
Wenn Ilse Aigner sich mit dem Internet beschäftigt, stöhnt die Branche auf. Zuletzt, als sich Aigner öffentlichkeitswirksam von Facebook abmeldete, um gegen den Umgang mit privaten Daten zu protestieren. Die Aktion war reiner Populismus. Gebracht hat sie - abgesehen von einer hysterischen Debatte - nichts.
Nun folgt der nächste Streich: Aigner fordert eine Art digitalen Radiergummi, mit dem jeder seine Dateien und Bilder mit einem Verfallsdatum versehen kann, bevor er sie ins Internet stellt.
Die Idee ist eigentlich gar nicht dumm.
Denn der Mensch und das Internet passen nicht zusammen. Menschen vergessen schon vier Tage nach dem Lesen eines Buches drei Viertel des Inhalts. Das Internet hingegen merkt sich jedes Partyfoto und jede verbale Entgleisung. Zu 100 Prozent. Im elektronischen Zeitalter gibt es keine Gnade des Vergessens.
Saarbrücker Forscher entwickeln Verfallsdatum für Daten
Neben Ilse Aigner bedauert das auch Viktor Mayer-Schönberger, Experte für Internet Governance and Regulation an der Oxford University. Mayer-Schönberger beklagt, dass uns Unwichtiges und vor allem Peinlichkeiten aus der Vergangenheit ständig wie virtuelle Geister wieder einholen. Er fordert: Das Netz müsse das Vergessen lernen. Menschlicher werden.
In seinem Buch “Delete. Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten" erklärt Mayer-Schönberger, wie so ein Internet aussehen könnte:
Immer wenn Internetnutzer einen Text, ein Bild oder ein Video speichern, werden die Nutzer gebeten, neben dem Dateinamen auch ein Ablaufdatum anzugeben. Dieses Verfallsdatum wird als Zusatz-Information mit der Datei gespeichert. Den Rest übernimmt der Computer: Er verwaltet Ablaufdaten und tilgt Dateien, deren Zeit abgelaufen ist.
Genau das soll nun möglich werden. Aigner kündigt an, dass Saarbrückener Forscher eine solche Technik nächste Woche vorstellen werden.
Ihr Vorteil: Sie würde Internetnutzern immer wieder bewusst machen, dass eine Information möglicherweise für immer im Netz zu finden ist.
Technisch aber ist die Sache komplex: Bevor der Nutzer Daten wie Fotos oder Kommentare auf Blogs oder in sozialen Netzwerken veröffentlicht, werden sie von einer an der Universität des Saarlandes entwickelten Software verschlüsselt. Will jemand die Inhalte ansehen, muss er einen passenden Schlüssel mit einem kleinen Browser-Zusatzprogramm anfordern. Läuft eine vorher vom Nutzer angegebene Frist ab, rückt das Programm diesen Schlüssel nicht mehr heraus und die Inhalte landen sozusagen in einem virtuellen Nirvana.
Das Problem ist nicht nur, dass derart verschlüsselte Bilder zunächst nur von Nutzern mit Firefox-Browser angesehen werden können. Zu viele Unternehmen verdienen Geld damit, dass sie Unmengen an Daten sammeln. Und sie werden das auch weiterhin tun. Nicht nur Google und Facebook verfolgen im Netz, für was sich ihre Nutzer interessieren und verkaufen diese Informationen zu Profilen verdichtet an Werbekunden. Auch Handynetzbetreiber, Kreditkartenunternehmen und Banken schmieden Pläne, die Daten ihrer Kunden kommerziell zu nutzen oder zu vermarkten.
Denn nie war es billiger, massenhaft Informationen zu sammeln. Und nie war die Technik besser darin, aus diesen Datenmengen sinnvolle Schlüsse zu ziehen.
Wenn die Politik wirklich etwas ändern will, muss sie international gültige Regeln schaffen und festlegen, was genau Unternehmen mit den Daten ihrer Kunden anstellen dürfen, wie lange sie die Informationen speichern dürfen und wie Kunden Unternehmen dazu bringen können, ihre Daten aus dem Netz zu tilgen.