Das Phänomen Snapchat Warum der Hype bald vorbei sein könnte

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Vor diesen Hürden steht Snapchat

Snapchats Gegenwart sieht rosig aus. Damit der Dienst aber auch in Zukunft bestehen kann, muss der Hype um den weißen Geist irgendwann Gewinn einbringen. Zwar erwartet Snapchat laut Medienberichten für 2016 aufgrund seiner Werbe-Einnahmen einen Umsatz in Höhe von 350 Millionen Dollar – womit der Dienst seinen Erlös praktisch vervierfachen würde. Doch IDC-Geschäftsführer Moussavi-Amin ist sich sicher, dass der Dienst zugunsten des Wachstums momentan noch auf einen Gewinn verzichtet. "Snapchat investiert in neue Funktionen, um die Nutzer zu halten und neue zu generieren", sagt Moussavi-Amin.

Auch den Sprung an die Börse will Snapchat wagen, das hat Unternehmensgründer Evan Spiegel bereits angekündigt. Der Zeitpunkt ist allerdings noch offen.

Während Philipp Steuer einen unmittelbaren Börsengang des Start-ups erwartet, zeigt sich Moussavi-Amin angesichts der finanziellen Lage von Snapchat zurückhaltender. Er rechnet in frühestens zwei Jahren damit – vorausgesetzt, Snapchat ist bis dahin noch ein eigenständiger Instant-Messaging-Dienst. "Wenn Snapchat weiterhin so erfolgreich ist, wird Facebook den Gründern bald sicherlich ein weiteres Angebot unterbreiten", glaubt Moussavi-Amin. Gerade weil es für Messenger-Anbieter schwer ist, mit ihren Anwendungen Geld zu verdienen, schätzt er die Wahrscheinlichkeit hoch ein, dass die Gründer Spiegel und Murphy auf den nächsten Deal eingehen werden.

Snapchats Nutzerpotenzial ist schnell erschöpft

Das könnte vor allem daran liegen, dass sich Snapchats Nutzerpotenzial irgendwann ausschöpft. Dass sich hauptsächlich Jugendliche auf Snapchat bewegen, ist eine Medaille mit zwei Kehrseiten: Einerseits verbreitet sich die App über Freundeskreise und Schulen rasant – und lockt immer mehr Jugendliche auf die Plattform.

Andererseits bleibt laut Moussavi-Amin die ältere Generation fern, die der Dienst eigentlich bräuchte, um seinen Wachstumskurs auf lange Sicht fortzusetzen. Das liegt seiner Meinung nach daran, dass es bei Snapchat keinen klaren Aufbau gibt, sondern das Tool aufgrund der Aktualität über eine dynamische Menüführung verfügt. "Dieser Aufbau schließt ältere Nutzer automatisch aus, weil sie Snapchat intuitiv bedienen müssen", sagt Moussavi-Amin.

Snapchat hat also nach Ansicht des IDC-Geschäftsführers sein Potenzial quasi ausgeschöpft, wenn das soziale Netzwerk alle Jugendlichen dazu gebracht hat, die Anwendung regelmäßig zu nutzen. "Im Gegensatz zu Snapchat haben Facebook und WhatsApp ein viel größeres Nutzerpotenzial", sagt der Experte. WhatsApp komme zumindest in der Theorie für alle Mobilfunknutzer infrage, während Snapchat hauptsächlich die 13- bis 20-Jährigen anspreche.

Natürlich hat Snapchat die Möglichkeit, die Foto-Schnipsel-App so anzupassen, dass auch Ältere damit zurecht kommen. Dafür müsste der Dienst laut Moussavi-Amin zumindest seine dynamische Menüführung und damit eines seiner Alleinstellungsmerkmale aufgeben.

Doch dadurch verliert der Dienst womöglich die jüngeren Nutzer, die sich mit Snapchat einen exklusiven digitalen Ort geschaffen haben – fernab der elterlichen Kontrolle. Und: Die Älteren müsste Snapchat erst einmal überzeugen. "Das Risiko ist für Snapchat momentan einfach zu groß, zu scheitern", sagt Moussavi-Amin.

Das Geschäft mit der vermeintlichen Vergänglichkeit

Snapchat hat sich ein vermeintliches Alleinstellungsmerkmal geschaffen, indem der Dienst damit wirbt, dass Informationen verschwinden. Dabei ist der Unterschied zwischen Facebook und Snapchat in Sachen Datenschutz geringer, als viele Nutzer annehmen. "Snapchat gaukelt seinen Usern nur vor, Informationen zu löschen", sagt Moussavi-Amin. Denn wer die Nutzungsbedingungen der Foto-App aufmerksam liest, der wird feststellen, dass er die Rechte der veröffentlichten Snaps an die Gründer überträgt. "Der Instant-Messaging-Dienst stellt die Snaps zwar spätestens 24 Stunden später nicht mehr auf der Plattform zur Verfügung. Er speichert die Informationen aber auf seinem Server in den USA", sagt Moussavi-Amin.

Das heißt für den Nutzer: Snapchat dürfte beispielsweise auf der Plattform veröffentlichte Fotos zu eigenen Werbezwecken nutzen – auf Plakaten oder Anzeigen. Das steht auch in den Nutzungsbedingungen von WhatsApp und Facebook.

Hinzu kommt: Wer ein ernsthaftes Interesse hat, die Snaps anderer User zu archivieren, der findet einen einfachen Weg. Beispielsweise via Screenshot.

Die Jugendlichen scheinen das zu ignorieren – und halten den Bilderdienst zumindest derzeit auf Erfolgsspur. "Snapchat wird wahrscheinlich niemals so viele Menschen wie Facebook auf der Plattform versammeln können", sagt Steuer. "Aber in Sachen Aktivität und Reichweite wird der Dienst zukünftig zu den beliebtesten sozialen Medien gehören."

Ob der Erfolg aber von Dauer ist, wird sich zeigen, wenn das derzeitige Nutzerpotenzial erschöpft ist – und der Messenger einen Spagat zwischen alten und neuen Nutzergruppen machen muss.

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