Digitaler Polizeifunk Warum das Milliarden-Netz ausgerechnet in der Katastrophe versagt hat

Quelle: imago images

Falsche Sparsamkeit bei den Basisstationen, zu wenig Ressourcen, und an Notfalltechnik fehlt es auch: Die Unwetterkatastrophe hat grundlegende Mängel beim digitalen Behördenfunk aufgedeckt.

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Der Ausfall, den es gar nicht geben darf, trifft die Rettungskräfte im Rhein-Sieg-Kreis mitten in der Unwetternacht der vorvergangenen Woche. Starkregen überschwemmt da bereits das Ahrtal und einige Regionen in der Eifel. Und ausgerechnet, als das Wasser steigt, Bewohner und Helfer in Lebensgefahr geraten, versagt nach dem Telefon- und dem Mobilfunknetz in weiten Teilen des Landkreises, der die Stadt Bonn umschließt, auch noch das digitale Behördenfunknetz. Dabei sollten sich Polizei, Feuerwehren und Rettungsdienste gerade über dieses besonders gesicherte Netz auch dann noch zuverlässig austauschen können, wenn sonst nichts mehr funktioniert.

Genau das aber klappt in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gerade dort nicht, wo die Gefahr am größten ist. Weil der Behördenfunk versagt, herrscht im Führungsstab des Kreises plötzlich Blindflug, kommen Lagemeldungen aus den besonders betroffenen und von einem möglichen Dammbruch der Steinbachtalsperre bedrohten Orten Rheinbach und Swisttal in der Leitstelle nicht mehr an. Am Ende greifen die Verantwortlichen auf ein Konzept aus der Steinzeit des Katastrophenschutzes zurück und schicken Erkunder mit Pkw, Notizbuch und Kugelschreiber ins Katastrophengebiet.

Der Netzausfall war kein lokales Phänomen im Bonner Hinterland. Auch aus dem von den Fluten noch härter getroffenen Kreis Ahrweiler berichten Einsatzkräfte von zunehmender Verzweiflung in den Führungsstäben, als in der Katastrophennacht immer mehr Teile des Kreisgebietes über den Digitalfunk plötzlich nicht mehr erreichbar sind. Steigende Fluten lassen Basisstationen des Netzes absaufen, reißen Stromleitungen und die Verbindungsleitungen zu den Vermittlungsstellen weg, über die die Funkzellen ans Kernnetz angebunden sind.

„Wozu“, zürnt nach der Katastrophe ein führender Katastrophenmanager aus einer betroffenen Region, „haben wir das milliardenteure Digitalnetz eigentlich aufgebaut, wenn es beim ersten großen Härtetest derart versagt?“

von Thomas Kuhn, Harald Schumacher, Tobias Gürtler

Wieder ist niemand wirklich verantwortlich 

Diese Frage treibt nun nicht bloß die Behörden in den Katastrophengebieten um. Auch zwischen Bund und Ländern schwelt bereits ein Streit darüber, wer für die schwerwiegenden Ausfälle verantwortlich ist. Beide haben das BOSnet genannte Funknetz gemeinsam aufgebaut und betreiben es zusammen für inzwischen knapp 900.000 Nutzer bundesweit. Technisch ähnelt BOSnet den bestehenden kommerziellen Mobilfunknetzen. Betrieben wird es von der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) mit Sitz in Berlin, die in die Verantwortung des Bundesinnenministeriums fällt.

Die Verantwortung für den Ausbau des Netzes aber teilen sich Bund und Länder. Schließlich nutzen Bundesbehörden wie der Zoll oder das Technische Hilfswerk das Netz gleichermaßen wie etwa die Landespolizeien, die vielfach von den Landkreisen betriebenen Rettungsdienste oder die kommunalen Feuerwehren. Und wieder einmal scheint es genau in diesem Verantwortungsgewirr gefährlich zu knirschen.

Der Innenausschuss des Bundestages beriet am Montag in einer Sondersitzung über besseren Katastrophenschutz. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte an, dass als eine Konsequenz nun rasch Katastrophen-Warnungen per SMS eingeführt werden sollten. „Ich glaube, man kann das in diesem Jahr hinbringen.“ Wie die Grünen hält auch die SPD eine Debatte über eine Verfassungsänderung für erforderlich, um die Rolle des Bundes etwa bei der Koordinierung von Hilfseinsätzen zu stärken.



Seehofer zeigte sich zuversichtlich, dass das Cell Broadcast – also Warnmeldungen an die Bevölkerung via Mobilfunk – rasch eingeführt werden könne. CDU-Innenexperte Mathias Middelberg unterstützte dies: „Für umfassende Warnungen brauchen wir einen möglichst breiten Mix an digitalen und analogen Warnmitteln. Dazu gehören die NINA-Warn-App, TV und Rundfunk, Sirenen und Lautsprecherdurchsagen vor Ort. Darüber hinaus ist es richtig, die Warn-SMS als Ergänzung einzuführen.“

3,6 Milliarden Euro steckt allein der Bund bis 2030 in Aufbau und Betrieb seines Teiles des Netzes, vorwiegend der Infrastruktur im Hintergrund, die Rechenzentren und rund 64 Vermittlungsstellen, das Kernnetz und die IT zum Nutzer- und Rechtemanagement. Mindestens in gleicher Höhe, so Schätzungen, liegen die Investitionen der Länder, die für den Ausbau des Netzes in der Fläche verantwortlich sind, die Anzahl, die Standorte und die Ausstattung der Basisstationen, deren Anbindung ans Vermittlungsnetz sowie der Anschlüsse der Polizei- und Rettungsleitstellen ans Netz. Milliarden für ein ganz besonders robustes und zugleich abhörsicheres Netz, das auch dann noch funktioniert, wenn die Infrastruktur kommerzieller Fest- und Mobilfunkanbieter versagt. Oder genauer gesagt: hätte funktionieren sollen. 

Minutenlang kein Anschluss ins Netz

Denn die Liste der Mängel ist lang, wie sich in der Katastrophennacht und in den folgenden Tagen gezeigt haben. Nicht nur, dass der Funk über größere Distanzen wie im Ahrtal oder dem Rhein-Sieg-Kreis zeitweilig komplett ausgefallen ist. Auch da, wo die Technik zumindest prinzipiell noch funktionierte, berichten eingesetzte Rettungskräfte von massiver Netzüberlastung.

von Tobias Gürtler, Leonie Tabea Natzel

„Funksprüche abzusetzen, war teils minutenlang völlig unmöglich, weil der Verbindungsaufbau nicht klappte“, erzählen Helfer auch aus dem schwer getroffenen Umland von Aachen, aus dem Kreis Euskirchen sowie aus dem Rhein-Erft-Kreis, wo die Fluten unter anderem Teile von Erftstadt überflutet hatten. „Früher, beim alten Analogfunk, hast du die Sprechtaste gedrückt und konntest funken“, schimpft eine Führungskraft aus Erftstadt. „Heute musst du hoffen, dass dich das Netz überhaupt rein lässt.“

Im Normalbetrieb, das belegen die täglichen Auswertungen verschiedener Netzverantwortlicher, ist das kein Problem. Genau dann aber, als es darauf angekommen wäre, war es das sehr wohl. Offiziell will sich dazu weder beim Bund noch bei den betroffenen Ländern derzeit jemand äußern. „Jetzt geht es erst einmal darum, die Lage abzuarbeiten“, heißt es bei einem der zuständigen Landesministerien. „Wir arbeiten gemeinsam mit Bund und Ländern mit Hochdruck daran, die Funktionsfähigkeit des Digitalfunks auch in dieser Extremlage sicherzustellen“, schreibt die BDBOS auf Anfrage.

Hinter vorgehaltener Hand aber werden die Beteiligten deutlicher. 

Keine Chance für die Notstromversorgung

Erste Analysen zeigen, dass die Wassermassen gerade im Ahrtal an vielen Orten entweder die Stromversorgung der Basisstationen oder die Datenleitungen zu den Vermittlungsstellen überflutet oder gleich ganz weggerissen haben. Fehlt letztere, kann die jeweilige Funkzelle zwar noch Verbindungen zwischen den dort aktuell angemeldeten Funkgeräten vermitteln. Die Kommunikation mit anderen Basisstationen – etwa in anderen Teilen eines Landkreises – aber ist nicht mehr möglich. Und auch weitere Hilfskräfte, die zur Unterstützung entsandt werden, können sich im betroffenen Gebiet nicht mehr übers Netz mit den dort schon tätigen Helfern verbinden.

Dazu kommt, dass viele der rund 5000 Basisstationen bundesweit nur eine begrenzte Zeit ohne Netzstrom arbeiten. Teils sind die Batteriepuffer bereits nach zwei Stunden leer, andere nach vier oder sechs Stunden. Nur ein Teil der Stationen verfügt über eigene Notstromaggregate, Dieselgeneratoren oder Brennstoffzellen. An vielen Standorten war zwar für einen lokalen Stromausfall vorgesehen, dass Feuerwehren oder Technisches Hilfswerk einen Generator zu den Stationen bringen und Strom einspeisen. „Aber was machst du, wenn die Flut Straßen und Brücken weggerissen hat, über die du hättest zu den Stationen fahren sollen“, fragt sich ein Feuerwehrverantwortlicher, der in der Unwetternacht selbst zahlreiche Fahrzeuge in den Fluten verloren hat. „Wir hatten gar keine Chance, das Netz in Gang zu halten.“

Zusätzlich erschwert wurde die Lage, weil mit Straßen und Brücken oft auch die Kabelschächte und Leitungsverbindungen weggerissen wurden, die Sendemasten und Vermittlungstechnik im Hintergrund verbunden haben. „Offenbar waren die Leitungen zu den Stationen nicht ausreichend gegen solch katastrophale Zustände gesichert“, gibt ein BOSnet-Insider zu bedenken. Nicht überall im Bundesgebiet setzen die Länder auf eigene Leitungen oder eigene Richtfunkverbindungen, die die Basisstationen versorgen. 

Sichere Leitungen sind fünf bis fünfzigmal teurer

„Vielerorts haben die Verantwortlichen in den Ländern einfach Anschlüsse über das reguläre Netz der Kommunikationsanbieter gemietet, statt eigene ‚gehärtete‘ Leitungsstrecken aufzubauen“, sagt ein Experte für Kommunikationsnetze bei einer der Hilfsorganisationen. Das ist wohl auch eine Kostenfrage. Die Technik der Netzbetreiber zu mieten, kostet nur einen Bruchteil dessen, was beim Aufbau eigener Leitungen fällig wird. Erst recht, wenn diese nicht durch die Leerrohre entlang bestehender Verkehrswege verlaufen sollen, sondern beispielsweise tief unterhalb von Flussbetten oder in Tälern weit oben am Hang fernab von Überflutungsgefahren. 

„Je nach Aufwand und Sicherheitsanspruch kosten solche gesicherten Leitungen einschließlich der Verlegung zwischen fünf und fünfzigmal mehr als eine gemietete Glasfaser bei der Telekom oder einem anderen Anbieter“, so der Netzexperte. Gerade in Flächenländern hätte manch verantwortliches Innenministerium angesichts der Vielzahl der anzuschließenden Standorte denn auch aus Kostengründen lieber Leitungen gemietet statt selbst welche zu legen.

Anders offenbar beim Bund, wo es heißt, dass die Leitungen des Kernnetzes weit überwiegend „gehärtet und auf eigenen Trassen“ verlegt seien. Tatsächlich, berichten Fachleute, sei die Infrastruktur im Hintergrund von den Ausfällen nicht betroffen. Eine einzige Vermittlungsstelle, heißt es aus dem Kreis der beteiligten Behörden, sei im Rhein-Sieg-Kreis von einer Überflutung bedroht gewesen. „Aber da hatten wir schon alle Ersatzleitungen zu einer Ausweichstation vorbereitet“, sagt ein Techniker. „Wäre das Wasser noch etwas gestiegen, hätten wir einfach umgeschaltet.“

Doch auch ihm ist klar: „Was nützt ein funktionierendes Kernnetz, wenn die Technik auf der sogenannten ‚letzten Meile‘ versagt, wenn Helfer in Leitstellen, in Einsatzfahrzeugen oder an den Handfunkgeräten niemanden mehr erreichen?“ Zumal die Katastrophe noch einen weiteren schweren Engpass offenbart hat: Gerade in ländlichen Regionen fehlten speziell in der Krise auch dort Funkkapazitäten, wo die Basisstationen gar nicht ausgefallen sind. 

Riskante Sparsamkeit auf dem Land

Denn gerade dort, wo wenig Menschen leben und wenig passiert, ist auch die Übertragungstechnik knapper dimensioniert als in den Ballungsräumen – und können deshalb deutlich weniger Gespräche vermittelt werden. „Was im regulären Einsatzalltag ausreichend und effizient erscheint, fällt uns in Großlagen wie derzeit umso schmerzlicher auf die Füße“, so ein Funkplaner aus dem Kreis der Hilfsorganisationen.

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Inzwischen haben Bund und Länder in den betroffenen Gebieten deutlich aufgerüstet. Die BDBOS etwa hat zehn mobile Basisstationen in die Hochwassergebiete geschickt, die sich via Satellitenfunk mit dem Kernnetz verbinden und die zerstörten Anlagen vor Ort zunächst ersetzen. Aber auch da zeigen sich Engpässe: Geplant war, rund das Vierfache an derartigen Notstationen zu beschaffen. Bestellt und geliefert aber wurden bisher nur zehn.

Mehr zum Thema: Die zerstörerische Flut hat den meisten Winzern an der Ahr Haus und Hof, Geräte und Vorräte genommen und Rotwein im Wert von 50 Millionen Euro vernichtet. Nun kämpfen sie um den Jahrgang 2021 – und mit Unterstützung aus der Luft gegen Schimmelbefall. 

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