Cookies verbannen „Google oder Facebook schrecken uns nicht“

Als letzter großer Anbieter will Google demnächst die Verfolgung von Netz-Nutzern in seinem Chrome-Browser massiv einschränken. Das verändert die Machtverhältnisse im Web. Quelle: ZB

Mit einem universellen Zugangscode für Hunderte Online-Angebote wollen deutsche Tech- und Medienkonzerne den Menschen die Kontrolle über ihre Datenspuren im Netz zurückgeben, verspricht der Chef der netID-Stiftung. Noch aber hat sein neuer Dienst ein entscheidendes Problem.

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Sven Bornemann, 56, ist seit August 2018 Vorstandsvorsitzender der European netID Foundation, dem Betreiber der Internet-Login-Plattform netID. Vorher war der diplomierte Wirtschaftsinformatiker unter anderem in der Werbeforschung sowie für Unternehmen wie Bertelsmann, Ogilvy, Axel Springer oder vwd tätig.

Herr Bornemann, nach Apple, Mozilla, Microsoft und Opera wird auch Google einen Großteil der Cookies aus seinem Browser verbannen. Mit deren Hilfe konnten Unternehmen bisher das Nutzerverhalten im Netz verfolgen und zielgerichtet Marketingkampagnen einblenden. Ist jetzt Schluss mit Onlinewerbung?
Bornemann: Das Ende der Drittanbieter-Cookies bedeutet das Ende einer seit 25 Jahren etablierten Technologie mit vielen nützlichen Eigenschaften. Die Möglichkeit, passende Werbung auszuspielen, war nur eine davon. Aber von ganz entscheidender Bedeutung, weil sie es den Betreibern von Onlineangeboten erlaubt hat, sich über Werbung zu finanzieren, statt auf Nutzergebühren angewiesen zu sein. Die weitreichende Cookie-Sperre zwingt Werber dazu, andere Wege zu suchen.

Welche werden das sein?
Anmeldedienste mit einer einheitlichen Nutzer-ID dürften wichtiger werden. Die ersparen es den Menschen, sich auf jeder Website einzeln zu registrieren. Im Idealfall können Sie bei solch einem Identitätsdienst auch hinterlegen, wie und wo sie beim Surfen erfasst werden wollen und wo nicht.

Das bieten Facebook, Google oder Amazon längst. Fast alle Online-Angebote bieten die Option, sich dort mit den Zugangsdaten von einem der Netzkonzerne anzumelden. 
Richtig. Aber versuchen Sie mal, bei einem der großen Dienste einzustellen, was genau die an Nutzerdaten tracken dürfen. Oder eine einmal erteilte Erlaubnis wieder zurückzunehmen. Deshalb haben wir mit der netID eine Plattform entwickelt, die genau das leistet: Eine zentrale Anmeldeoption für Onlineangebote, die den EU-Datenschutzvorgaben entspricht und es den Nutzern ermöglicht, genau zu justieren, was erfasst werden darf und was nicht. 

Zumindest theoretisch. Praktisch gibt es kaum relevante Angebote, bei denen die netID als Zugangsoption zu finden wäre.
In der Branche kennt uns inzwischen jeder, nur für den Nutzer sind wir noch nicht besonders sichtbar. Aber wir sind ja auch erst vor gut zwei Jahren gestartet. Eine Plattform aufzubauen, die einerseits Login-Daten von zig Netzdiensten unter einem Dach integriert und es den Menschen zugleich erlaubt, exakt zu steuern, wer auf die persönlichen Daten zugreifen darf, das dauerte eben etwas. Aber jetzt sind wir startbereit. Wir haben gerade unsere erste TV-Kampagnen gestartet. Und im Laufe des Jahres werden Sie uns als Login-Option bei immer mehr Netzangeboten sehen.

Warum sollte sich etwa ein Webshop die Mühe machen, wenn ihm schon die großen Netzkonzerne Zugang zu Millionen möglicher Nutzer bieten?
Genau das ist der Punkt: Nicht nur die intransparente Datenpolitik der großen Netzkonzerne, sondern auch ihre Marktmacht sollte man nicht unterstützen. Wir verstehen uns als europäische und datenschutzkonforme Alternative zu Google, Amazon oder Facebook. Und unsere potenzielle Reichweite – vor allem in Deutschland – kann sich sehen lassen. Wir sind ein Riese. Vielleicht ein noch nicht sehr sichtbarer Riese, aber das ändert sich gerade.

Warum das?
Schauen Sie, wer die Stiftung gegründet hat. Das waren die Medienhäuser RTL und ProSiebenSat1, dazu der Digitalkonzern United Internet. Inzwischen sind auch Axel Springer, die Deutsche Telekom und die Deutsche Post als Mitglieder dazu gestoßen. Hinzu kommen viele weitere Netzanbieter, bei denen Millionen Deutsche bereits Onlinekonten besitzen. Insgesamt haben wir bereits mehr als 100 Partner für unsere Plattform gewonnen. Damit erreichen wir, über alle Dienste gesehen, heute schon mehr als zwei Drittel aller im Netz aktiven Deutschen. Diese Reichweite erreicht hierzulande keiner der großen Netzkonzerne. Google oder Facebook schrecken uns da nicht ab.

Dafür funktionieren die Logins der Konzerne auch im Ausland.
Das ist korrekt. Aber sie funktionieren eben hier wie dort mit den bekannten Einschränkungen beim Datenschutz und ohne eine Transparenz. Und das, da bin ich sicher, ist ein sehr gewichtiges Argument. Wir merken ja, wie sehr Datenschutz in Europa an Bedeutung gewinnt. Genau deshalb werden wir uns nicht auf Deutschland beschränken.

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Im Rest Europas werden Sie aber noch weniger wahrgenommen.
Auch das ändern wir gerade und sind schon mit mehreren großen Partnern in Kooperationsverhandlungen, um die zu integrieren. Mit dem amerikanischen Werbedienstleister Xandr etwa, einer Tochter des Kommunikationskonzerns AT&T, haben wir erst im März eine Kooperation vereinbart. Ende dieses Jahres, spätestens ab 2022, werden wir auch europaweit sehr viel sichtbarer sein und brauchen uns in Sachen Reichweite vor keinem der Netzkonzerne mehr zu verstecken.

Mehr zum Thema: Der aktuelle Streit zwischen Apple und Facebook ums Nutzertracking geht am Kernproblem vorbei. In vielen Handyprogrammen arbeitet Schnüffelsoftware, von der nicht mal App-Programmierer wissen, dass es sie gibt.

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