




Was meinen Sie damit konkret?
Ich habe gerade auf Google News einen Artikel über eine Studie zur Traumabehandlung von Kindern gefunden. Wenn Menschen das Thema spannend finden, verbreitet sich die Studie in den nächsten Stunden über E-Mails und Links. Um ihre Aussagen werden sich auf Blogs und in den sozialen Netzwerken Diskussionen entspinnen. Vor 20 Jahren hätte diese Diskussion nur in Fachmagazinen stattgefunden. Jetzt reden alle miteinander: Laien, Forscher, Lehrer und Familienväter. Wer also wissen will, was von dieser Studie zu halten ist, wer sie verstehen will, muss in die Netzwerke schauen. Dort befindet sich das Wissen.
Wenn es mehr zugängliche Daten als jemals zuvor gibt, müsste es doch auch mehr Wissen geben, oder?
Es geht bei der aktuellen Veränderung erst mal nicht um die Menge des Wissens, sondern um seine Natur. Die alte Verteilung des Wissens war eingeschränkt und unmenschlich. Wir sind soziale Geschöpfe, deshalb passt das neue Wissen viel besser zu uns. Richtig ist aber auch, dass es heute viel mehr Daten und damit auch Wissen gibt. Schauen Sie sich an, wie viele Informationen allein die US-Regierung zu Themen wie Gesundheit oder Mobilität ins Netz stellt. Früher wäre das in Aktenbergen verloren gegangen.
Das klingt erst mal alles positiv. Warum sprechen Sie im Buch von einer Krise des Wissens?
Weil es für die meisten Hüter des traditionellen Wissens, also für Forscher, Verleger, Bibliothekare und Journalisten, so aussieht, als würde das Wissen den Barbaren geöffnet - sie empfinden den Umbruch als Krise. Denn es tummeln sich in diesen Netzwerken eben auch Verschwörungstheoretiker und Querulanten, die ganz genau das Gegenteil von etablierten Fakten behaupten.
Wenn die Hüter des Wissens an Einfluss verlieren, brauchen wir dann Journalisten, Forscher oder Lehrer überhaupt noch?
Ja, aber diese Leute sind nicht mehr Hüter oder Türsteher des Wissens, sie werden zu Teilnehmern an der Diskussion. Leute, die sich sehr eingehend mit Dingen beschäftigen, werden wir auch in Zukunft brauchen.





Aber droht nicht eine Art Informationsanarchie, wenn niemand mehr entscheidet, was wichtig ist und was nicht?
Diese Anarchie können wir jetzt schon beobachten. So behaupten Leute im Netz, US-Präsident Barack Obama sei in Kenia geboren, dass der Klimawandel nicht stattfindet oder Impfungen Autismus auslösen. All das entspricht nicht den Tatsachen, dennoch glauben es viele Hunderttausend Menschen. Beim Thema Impfungen gefährdet dieser Irrglaube sogar die Gesundheit. Früher gab es diese Leute auch, aber sie hatten in den Medien keinen Raum. Heute haben sie Einfluss und bestärken sich im Netz gegenseitig in ihren Überzeugungen. Das macht mir tatsächlich Sorgen. Und dennoch: Insgesamt ist die Entwicklung positiv.
Warum ist es positiv, wenn jemand krude Ideen verbreitet?
Weil wir eben jetzt erst sehen, wie eingeschränkt die alte Welt des Wissens war. Es war eine Veranstaltung für die Eliten, heute nehmen wir alle an der Produktion von Wissen teil. Und es ist zugänglicher geworden. Früher musste ich in die Bibliothek gehen und Fachmagazine wälzen, um etwas über den Klimawandel zu erfahren. Heute mache ich das mit meinem Smartphone in der U-Bahn.