Digital Champions Award Wie der Mittelstand den Sprung in die Zukunft schafft

Näher am Kunden: Mit maßgefertigten Möbeln für zu Hause hat Dickmänken das eigene Geschäft digitalisiert. Quelle: Presse

Vom bargeldlosen Bezahlen bis zur Jobsuche in sozialen Netzwerken: Die Gewinner des Digital Champions Awards zeigen, dass die Digitalisierung im deutschen Mittelstand angekommen ist.

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Wie weit ist die Digitalisierung im Mittelstand angekommen – und wo besteht noch Nachholbedarf? Zum dritten Mal gehen die WirtschaftsWoche und die Deutsche Telekom gemeinsam dieser Frage nach und zeichnen Unternehmen aus, von deren Erfolg andere lernen können. Arbeitsprozesse, Kundenerlebnis, digitale Transformation oder innovative Produkte – in jeder Kategorie gibt es Pioniere.

Digitale Transformation Mittelstand: Dickmänken
Der Mittelständler hat sich vom klassischen Tischler zum Onlineanbieter für Möbel nach Maß gewandelt.

Wie viele Schubladen sollen es sein? Welche Türen mit welchen Griffen? Und wo soll die Kleiderstange hängen? Ein paar Klicks auf dem Computer oder ein paar Mal Wischen auf dem Smartphone, die Elemente an den richtigen Platz ziehen, Maße, Holz und Farben auswählen, fertig. So funktioniert der 3-D-Konfigurator von schrankwerk.de. Dahinter steht ein traditionsreiches Familienunternehmen aus Rheine im Münsterland: Die Tischlerei Dickmänken zeigt, wie sich auch ein 90 Jahre alter Handwerksbetrieb zu einem modernen Onlineanbieter weiterentwickeln und sich neue Kunden erschließen kann.

Dickmänken war lange Zeit ein klassischer Handwerksbetrieb. 1927 vom Großvater der heutigen Geschäftsführer Klaus und Stefan Dickmänken gegründet, fertigten die Tischler vor allem Möbel für gewerbliche Kunden: neue Ladentheken und Regale für Zahnarztpraxen, Schmuckboutiquen oder Cafés.

Bereits 2008, als die m eisten Handwerksbetriebe noch nicht daran dachten, dass die Digitalisierung auch ihren Alltag verändern würde, machten sich die Dickmänken-Brüder daran, maßgefertige Möbel über das Internet anzubieten, um neue Kunden zu gewinnen – und gründeten den Onlineshop schrankwerk.de. Dank des integrierten Schrankkonfigurators ordern mittlerweile Privatkunden aus ganz Deutschland bei dem Mittelständler.

Der ehemals zweidimensionale Möbelkonfigurator wurde inzwischen von einer 3-D-Version abgelöst, mit dem der Kunde sein Möbelstück als dreidimensionales Modell aus jedem Winkel betrachten kann. Seit vergangenem Jahr werden außerdem alle Daten, die bei der Kundenbestellung eingehen, automatisch an die Fertigung weitergegeben, um die Produktionszeiten der Schränke, Kommoden und Regale zu verkürzen. Derzeit entwickelt Dickmänken eine Augmented-Reality-Version seines Möbelkonfigurators: Künftig sollen sich die Kunden ein noch realistischeres Bild ihres Schranks im eigenen Wohnzimmer machen können.

Digitales Kundenerlebnis: Weiss + Appetito Communication
Das Unternehmen erspart Reisenden die Suche nach Kleingeld für Schließfächer.

Auf dem Weg zum Kundentermin schnell noch den Koffer im Schließfach am Bahnhof verstauen, das kann in Bargeld-Deutschland Nerven kosten. Wer kein Kleingeld für das Schließfach parat hat, muss Scheine in Münzen tauschen. Das ist nicht nur für den Reisenden lästig. Auch die Betreiber der Fächer müssen die Münzen später aufwendig einsammeln.

Das Dienstleistungsunternehmen Weiss + Appetito Communication hat eine digitale Lösung für dieses Problem entwickelt: Wer ein Schließfach mieten will, kann das über eine App erledigen. Die sogenannten Smart Lockers können schon von zu Hause oder unterwegs aus reserviert werden, das Fach selbst öffnet und schließt man über sein Smartphone, indem man den QR-Code am Schließfach scannt und sich mit Benutzernamen und Passwort anmeldet.

Die Duisburger Firma gehört zur Unternehmensgruppe Weiss + Appetito mit Hauptsitz im schweizerischen Bern, die unter anderem Festnetz- und Mobilfunkstandorte in Deutschland und der Schweiz baut, darunter für die Deutsche Telekom und Vodafone. In der neu gegründeten Abteilung Smart Communications entwickelt das Unter nehmen allerdings auch plattformbasierte Systeme für Privatkunden in vielen verschiedenen Bereichen, zum Beispiel für das Bezahlen an Autowaschanlagen oder an Ladestationen für E-Autos.

Die Jury des Digital Champions Awards bezeichnet die Smart Lockers als Beispiel dafür, „dass ein nachhaltiges, digitales Kundenerlebnis geschaffen werden kann, das sich deutlich von den angestammten Lösungen unterscheidet und sich nahtlos in die Digitalisierung des Alltagserlebnisses von Kunden einfügt“.

Talentwunder und Qiagen

Digitale Produkte und Dienstleistungen Talentwunder
Das Start-up hat erkannt: Wenn Bewerber nicht von selbst kommen, muss man sie suchen, wo sie unterwegs sind.

Wer früher einen Job suchte, bewarb sich bei Unternehmen. Heute ist es andersherum. Gerade in der IT-Branche konkurrieren viele Firmen um wenige Top-Talente – Firmen sprechen Studenten an, um sie von sich zu überzeugen. Nur: Wo sollen die Unternehmen überhaupt suchen? Auf den Karriereplattformen LinkedIn und Xing, im sozialen Netzwerk Facebook oder doch besser gleich im Entwicklerforum GitHub? Wie finden die Firmen auf den Plattformen unter Millionen Menschen genau die Kandidaten, die sie suchen?

Das Start-up Talentwunder hat dafür ein gleichnamiges Tool entwickelt, das mehr als 75 soziale Netzwerke mit insgesamt 1,7 Milliarden Profilen nach passenden Kandidaten durchforstet. Dafür führt die Software datenschutzkonform allerlei öffentlich verfügbare und beruflich relevante Informationen zusammen. Unternehmen können so etwa gezielt nach Java-Entwicklern oder Herzchirurgen auf der ganzen Welt oder in einer bestimmten Region suchen – und Kontakt zu ihnen aufnehmen, um sie an- und abzuwerben. Und nicht nur das: „Wir können mithilfe unserer Algorithmen zum Beispiel berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Kandidaten offen für einen Jobwechsel oder Umzug sind“, sagt Andreas Dittes, Geschäftsführer von Talentwunder.

Die Jury des Digital Champions Awards sieht in dem Ansatz von Talentwunder „eine digitale Lösung für eine der zentralen Herausforderungen der digitalen Wirtschaft, die Suche nach sehr guten Kandidatinnen und Kandidaten“.

Und die Kandidaten? Denen kommt das Angebot von Talentwunder gerade recht: Laut einer Studie der Universität Bamberg wird etwa die Hälfte der Jobsuchenden lieber direkt von Personalern in sozialen Netzwerken kontaktiert, als sich aus eigener Initiative bei einem Unternehmen zu bewerben.

Digitale Prozesse und Organisation: Qiagen
Das Biotechunternehmen hat einen digitalen Onlineshop entwickelt, der auch auf Beratung setzt.

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Jeff Bezos auf die Idee kam, Bücher übers Internet zu verkaufen. Der Gründer von Amazon hat damit auch andere Branchen inspiriert: Mode, Musikinstrumente, Medikamente – fast alles kann man inzwischen im Netz kaufen. Doch längst nicht jedes Produkt ist so selbsterklärend, dass es sich problemlos in einen Onlineshop stellen und verkaufen lässt.

Das Biotechunternehmen Qiagen beispielsweise bietet Laborinstrumente zur Aufreinigung, Verarbeitung und Analyse von biologischen Proben, für DNA etwa oder Proteine aus Blut oder Gewebe. Sie kommen bei der Diagnose von Krankheiten, der Aufklärung von Verbrechen oder der Qualitätsprüfung von Lebensmitteln zum Einsatz. Und auch Qiagen sieht sich als eine Art Amazon.

Quiagen hat einen digitalen Onlineshop entwickelt, der auch auf Beratung setzt. Quelle: PR

Nur dass die 500 000 Kunden des Unternehmens mit Sitz in Hilden bei Düsseldorf hier nicht nach einem Buch suchen, sondern beispielsweise bestimmte chemische Lösungen oder Instrumente fürs Labor benötigen. Und gleichzeitig wissen wollen, wann sie sie erneuern müssen. Im Portal können sie deshalb nicht nur neue Produkte bestellen, sondern auch den Verbrauchsstatus der gekauften Geräte einsehen. Algorithmen schlagen ihnen nach dem Einloggen Produkte vor, die sie bereits bestellt haben oder die augenblicklich hilfreich sein könnten.

Nach eigenen Angaben erwirtschaftet das Unternehmen bereits einen zusätzlichen Umsatz im einstelligen Millionenbereich. Ein Onlineshop an sich stelle zwar heute keine große Innovation mehr dar, räumt die Jury des Digital Champions Awards ein. Aber: In dem besonderen geschäftlichen Umfeld von Qiagen sei die Lösung durchaus prämierungswürdig, heißt es in der Begründung.

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