Cyberboss
Quelle: dpa

Wer ein Haus baut, sollte am Schloss nicht sparen

Von allen Seiten hallt derzeit der Ruf nach Investitionen in die dringend überfällige Digitalisierung. Doch die schöne neue Cyberwelt braucht schöne neue Sicherheitslösungen.

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Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, heißt es oft. Wie Daten die Wirtschaft antreiben, führen Google und Facebook seit Jahren vor, indem sie mit den Schaufelbaggern und Fördertürmen ihrer Suchmaschine und Social-Media-Plattform tief versteckte Daten ausgraben, die dann von der globalen Werbe- und Vertriebsmaschinerie auf Hochtouren verfeuert werden. Die Klimakrise besiegelt das Ende des Öl-Booms, die Coronakrise beflügelt den Daten-Boom. Am besten ist das an der nüchternen Tatsache zu erkennen, dass während der letzten COVID-Wochen Zoom-Gründer Eric S. Yuan sein Vermögen um 3,5 Milliarden US-Dollar steigen sah, während zahlreiche Fluggesellschaften weltweit pleite gingen.

Deswegen drängen jetzt auch in Deutschland alle auf eine beschleunigte Digitalisierung. Gefordert wird eine digitalisierte Infrastruktur für eine neue Mobilität, der Umstieg auf Video-Konferenzen, Smart Homes, Smart Cities und nicht zu vergessen: die Corona-App, digitale Überwachungstechniken als Pandemie-Prävention. Doch Vorsicht! Wer jetzt übereilt auf neue Technologien wechselt, läuft Gefahr, Tür und Tor für Diebstahl und Sabotage zu öffnen.

Denn anders als beim Öl, wo Raub und Betrug relativ aufwändig sind und entsprechend selten vorkommen, sind mit dem Schmierstoff der digitalen Wirtschaft deutlich leichter krumme Geschäfte zu machen. In den Händen von Cyberkriminellen werden Daten – nahezu unbemerkt und nur schwer nachweisbar – zu Instrumenten der Täuschung, die genauso gegen Einzelpersonen wie auch gegenüber einer breiten Öffentlichkeit eingesetzt werden können. 

In das Multimediasystem eines Jeep Cherokee konnten sich 2015 die beiden Hacker Charlie Miller und Chris Valasek einhacken und aus der Ferne nicht nur Scheibenwischer, Klimaanlage und Türschlösser, sondern auch Lenkrad, Motor, Getriebe und das Bremssystem kontrollieren. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was damit möglich ist.

Der argentinische Sicherheitsforscher Cesar Cerrudo erregte bereits ein Jahr zuvor Aufsehen, als er zeigte, wie leicht sich in Städten der Verkehr zum Stillstand oder in völliges Chaos bringen ließe. Die Sensoren, die in Straßen von New York, Washington oder Seattle eingelassen waren, um die Ampelschaltung zu optimieren, kommunizierten völlig unverschlüsselt mit den Knotenpunkten für die Ampelsteuerung. Ein simpler Hack, und die Ordnung wäre außer Kraft gesetzt. Und erst kürzlich erschuf der Berliner Künstler Simon Weckert auf Google Maps einen Stau, den es in Wahrheit gar nicht gab. Er füllte einen Handkarren mit 99 Smartphones, öffnete auf allen die Kartennavigation und fuhr langsam durch Berlins Straßen. Schon bald meldete die App einen Stau, sogar direkt vor Googles Büro. Aber Computer gucken eben nicht aus dem Fenster.

Betrug mit Fake-Stimmen

Immer mehr Menschen vertrauen dem medialen Bild mehr als dem persönlichen Eindruck; manchmal weil sie gar keine andere Option haben. Und so sahen im Mai 2019 Millionen Menschen, wie Nancy Pelosi scheinbar lallend ein Interview gab. In Wahrheit sahen sie ein manipuliertes Video, es wurde geringfügig verlangsamt, so dass sich die Sprache dehnt und verzerrt, doch weil Tonhöhe im Gegenzug erhöht wurde, klang es wie Pelosis echte Stimme. Das Video wurde schnell entlarvt, aber zuvor war es von zahlreichen Prominenten, darunter Trumps Anwalt Rudy Giugliani, in den sozialen Netzwerken kommentiert und hundertausendfach geteilt. Solch neuartiger Rufmordversuch ist das eine, Bankraub das andere, was sich mit digitaler Stimmmanipulation erledigen lässt. im März 2019 wurde ein britisches Energie-Unternehmen Opfer einer Fake-Voice-Attacke. Ein KI-generierter Anruf klang – inklusive Akzent – so überzeugend wie die Stimme des CEO des deutschen Mutterkonzerns, dass der britische CEO dem Wunsch des Anrufers folgte und binnen einer Stunde 245.000 Dollar auf das vermeintliche Konto eines ungarischen Lieferanten überwies.

Wie gefährlich solche „Deepfakes“ werden können, ist damit bewiesen. Google hat deswegen im letzten Herbst der TU München und der Universität Neapel einen großen Datensatz visueller Deepfakes  als Forschungsmaterial zur Vorbeugung und Bekämpfung solcher Cyberkriminalität übermittelt. Dort entsteht nämlich eine ebenfalls KI getriebene Software Face Forensic: Neuronale Netze finden in gefälschten Videos regelmäßige Muster, die dem menschlichen Auge oft verborgen bleiben. Die Cyberkriminellen werden mit den eigenen Waffen geschlagen.

Insofern sollten wir, wenn wir jetzt – wie ohne Frage sinnvoll und überfällig – endlich in Digitalisierung investieren, bitte nicht vergessen, parallel auch in digitale Sicherheit zu investieren. Wer sich ein neues Haus baut, kauft ja in der Regel ebenfalls nicht nur eine Tür, sondern auch ein sicheres Schloss.

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