Können Sie sich noch an den 18. Dezember 2006 erinnern? Wahrscheinlich nicht. Aber für die Digitalpolitik in Deutschland sollte es eine Zeitenwende sein. Kanzlerin Angela Merkel hatte das Jahr Eins ihrer Regentschaft an der Spitze der Bundesregierung gerade überstanden und sorgte sich zum ersten Mal um die digitale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Schon damals spürte sie, dass etwas passieren muss. Deshalb lud sie die führenden Köpfe der deutschen Wirtschaft zum ersten nationalen IT-Gipfel nach Potsdam ein. Und „wie die Bienen am Blütenbusch“ – so formulierte es damals die Süddeutsche Zeitung – kamen die Spitzenmanager, um bei dieser historischen Stunde dabei zu sein.
Politik und Wirtschaft sollten all ihre Kräfte bündeln, damit Deutschland bei der Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche nicht noch weiter zurückfällt und einer der Vorreiter für ein besser geschütztes Internet wird. Digitaler sollte Deutschland werden, seine digitale Souveränität sollte das Land zurückgewinnen und aus der Masse der vielen kleinen IT-Unternehmen sollten auch Technologieführer von Weltrang herauswachsen. Darüber waren sich damals alle einig.
Am kommenden Montag trifft der IT-Gipfel, der als Digitalgipfel firmiert, zum 13. Mal zusammen. Wieder reist das Bundeskabinett mit Merkel an der Spitze und fast allen Ministern im Schlepptau nach Dortmund, um ihre neuesten Initiativen und Programme zur Aufholjagd auf dem Digitalmarkt vorzustellen. Wieder wird bis zur letzten Sekunde an Formulierungen in unzähligen Papieren gefeilt, die am Ende doch wieder in der Schublade verschwinden. Ideen sprudeln wie jedes Jahr reichlich. Doch bislang reichten sie nicht aus, um den digitalen Niedergang Deutschlands abzuwenden. Denn Deutschland findet sich auch nach 13 IT- und Digital-Gipfeln in der unteren Tabellenhälfte der wichtigsten Digital-Ranglisten wieder.
Dabei hatten sich Politik und Wirtschaft schon beim ersten Gipfel viel vorgenommen. Und ein großes Thema war von Anfang an auch die IT-Sicherheit. Eine „sichere Informationsgesellschaft“ sollte entstehen – alle Bürger und insbesondere auch die mittelständischen Unternehmen sollten besser über alle Risiken aufgeklärt werden. „Sicherheit und Vertrauen sind Grundvoraussetzungen für die Nutzung von IT und Internet“, hieß es damals.
Gebracht hat das alles nichts. Die Bedrohungslage ist weiterhin angespannt, bilanzierte kürzlich erst das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Nicht nur deutsche High-Tech-Unternehmen stehen unter Dauerbeschuss. Auch nahezu jeder Mittelständler ist schon Opfer eines Cyberangriffs geworden. Sonst um keine Antwort verlegene Unternehmer kapitulieren mit erhobenen Armen und wollen ihre Budgets für IT-Sicherheit nicht ständig erhöhen.
Für den Digital-Standort Deutschland hat das dramatische Folgen. Viele Unternehmen wollen keine IT-Pioniere mehr sein. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des IT-Sicherheitsanbieters Kaspersky. Deutsche Industrieunternehmen sind nur deshalb besser vor Cyberangriffen geschützt, weil sie langsamer als ihre Konkurrenten aus anderen Ländern die Digitalisierung ihrer Betriebstechnologien vorantreiben und kritische Anlagen wie Produktionsstraßen und Roboter nicht so schnell in die Cloud verlagern. Die deutsche Fabrik 4.0 weise deshalb weniger Schnittstellen zum Internet auf und biete deshalb auch weniger Angriffsflächen.
Die digitale Rückständigkeit als Pluspunkt für die IT-Sicherheit. Das kann nicht die Grundlage für eine sichere Informationsgesellschaft sein.
Nach 13 Jahren Digitalgipfel und vielen verpassten Chancen sind die Jahre des vorsichtigen Herantastens eigentlich vorbei. Bei Heranwachsenden beginnt jetzt die Phase der Pubertät, in der sich die Jungen und Mädchen von ihren Eltern abnabeln und viele wilde Dinge ausprobieren. Politik und Wirtschaft sollten jetzt auch so eine wilde Phase der digitalen Pubertät einläuten – und sich aus der Umklammerung der digitalen Großmächte USA und China befreien. Konkurrenzfähige IT-Produkte aus Europa – ohne Hintertüren zur Spionage und Sabotage – sind die wichtigste Vertrauensgrundlage für eine schnellere und sichere Digitalisierung unseres Landes. Und ein Exportschlager könnte das auch werden. Denn keiner der Giganten auf dem IT-Markt bietet so etwas bisher an.