Digital Champions Award Das ist die Avantgarde im Mittelstand

Viele deutsche Unternehmer wissen: Sie müssen ihr Geschäft digitalisieren – und zögern dennoch. Vier preisgekrönte Vorbilder zeigen, wie es geht: Die Sieger des Digital Champions Awards.

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Lob und Ehre für digitale Pioniere
Hagen Rickmann, Geschäftsführer Geschäftskunden Telekom Deutschland, Miriam Meckel, Chefredakteurin WirtschaftsWoche, und Michael Otto. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Hagen Rickmann Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Vor der Preisgala diskutierten Hagen Rickmann, Miriam Meckel und Michael Otto über die Chancen der Digitalisierung im Mittelstand. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Philipp Holzheu, Jennifer Althaus, Katja Haastert und Walter Daumann von Weiss+Appetito hatten es bis ins Finale des DCA geschafft. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Udo Krauß, Christine Baur und Frank Kübler vom Weiterbildungsspezialisten Synk Group zählten ebenfalls zu den Finalisten. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Carsten Dierksen und Marlis Jahnke hatten es mit ihrer Kommunikationsagentur Inpromo in die letzte Runde geschafft. Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche
Die Rieber GmbH gewann mit vernetzten Cateringboxen den Preis in der Kategorie „Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen“ Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche

Rolf Hollander hat es erlebt – wie die Digitalisierung ein jahrzehntealtes Geschäftsmodell in kürzester Zeit hinwegfegt: Im Jahr 2000 kauften die Deutschen noch vier Millionen analoge Kameras und etwas mehr als eine halbe Million digitale Fotoapparate. Vier Jahre später standen sieben Millionen Digitalgeräten 1,3 Millionen klassische Kameras gegenüber. „Unser traditionelles Geschäft ist regelrecht implodiert“, erinnert sich Hollander, seit 2002 Chef des Fotodienstleisters Cewe.

Es hätte das Todesurteil für das Oldenburger Unternehmen bedeuten können. Schließlich hatte Cewe seit Anfang der Sechzigerjahre sein Geld mit dem Entwickeln von Filmen und Belichten von Abzügen verdient. Traditionsfirmen wie Agfa, Konica Minolta oder Kodak gingen damals pleite oder gaben ihr Fotogeschäft weitgehend auf.

Cewe schaffte es dagegen, sich neu zu erfinden. Das Unternehmen betreibt heute 20.000 Fotokioske in Drogerien und bei anderen Einzelhändlern, mit deren Hilfe sich Kunden Bilder ausdrucken können. Zudem verdient es prächtig an Kalendern und Fotobüchern, die Kunden am Rechner selbst erstellen können.

Info

Die Bände sind die Fotoalben des Digitalzeitalters. Sechs Millionen Stück verkaufte Cewe vergangenes Jahr – gerade weil die Menschen heutzutage so viel mit dem Smartphone fotografieren und ihre Schnappschüsse im Netz teilen. Das gedruckte Bild bekommt dadurch wieder einen neuen Wert.

Anders als Cewe stehen viele deutsche Unternehmen noch vor dem Sprung ins digitale Zeitalter. Für sie taugt der Fotodienstleister als Vorbild – davon ist jedenfalls die Jury des Digital Champions Awards (DCA, siehe Kasten) überzeugt. „Ich gebe jedem den Tipp, seine Produkte selbst infrage zu stellen, bevor es jemand anderes tut“, sagt Hagen Rickmann, Leiter des Geschäftskundenbereichs bei der Telekom Deutschland und einer der Juroren. Genau das hat Cewe getan und wurde deshalb in der Kategorie Digitale Transformation ausgezeichnet. „Cewe ist ein Beleg für die Innovationskraft deutscher Unternehmen, auch gegenüber US-amerikanischen Playern“, sagt Rickmann.

Doch noch immer zögern viele Unternehmer und Manager, ihre Firmen digital neu zu erfinden. Was zum existenziellen Risiko zu werden droht.

So haben sich Unternehmen auf die Digitalisierung vorbereitet

Dem jüngsten Mittelstandsbarometer der Beratung EY zufolge spielen für 46 Prozent digitale Technologien wie Cloud Computing und Big Data noch keine Rolle für das Geschäftsmodell. Gleichzeitig erwarten drei Viertel der 3000 befragten Führungskräfte, dass sich das in den kommenden fünf Jahren ändern wird. „Wenn unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft auch künftig ihre Marktposition behaupten will, muss sie jetzt zu einem Digitalisierungssprung ansetzen“, fordert Matthias Wahl, Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft.

Doch fehlt es oft am notwendigen Know-how: Nach einer Erhebung der Hamburger Managementberatung Doubleyuu bei mehr als 1000 Unternehmen gestehen nur 14 Prozent der Mitarbeiter ihren Chefs eine hohe Digitalkompetenz zu.

Drucken via Web

Cewe gelang die digitale Transformation, weil das Management bereits Ende der Neunzigerjahre mit einer ersten Fotodruckstation und einem Webshop experimentiert hatte. Anfangs fragte kaum jemand die neuen Produkte nach, doch als der Umschwung einsetzte, war Cewe vorbereitet und konnte auch die nötigen Investitionen und Restrukturierungskosten von mehr als 400 Millionen Euro schultern. So ein Wandel sei nur zu meistern, wenn es einem noch gut gehe, sagt Cewe-Chef Hollander: „Wer erst anfängt, sobald es schlecht läuft, gerät schnell in eine Abwärtsspirale.“

Wie ein Unternehmen durch schnelle Adaption neuer Technologien seine Abläufe konsequent digitalisiert und damit zum Marktführer aufsteigt, lässt sich auch vom Würzburger Unternehmen Flyeralarm lernen, das den DCA in der Kategorie „Digitalisierung von Prozessen“ gewann. „Ohne das Internet würde es unser Unternehmen so nicht geben“, sagt Gründer Thorsten Fischer.

Diese Weltmarktführer haben die stärksten Marken
Die Zentrale von Big Dutchman in Vechta-Calveslage. Quelle: Presse
Das Luftbild zeigt das Werk der Max Weishaupt GmbH in Schwendi. Quelle: PR
Sennheiser Kopfhörer Quelle: dpa
Renolit SE Vorstand Quelle: Presse
KWS Saat Quelle: PR
Platz 15 (15): Abeking & RasmussenBranche: SchiffbauMarken-Performance*: 61,4 (54,2)Unternehmens-Performance*: 57,9 (56,8)Gesamt-Performance²: 119,4 (111,0)* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company Quelle: Screenshot
Ein Ladekabel für ein Elektroauto der Firma Mennekes Quelle: dpa

Er setzte schon 2002 auf das Web und ermöglichte Kunden, zum Beispiel Werbeflyer im Netz zu erstellen. Inzwischen ist das Unternehmen zur führenden europäischen Onlinedruckerei aufgestiegen. Die 2000 Mitarbeiter erwirtschafteten vergangenes Jahr 330 Millionen Euro Umsatz – und eine „sehr ordentliche Rendite“, genauer will Fischer nicht werden.

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg ist die größtmögliche Automatisierung der Prozesse. Sobald ein Kunde im Netz etwa Visitenkarten in Auftrag gibt, prüft das Programm, ob die Vorlagen druckbar sind, und weist sie dann automatisch einer Druckplatte zu. Dabei ordnet ein Algorithmus die Aufträge so an, dass die Druckbögen möglichst komplett gefüllt sind. Dieses Sammeldruckverfahren war eine kleine Revolution in der Branche, denn bis dahin war es völlig normal, große Teile der Bögen ungenutzt zu lassen.

Durch die bessere Verteilung sind die Maschinen maximal ausgelastet, das spart Material und senkt somit die Kosten. „Anfangs haben wir nur eine Druckbogenauslastung von 50 bis 60 Prozent geschafft“, erinnert sich Fischer, „inzwischen sind es weit mehr als 90 Prozent.“

Bekannt ist das Unternehmen vor allem durch sein Sportsponsoring. So wirbt Flyeralarm regelmäßig bei Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft auf den Stadionbanden.

Die zehn größten Familienunternehmen Deutschlands
Bertelsmann-Logo Quelle: dpa
Logo von Phoenix Pharmahandel Quelle: dpa
Logo von Fresenius Quelle: dpa
Ein Reifen von Continental Quelle: dpa
Dunkle Wolken über Bosch Quelle: dpa
Ein Mann mit Aldi-Tüten in der Hand Quelle: dpa
Kunden vor einer Metro-Filiale Quelle: dapd

Der Effekt: Die Zugriffe auf die Website schnellen nach oben. „In einer Branche, die nicht darauf ausgelegt ist, hat es Flyeralarm geschafft, eine eigene Marke aufzubauen“, lobt Dietmar Grichnik, Professor für Entrepreneurship an der Universität St. Gallen und einer der DCA-Juroren.

Als Flyeralarm in seinen Anfängen steckte, war es noch ganz ungewöhnlich, Geschäfte über das Web abzuwickeln. Heute erwarten viele Kunden das ganz selbstverständlich. Die Hotelbranche tut sich damit noch etwas schwer. Sie schickt ihre Gäste nach wie vor beim Einchecken an die Rezeption. Dass es auch anders geht, beweist die aus Frankreich stammende Hotelkette B&B Hotels, die mehr als 360 Häuser in Europa betreibt. Auf der Webseite von B&B können Gäste nicht nur ihre Übernachtung buchen, sondern auch ihren digitalen Zimmerschlüssel anfordern. „Es ist wie bei Flugreisen. Unsere Kunden können bereits 24 Stunden vorher einchecken“, sagt Katharina Hahn, E-Commerce-Consultant bei B&B Hotels.

Zimmerschlüssel im Smartphone

Die Gäste erhalten per SMS oder E-Mail ihre Zimmernummer und einen Code – und können bei der Anreise geradewegs zu ihrem Zimmer gehen. Dort geben sie den Zifferncode auf einer Tastatur ein – und die Tür ist entsperrt. Auschecken müssen sie überhaupt nicht mehr, weil sie das Zimmer schon bei der Buchung online bezahlen. Jeder vierte Gast nutzt den Service inzwischen. Für diese Digitalisierung des Kundenerlebnisses hat die DCA-Jury das Unternehmen ausgezeichnet. Was für die Kunden komfortabel ist, hilft B&B Hotels wiederum, Prozesse zu verschlanken. „Pro Gast, der online eincheckt, spart unser Personal bis zu sieben Minuten Arbeit“, sagt Managerin Hahn. Pro Tag kann sie so den Personalaufwand deutlich reduzieren.

Suppentopf in der Cloud

Lösungen wie der Online-Check-in sind erst möglich geworden, seit fast jeder Deutsche allzeit ein Mobiltelefon dabeihat.

Das macht sich auch der Reutlinger Küchentechnik-hersteller Rieber zunutze. Der Mittelständler mit rund 600 Mitarbeitern hat vor drei Jahren begonnen, eines seiner meistverkauften Produkte zum Bestandteil des Internets der Dinge zu machen: Behälter aus Edelstahl, mit denen Catering-Firmen Suppen, Fleischgerichte und Nachspeisen zu Events und Konferenzen transportieren.

Die Transportboxen kosten bis zu 50 Euro das Stück – Event-Gastronomen haben häufig Tausende im Umlauf. Welche Kiste wo ist, was sie beinhaltet und wie viele zurückkommen, notieren die Kunden bisher in Listen auf Papier und per Aufkleber auf den Boxen. Eine fehleranfällige Methode, versteht sich. Oft gehen Behälter verloren.

Mit einer neuen cloudbasierten Plattform bringt Rieber System in die Sache: Jeder neue Behälter erhält einen eigenen QR-Code. Sobald Köche einen Behälter gefüllt haben, scannen sie das Quadratemuster per Handy ein und geben in einer App Inhalt und Bestimmungsort an.

Hier nutzen Sie die Wolke, ohne es zu wissen
Dropbox, Google Drive, Apple iCloud Quelle: dpa
GMX AOL Google Mail Quelle: dpa
Cloud Gaming Quelle: AP
Google Docs Microsoft Office Quelle: REUTERS
Adobe Kreativ-Programme Quelle: AP
Musik-StreamingAuch wer Musik-Streaming-Dienste wie Spotify, Napster oder Apple Music nutzt, befindet sich in der Cloud. Bei all diesen Streaming-Diensten werden Millionen Musik-Titel auf Servern gelagert, auf die der Nutzer von seinem Endgerät aus zugreift. Dafür muss er entweder ein monatliches Entgelt bezahlen oder die kostenlosen Alternativangebote nutzen. Bei Spotify kann der Nutzer zum Beispiel die Gebühren einsparen, wenn er bereit ist, zwischendurch von Werbung beschallt zu werden. Quelle: dpa
Serien-StreamingFilme und Serien werden ebenfalls immer öfter über das Netz angesehen. Anbieter wie Netflix, Sky Go, Watchever, Amazone Prime und Maxdome erlauben den Zugriff auf tausende Filme und Serien. Auch hier zahlen Nutzer eine monatliche Gebühr und können dafür so viel schauen, wie sie möchten. Quelle: dpa

Über eine zentrale Datenbank haben die Gastronomen nun jederzeit den Überblick, wo welche Boxen unterwegs sind und welche noch fehlen.

Rieber schafft ein digitales Abbild seiner physischen Produkte und überträgt so Prinzipien von Industrie 4.0 auf die Gastronomie. „Sie können nun den gesamten Lebenszyklus des Behälters verfolgen“, sagt Markus Lang, IT-Chef bei Rieber. Für die DCA-Jury war das eine Auszeichnung in der Kategorie „Digitalisierung von Produkten“ wert. Die Datenbank hilft Gastronomen auch, das Einhalten von Hygienevorschriften nachzuweisen: Per App protokolliert das Personal die Reinigung der Boxen und die Kerntemperatur der Speisen. Die Messwerte schickt ein Funkthermometer direkt an die Handy-App. 600.000 Boxen verkauft Rieber jährlich –dank QR-Code geht davon wohl bald kaum eine mehr verloren.

Michael Otto - Digitaler Pionier

Otto, Quelle, Neckermann – die Kataloge der drei großen Versandhändler fanden sich einst in fast jedem deutschen Haushalt.
Der Katalog von heute heißt Onlineshop, Michael Otto hat das früher als viele andere erkannt: 1995 startete das Hamburger Unternehmen im Internet und wurde unter seiner Führung zu einem der größten Onlinehändler. Die Otto Group hat heute etwa 50.000 Mitarbeiter, setzt zwölf Milliarden Euro um und ist in 30 Ländern Europas, Amerikas und Asiens aktiv. Die Konkurrenten gingen dagegen pleite, die Markenrechte von Quelle und Neckermann sicherte sich Otto.

Damit endete nicht die digitale Transformation – im Gegenteil: 2013 startete der Konzern das Hamburger Fashion-Start-up Project Collins mit dem Marktplatz About You. Der vertritt einen Open-Commerce-Ansatz. Entwickler können dort eigene Apps anbieten, Modeblogger Profile anlegen und Kleidung empfehlen, an deren Verkaufserlösen sie beteiligt werden.

Dieses Jahr will About You die Umsatzgrenze von mehr als 100 Millionen Euro knacken. Um das Kundenverhalten besser vorherzusagen, hat sich Otto an Blue Yonder beteiligt, ein führender Big-Data-Spezialist im Handel mit Sitz in Karlsruhe. Intern setzt die Otto Group konsequent auf innovatives Wissensmanagement und verfügt über eine konzernweite Kollaborationsplattform.

Michael Otto leitete den Konzern von 1981 bis 2007 und ist heute Aufsichtsratsvorsitzender. Dabei ging es ihm immer um mehr als Umsatz und Gewinn. So machte er bereits in den Achtzigerjahren Umweltschutz und soziale Verantwortung zu Teilen seiner Unternehmensstrategie. Er gründete zudem mehrere Stiftungen in diesem Bereich. Für seine Leistungen zeichnet die Jury des Digital Champions Award Michael Otto mit dem Sonderpreis „Digitalisierungsmacher“ für sein Lebenswerk aus.

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