Digitale Optimisten
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Exodus aus dem Silicon Valley – die neue Arbeitswelt nach Corona

Das Silicon Valley war jahrelang der Magnet für top ausgebildete Techies. Mit Corona treten die Schattenseiten stärker hervor. Wird die Post-Corona-Arbeitswelt zu einer neuen Art von digitalem Nomadentum führen?

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„Hey Alex, ich bin erstmal raus aus San Francisco. Ich ziehe nächste Woche nach Hawaii und arbeite von da aus“. Diese Nachricht bekam ich vor einigen Wochen von einer Freundin, die für Google in San Francisco arbeitet und die großzügigen Homeoffice-Richtlinien, die der Tech-Konzern bis Mitte 2021 verkündete, in die Verwirklichung eines echten Lebenstraums verwandelte. Surfkurse statt lange Staus auf dem Highway 101 – so zumindest die ersten Gedanken, die mir in den Sinn kamen. Die nächsten: Ist das der Beginn eines Trends, einer größeren De-Urbanisierung, die Knowledge Worker raus aus der teuren, engen Stadt treibt und überall dahin, wo ein großer Garten, ein sauberer Strand und eine stabile Internetverbindung mehr Lebensqualität versprechen? Und wenn ja, was macht das mit dem Arbeitsmarkt?

Schon in den frühen 1980ern prognostizierte Andy Grove, Management-Guru, Spitzenmanager von Intel und Autor des – unter Start-up-Gründern des Silicon Valleys wiederentdeckten – Bestsellers High Output Management, dass das stetige Voranschreiten von Informationstechnologie letztlich zu einem globalen und nicht mehr nur lokalen Wettbewerb um Knowledge-Jobs führen wird. Wenn alle sowieso in Remote-Teams arbeiten, warum kann die Software-Entwicklerin dann nicht auch an der Westküste Frankreichs sitzen, oder der Produktmanager in Südafrika? Einzige verbleibende Einstellungsvoraussetzungen wäre dann vielleicht nur noch die Bereitschaft, zeitzonenübergreifend zu arbeiten.

Corona verändert den Arbeitsmarkt. Die neue Heimarbeit ist für viele attraktiv – könnte aber eine berufliche Zweiklassengesellschaft schaffen.
von Renate Köcher

Ein Schritt zurück ins San Francisco des Jahres 2019, im Jahr 1 b.c. (before Corona): Schwärme von top-ausgebildeten Twenty- & Thirty-Somethings zieht es nach San Francisco und ins Silicon Valley, wo an der Zukunft gearbeitet wird. Der offenkundige Preis dafür: Absurd hohe Mieten und ein heiß umkämpfter Wohnungsmarkt, wo eine 70-Quadratmeter-Wohnung unter 4000 Dollar pro Monat ein echtes Statussymbol ist. Nicht selten machen manche einen echten Rückschritt in ihrer Lebensqualität. Viele meiner Freunde Mitte 30 sind zurück in eine WG gezogen, oder in ein winziges Studio-Apartment, um die Kosten im Griff zu halten. Ich selbst habe viel zu viel Geld für ein schlecht isoliertes „Two-bedroom“ gezahlt, in dem ich die Gespräche der Nachbarn mühelos mithören konnte. Dann schlägt Corona wie ein Meteorit im Silicon Valley ein, viele Tech-Firmen machen das Homeoffice zum Standard und lassen so die Luft aus dem überhitzten Wohnungsmarkt. Die Folge: Rapide fallende Mieten und mehr „For rent“-Schilder als jemals zuvor.

So sieht es heute aus, aber was sind die Auswirkungen auf die Zukunft? Eine die es wissen muss, ist Hanna Asmussen, CEO und Gründerin von Localyze. Hanna ist eine der ganz wenigen Deutschen, die es in den Olymp der Early-Stage-Ventures geschafft hat: ihr Start-Up wurde im Jahr 2019 in den Y Combinator aufgenommen, einer Art Eliteprogramm für besonders vielversprechende Start-ups im Silicon Valley. Hier nahmen schon milliardenschwere Firmen wie Dropbox, Stripe oder Airbnb ihren Anfang. Hanna setzt mit Localyze auf die internationale Mobilität von Arbeitnehmern – und Unternehmen, die topausgebildetes Personal auf der ganzen Welt suchen. Die damit einhergehenden komplexen administrativen Prozesse, von Arbeitsgenehmigungen über Umzüge bis hin zur Integration im neuen Heimatland, macht Localyze einfach und transparent.

Vor Corona schätzte Hanna den Markt auf 60 Milliarden Dollar, heute inmitten steigender Fallzahlen, Reisewarnungen, geringerem Wirtschaftswachstum und der Möglichkeit einer auf links gedrehten Arbeitswelt ist noch nicht klar, wie groß der Markt kurz- und langfristig sein wird. Hanna hat es am eigenen Leib erfahren: Sie musste durch die Coronakrise die internationale Expansion von Localyze in die USA erst einmal auf Eis legen und zurück nach Deutschland fliegen.

Das volle Interview mit Hanna finden Sie hier im Podcast „Digitale Optimisten“ Apple Podcasts / Spotify

Hanna Asmussen hat gemeinsam mit ihren Geschäftspartnerinnen Lisa Maria Dahlke und Franziska Löw das Start-up Localyze gegründet. Quelle: Privat

Dennoch ist Hanna voller Optimismus für die Zukunft von Localyze – mit einem interessanten Twist. Denn Corona ändert zwar vieles, aber die Probleme von Anfang 2020 sind nicht einfach weg. Insbesondere der Fachkräftemangel bleibt ein dominierendes Thema von Personalabteilungen überall auf der Welt. Hanna rechnet damit, dass topausgebildete Arbeitnehmer in der Folge noch anspruchsvoller und mehr umziehen werden, nur die Richtung dieser Wechsel ändere sich. Es geht jetzt nicht mehr automatisch in die Nähe des Arbeitgebers, sondern in neue Tech-Hubs überall auf der Welt, die perfekte soziale, klimatische und infrastrukturelle Bedingungen für digitales Arbeiten bieten.


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Was mehr „remote“ und weniger „in-person“ langfristig für den Arbeitsmarkt und -kultur bedeutet, weiß niemand. Klar ist aber, dass ein Job mehr ist als nur das Erreichen von Zielen und das Einhalten von Deadlines. Menschen sind soziale Wesen – und was auf der Plusseite an Flexibilität und Selbstbestimmtheit steht, könnte auf der anderen Seite zu weniger Gemeinschaft und Verbundenheit mit dem Job führen – eine neue Form von digitalen Nomadentum. So oder so, San Francisco wird bald sicher weniger Einwohner haben als noch vor der Krise.

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