Diese Kolumne wird Sie überraschen. Jedenfalls, wenn Sie meinen Beitrag vom vergangenen November noch im Kopf haben, in dem ich gravierende Lücken beim Schutz von Gesundheitsdaten moniert habe. Da klingt es mindestens sonderbar, wenn ich nun die in dieser Woche publik gewordenen Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Nutzung von persönlichen Gesundheitsdaten, zur elektronischen Patientenakte (e-Akte) und zum e-Rezept ausdrücklich begrüße. Wie passt das zusammen?
Richtig ist: Jede Speicherung und jeder Austausch von Daten bietet Hackern eine Chance, diese Informationen abzugreifen und zu missbrauchen. Das ist gerade bei so sensiblen und höchst persönlichen Daten wie jenen zur Gesundheit von Menschen besonders brisant. Und es passiert, wie zahlreiche Beispiele belegen, leider trotzdem allzu oft. Wer Diebstahl und Missbrauch von Gesundheitsdaten ganz verhindern will, müsste deren Speicherung also grundsätzlich verbieten. Das aber wäre ebenso illusorisch, wie kontraproduktiv. Denn das Wissen um Vorerkrankungen und Medikation ist essenziell für den Erfolg von Therapien.
Auch deshalb ist die Digitalisierung der Medizin so wichtig. Denn gerade beim Zugriff auf Informationen zu früheren Behandlungen, zu passenden Medikamenten und erst recht zu solchen, auf die eine Patientin oder ein Patient mit teils lebensbedrohlichen Symptomen reagiert, herrscht im Gesundheitswesen bis heute größtenteils Blindflug.
Nicht bloß, dass es immer noch massenhaft doppelte und dreifache Diagnostik stattfindet, weil Ärzte und Krankenhäuser keinen Zugriff auf bereits vorhandene, ältere Untersuchungsergebnisse haben - oder gar nichts von ihnen wissen. Das in den Praxen vorgehaltene Wissen und die persönlichen Informationen, über deren Nutzung jede Patientin und jeder Patient eigentlich jederzeit entscheiden können müsste, lagert dort bis heute in oft noch immer analogen oder inkompatiblen digitalen Silos.
Ganzheitliche Diagnostik, aber auch der rasche, teils lebensrettende Zugriff auf wichtige Informationen bleiben damit illusorisch. Genauso übrigens, wie eine übergreifende Nutzung von aggregierten und selbstverständlich (!) anonymisierten Gesundheitsdaten, auf deren Basis Unternehmen und Wissenschaft grundlegende Forschung betreiben könnten.
Damit liegt Deutschland im internationalen Wettbewerb inzwischen weit zurück. Längst sitzen beispielsweise Anbieter von Gesundheitsapps, Smartwatches und Fitnesstrackern auf Bergen von persönlichen Datensätzen, auf deren Basis sie oft mehr über den Gesundheitszustand der Nutzer erfahren können als diese selbst oder deren Ärzte. Dabei teilen die Menschen völlig sorglos (und vielleicht auch unbedacht) persönlichste Details, vielfach sogar unverschlüsselt, übers Internet mit Technologiekonzernen in den USA, Korea oder China.
Die können damit anstellen, was sie wollen, während es der hiesigen Gesundheitsforschung an Daten für Analysen und Simulationen fehlt. Zugleich aber erregt sich Deutschland, wie auch jetzt wieder, geradezu reflexartig über jeden Vorstoß, die Erfassung, den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten hierzulande endlich einmal planvoll zu regeln.
Genau deshalb ist Lauterbachs Vorstoß so wichtig: Weil er digitale Medizin möglich machen soll, mit Datenschutz im Blick aber nicht als Totschlagargument, als der er seit Jahren missbraucht wird. Sowohl die kryptografisch abgesicherte e-Akte als auch das e-Rezept bedeuten hier nämlich einen erheblichen Fortschritt, speziell gegenüber dem bis heute üblichen Versand von Patientendaten per Fax oder gar der telefonischen Weitergabe. Und auch das Potenzial für die Erforschung von Krankheiten und Therapien auf Basis von digitalen Simulationen muss endlich gehoben werden.
Alles beim Alten zu belassen, wäre deshalb für Daten und Gesundheit von Patientinnen und Patienten das weit größere Risiko.
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