an die Betrüger geht, sondern auch beim Vorstandschef landet. Geschäftsführer Zink liest die E-Mail am folgenden Morgen. Sofort geht er zu Walden und fragt ihn, was es mit dieser Überweisung auf sich habe. Der Betrug fliegt auf.
So optimistisch sind Europas Mittelständler
Im jährlich veröffentlichten Sage Business Index werden knapp 14.000 kleine und mittelständische Unternehmen in weltweit 18 Ländern befragt, davon acht in Europa. In Deutschland nahmen in diesem Jahr 1.035 Unternehmen an der Sage-Studie teil.
Fragestellungen: In Bezug auf die Aussichten des eigenen Unternehmens / die Wirtschaftslage des eigenen Landes / die Wirtschaftslage in Europa / die Wirtschaftslage weltweit, wie optimistisch sind Sie für das kommende Halbjahr, im Vergleich zu den vorherigen sechs Monaten?
[0 = sehr viel weniger optimistisch, 100 = sehr viel optimistischer, 50 = kein Unterschied]
Wirtschaftslage Unternehmen: 63,63
Wirtschaftslage Land: 57,32
Wirtschaftslage weltweit: 50,53
Wirtschaftslage Europa: 52,23
Wirtschaftslage Unternehmen: 66,29
Wirtschaftslage Land: 61,76
Wirtschaftslage weltweit: 55,90
Wirtschaftslage Europa: 52,23
Wirtschaftslage Unternehmen: 61,48
Wirtschaftslage Land: 50,00
Wirtschaftslage weltweit: 54,34
Wirtschaftslage Europa: 54,14
Wirtschaftslage Unternehmen: 64,99
Wirtschaftslage Land: 58,67
Wirtschaftslage weltweit: 57,34
Wirtschaftslage Europa: 56,40
Wirtschaftslage Unternehmen: 60,88
Wirtschaftslage Land: 62,32
Wirtschaftslage weltweit: 51,70
Wirtschaftslage Europa: 52,13
Wirtschaftslage Unternehmen: 64,46
Wirtschaftslage Land: 57,53
Wirtschaftslage weltweit: 48,38
Wirtschaftslage Europa: 48,88
Wirtschaftslage Unternehmen: 57,94
Wirtschaftslage Land: 44,70
Wirtschaftslage weltweit: 48,18
Wirtschaftslage Europa: 47,78
Wirtschaftslage Unternehmen: 61,66
Wirtschaftslage Land: 48,52
Wirtschaftslage weltweit: 47,01
Wirtschaftslage Europa: 47,74
Dass die Gauner überhaupt so weit kommen konnten, lag neben der detaillierten Inszenierung des Verbrechens an der Kultur im Hause. „Was die Unternehmen bei der Risikobewertung unterschätzen, ist der menschliche Faktor“, sagt Anita Kim-Reinartz, Expertin für forensische Datenanalyse bei der Beratungsgesellschaft EY. Das Problem sei, dass die meisten Mitarbeiter Angst vor der höheren Hierarchieebene hätten. Diese Angst nutzen die Banden aus. Scheut sich ein Mitarbeiter, nach einem Betrug seinen Vorgesetzten zu informieren oder den vermeintlichen Chef-Absender anzusprechen, geht wertvolle Zeit verloren, in der das Geld womöglich zurückgeholt werden könnte. Familienunternehmen wiederum, die über Jahre erfolgreich sind und wachsen, verpassen es oft, ihre Strukturen der neuen Größe anzupassen. Durchwahl und Mailadresse jedes Mitarbeiters stehen auf der Homepage, Überweisungen werden auf Zuruf ausgeführt. Vier-Augen-Prinzip? Ist was für Großkonzerne.
Genau solche Unternehmen wählen die Betrüger für ihre Attacken gerne aus. Besonders beliebt sind zudem Unternehmen, die potenziell andere Firmen kaufen und expandieren. Dafür durchforsten die Verbrecher Register und Fachpresse.
Nach zwei Tagen ist das Geld gerettet
Am Mittwoch gegen zehn Uhr ruft Zink schließlich seine Hausbank an und verständigt die Polizei. Das Geld ist längst in Hongkong. Er zieht seinen Rechtsabteilungsleiter ins Vertrauen, der sofort die Stammkanzlei der Firma mit ins Boot holt. So beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. „Handelt ein betrogenes Unternehmen schnell und schaltet Polizei und Anwälte ein, hat es eine Chance, das Geld, sofern es bei einer Bank deponiert ist, vom Gericht einfrieren zu lassen und zurückzubekommen“, sagt Kim Lars Mehrbrey von der Kanzlei Hogan Lovells. Vorausgesetzt, es gelingt, einen Richter vor Ort zu überzeugen, Konten vorläufig zu sperren.
Zinks Anwälte schalten umgehend ein Büro in Hongkong ein. Er und Buchhalter Walden müssen an Eides statt versichern, dass sie getäuscht wurden. Dann gehen die Juristen an die Arbeit. Freitagmorgen um sechs ist endlich klar: Das Geld ist gerettet.
Dass die Sache glücklich ausgeht, ist jedoch die Ausnahme. Deshalb werden Versicherungen gegen solche Fake-President-Risiken immer attraktiver. Euler Hermes, das bei der Vertrauensschadenversicherung in Deutschland auf einen Marktanteil von 50 Prozent kommt, baut das schwierige Nischensegment gerade kräftig aus. Billig sind die Produkte allerdings nicht. Wer bei Euler Hermes Fake-President-Risiken bis zu einer Obergrenze von fünf Millionen Euro versichern will, zahlt auf die Prämie für die Vertrauensschadenversicherung 30 Prozent Aufschlag.
Die Firma Schwarz zumindest hat andere Konsequenzen aus dem Fall gezogen: Auf der Webseite sucht man inzwischen vergebens nach einem „direkten Draht“ in die Buchhaltung.