Digitale Lesegeräte Elektronisches Papier mischt den Büchermarkt auf

Digitale Lesegeräte, die Hunderte von Büchern und Zeitschriften speichern, machen dem gedruckten Wort Konkurrenz. Sieht so tatsächlich die Zukunft des Lesens aus?

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Folien-Display von Plastic Logic: Ausrollbare Zeitung

Steve Jobs nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Produkte anderer zu verreißen. „Das ganze Konzept ist grundlegend falsch, weil die Leute einfach nicht mehr lesen“, ätzte der Apple-Chef jüngst in der „New York Times“.

Jobs Kritik galt dem Amazon Kindle, jenem 300 Gramm schweren Lesegerät, das eine ganze Bibliothek von Büchern sowie Zeitungen und Zeitschriften speichert. Amazon-Chef Jeff Bezos hatte es Mitte November in New York, dem Epizentrum des US-Literaturbetriebs, vorgestellt. Für den ehemaligen Investmentbanker Bezos, der sein Milliardenvermögen mit dem Verkauf von gedruckten Büchern und Unterhaltungselektronik über das Internet machte, ist der Kindle „die Zukunft des Lesens“. Am 19. November 2007 startete Amazon mit dem Verkauf des Geräts. Fünfeinhalb Stunden später war es ausverkauft – und ist es trotz des stolzen Preises von 399 Dollar bis heute geblieben. Den Kindle, wie fast alle elektronischen Buchlesegeräte vorerst nur in den USA erhältlich, gibt es drei Monate nach dem Verkaufsstart trotz der angeblichen Lesefaulheit der Amerikaner immer noch nur nach langer Wartezeit. „Die Nachfrage war viel höher, als wir erwarteten“, sagt Amazon-Sprecher Andrew Herdener. Über die verkauften Stückzahlen schweigt er sich jedoch aus.

Auch die Kindle-Konkurrenten  haben Probleme, die große Nachfrage zu befriedigen. Zwar hat Jobs recht: In den USA, dem größten Buchmarkt der Welt, liest weniger als die Hälfte der Bevölkerung regelmäßig ein Buch. Doch der Rest des Marktes ist immer noch groß genug, um dort gute Geschäfte zu machen. Und mit dem Kindle scheint Bezos einen Nerv getroffen zu haben. Vor allem, weil er genügend Verleger bewegen konnte, an dem Experiment teilzunehmen. Rund 90.000 Bücher gibt es derzeit für den Kindle, dazu ein Dutzend Zeitungen und Zeitschriften. Außerdem fast alle Titel der „New York Times“-Bestsellerliste. Die bietet Amazon zum Einheitspreis von 9,99 US-Dollar an, bis zu 40 Prozent unter dem Preis der Druckausgabe – und höchstwahrscheinlich von Amazon subventioniert.

Liegt im Plastikgerät mit dem stromsparenden Bildschirm, auf dem die Seiten eines Buches per Knopfdruck umgeblättert werden, tatsächlich die Zukunft? Werden Bücher und Zeitungen künftig auf displayähnlichen Folien gedruckt und mit bewegten Bildern kombiniert – eine Technik, wie sie die britische Autorin Joanne K. Rowling für ihre „Harry Potter“-Romane ersann?

So viel ist klar: Das Buch, jahrhundertelang eine Sammlung von in Leder oder Pappe gebundenen Blättern aus Papier, wird seine Gestalt drastisch verändern. Das Wort wird bleiben – aber es wird zunehmend nicht mehr auf Papier gelesen, sondern auf einem Bildschirm, geliefert per Internet an jeden Ort der Welt.

Wie beim „Brockhaus“, dem bekanntesten deutschen Lexikon, die Zierde vieler Bücherregale. Andreas Langenscheidt, Aufsichtsratschef des Brockhaus Verlags, will die gedruckte Ausgabe des Lexikons zugunsten einer kostenlosen Internet-Version einstellen. Die Konkurrenz durch Gratis-Anbieter wie Wikipedia, bei der Fachleute und Laien gemeinsam Einträge schreiben und bearbeiten, sei zu groß. Wikipedia wird ständig aktualisiert. Und seine Einträge werden stärker vom Zeitgeist beeinflusst. Zwar hat die Pop-Prinzessin Britney Spears inzwischen auch in die „Encyclopedia Britanica“ Eingang gefunden – mit knapp 500 Wörtern. Wikipedia jedoch widmet ihr gleich mehrere Seiten. „Es interessiert eben viele Leute. Was ist schlimm daran?“, sagt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.

Den Bildungsbürger mag die Vorstellung gruseln, dass es demnächst Bücher wie an der Wursttheke gibt, scheibchenweise in Kapiteln. Doch die Verlage finden Gefallen an dem Konzept. Der größte US-Buchverlag Random House, eine Tochter des deutschen Medienkonzerns Bertelsmann, beispielsweise hat „Made to stick“ (zu Deutsch: „Was bleibt“), einen Management-Bestseller von Stanford-Professor Chip Heath und seinem Bruder, dem Unternehmensberater Dan Heath, digital aufbereitet. Die ersten Kapitel des Buches können ab März auch in Deutschland auf Lesegeräten kostenlos gelesen werden, bevor man sich zum Kauf der Gesamtausgabe entscheidet.

Ein gutes Buch zu finden, egal, ob in gedruckter Version oder als elektronische Ausgabe, ist dank des Internets heute leichter denn je. Web-Seiten wie Librarything, Shelfari, Booktribes und All Consuming listen auf, was andere mit ähnlichen Geschmäckern lesen. Vorreiter ist der vom Programmierer Tim Spalding im August » 2005 in Portland gestartete Service Librarything, eine Art soziales Netzwerk für Buch-Liebhaber. Bei Librarything kommt es nicht darauf an, wen man kennt, sondern was man liest. Beim Brockhaus wird die Bildung in Metern gemessen. Bei Librarything nach der Zahl der Bücher, die man gelesen hat. Seine Mitglieder können kundtun, welche Bücher sie besitzen und was sie gerade lesen. Die ersten 200 Bücher sind umsonst, weitere Titel kosten zehn Dollar im Jahr. Librarything vergleicht die Geschmäcker seiner 350 000 Mitglieder und empfiehlt auf dieser Grundlage ähnliche Werke. Die Auswahl ist groß: 20 Millionen Bücher sind mittlerweile erfasst und mit Empfehlungen versehen. Mittlerweile gibt es auch eine deutsche Version der Web-Seite. „Die Seite bietet einen unschätzbaren Einblick in persönliche Vorlieben von Konsumenten und ihr Einkaufsverhalten“, freut sich Hannes Blum, Chef des Internet-Buchhändlers Abebooks, der einen 40-Prozent- Anteil an Librarything erworben hat. Abebooks wiederum gehört zum deutschen Medienkonzern Burda.

Auch Google und Microsoft sorgen dafür, dass es stets genügend digitalen Lesebestand gibt. Beide Konzerne haben es sich zum Ziel gemacht, Bücher zu digitalisieren. Hunderte Millionen Buchtitel gibt es weltweit, doch nur ein Bruchteil davon in digitaler Form. Google jagt nun in Kooperation mit Universitätsbüchereien täglich 3000 Bücher durch spezielle entwickelte Hochleistungsscanner, rund 1,5 Millionen Titel sind bereits erfasst. Viele davon sind unter Google Book Search zu finden. Eine andere gute Quelle für Lesestoff ist Project Gutenberg. Auf der Web-Seite www.gutenberg.org hat die Stiftung rund 24.000 Bücher zusammengetragen, die in einer elektronischen Version gratis auf Computer und Mobiltelefone heruntergeladen werden können. Die meisten Bücher sind ältere Werke, bei denen die Nutzungsrechte der Autoren er-loschen sind. Und Amazon lädt Autoren ein, ihre Werke für den Kindle anzubieten. Die Vermarktung übernimmt der Internet-Händler, der Autor erhält eine Tantieme von 35 Prozent des Verkaufspreises.

Sollte in 100 Jahren die Geschichte des modernen Buchs geschrieben werden, dann beginnt sie wahrscheinlich im Frühjahr 1996, in einem Labor des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Professor Joe Jacobson, ein Experte für Lasertechnologie, hatte sich damals gerade einem neuen Projekt verschrieben: elektronischem Papier. Auf einem Substrat richtete der Professor feinste Partikel aus, die beim Anlegen einer elektrischen Spannung ihre Farbe von Schwarz nach Weiß änderten und ihren Zustand beibehielten. Auf diese Weise ließen sich wie auf einer Buchseite Texte darstellen und per Knopfdruck wieder löschen. „Das ist der Durchbruch für elektronische Bücher“, jubelte der Professor, den er „für das Jahr 2000“ erwartete, dem damals magisch klingenden Datum für eine schöne, neue Zukunft. Es hat ein wenig länger gedauert. Aber das elektronische Papier, mit dem der Kindle und sein Konkurrent Sony PR505 Buchseiten und auch Fotos in mehreren Graustufen abbilden, geht auf Jacobsons Erfindung zurück.

Hergestellt wird das elektronische Papier heute von der Firma E-Ink aus Cambridge, die vom MIT-Professor beraten wird. Normalerweise können die E-Ink-Displays nur Graustufen darstellen. Doch E-Ink-Chef Russ Wilcox ist überzeugt, schon bald auch farbige Bilder darstellen zu können. Er will dazu Filter über das Display legen. So sollen sich schon bald auch farbige Illustrationen in elektronische Bücher einbinden lassen. Firmen wie die Philips-Tochter Polymer Vision und Plastic Logic arbeiten gleichzeitig an der Entwicklung flexibler E-Ink-Displays. Das deutsch-britische Unternehmen Plastic Logic will noch in diesem Jahr in Dresden die Produktion von elektronischem Papier produzieren, das nur 0,1 Millimeter stark und deshalb aufrollbar ist. Polymer Visions arbeitet an einem flexiblen Display auf der Basis der E-Ink-Technologie. In diesem Jahr will es ein Handy präsentieren, bei dem sich der Bildschirm ausrollen lässt.

Schon heute lassen sich Mobiltelefone als Lesegerät nutzen. Textonphone.com ist ein speziell fürs iPhone entwickelter Dienst, der rund 20.000 Bücher für eine Lektüre auf Apples Mobiltelefon aufbereitet hat. Die Deutsche Bibelgesellschaft hat sogar die Bibel iPhone-gerecht aufbereiten lassen. Über die Software von Readdle lassen sich Bücher und Artikel ins Web laden und von dort über Mobilfunk oder ein WLAN-Netz auf Mobiltelefonen lesen.

In Japan, bei moderner Handynutzung dem Rest der Welt um Jahre voraus, werden mit elektronischen Büchern in diesem Jahr voraussichtlich rund 100 Millionen Dollar umgesetzt. Schon gibt es ein eigenes Genre von Mobiltelefon-Romanen – Keitai Shosetsu genannt. Die Geschichten werden nicht nur auf dem Handy gelesen, sondern auch auf diesen verfasst. Das Erstlingswerk der japanischen Jungautorin Mika mit dem Titel „Himmel der Liebe“ lasen etwa 20 Millionen Japaner zunächst per Handy oder Notebook. Später wurde es verfilmt und dann zum Bestseller – in der gedruckten Fassung.

Und auch in den USA, dem größten Buchmarkt der Welt, entwickelt sich das Geschäft mit elektronischen Büchern allmählich. Wurden damit im Jahr 2002 nur etwa fünf Millionen Dollar Umsatz erzielt, waren es nach Schätzungen der IDPF – des Interessenverbandes elektronischer Buchverleger – 2007 bereits rund 25 Millionen Dollar. Das Geschäft mit gedruckten Büchern ist allerdings 1000-mal so groß.

Das gute alte Buch ist also gut 550 Jahre nach Johannes Gutenbergs Erfindung einer Drucktechnik mit beweglichen Lettern noch längst nicht am Ende. Zumal es sich dank neuzeitlicher Druckverfahren, die aus der Computertechnik kommen, immer billiger herstellen lässt. Miniauflagen von mehreren Hundert Stück rechnen sich deshalb in USA schon ab einem Verkaufspreis von drei Dollar pro Buch.

Auch viele vergriffene Werke lassen sich so mit geringem Kapitaleinsatz nachdrucken. Das erkannte die New Yorker Journalistin Maggie Topkis. Die Gründerin des US Buchverlags Felony & Mayhem Press forscht in Großbritannien nach Krimis, die nicht mehr aufgelegt werden, und kauft den Autoren die US-Rechte ab. Den Vertrieb der Nachdrucke wickelt sie selber ab. Topkis Mini-Verlag, 2005 mit 250.000 Dollar Startkapital gegründet, schreibt bei Umsätzen von fast einer Million Dollar inzwischen schwarze Zahlen. Von Kindle und Co. lässt sich das noch nicht sagen.

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