For You, Vor Ort, For Bye – es dauerte keine drei Stunden, bis nach der Nachricht der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker ihr erst Ende Oktober 2011 eingeführter Slogan umgemünzt wurde. Die Variation über das eh schon umstrittene Wortspiel stammt aus dem Kurznachrichtendienst Twitter. Der Autor heißt Marcel und wohnt, wie er in seinem Profil angibt, in Kanada, mehr erfährt man nicht. Kaum war die Nachricht über die geplante Insolvenz im Internet verbreitet, machte sich ein Schwarm von Nutzern daran, diese ironisch aufzuspießen, suchten sich der Frust der Mitarbeiter über die Arbeitsbedingungen und der Unmut der Kunden über die Atmosphäre in den Ladengeschäften ein Ventil im Humor. So schnell, dass einige Nutzer nach am Abend darum baten, es gut sein zu lassen mit den Witzen. Das hätten sich wohl auch Karl-Theodor zu Guttenberg und Christian Wulff gewünscht, als kurz nach der Bekanntgabe weiterer Details ihrer Verfehlungen, die Pointen im Internet nur so prasselten.
Freiheit der Künste - Was darf ich schreiben?
Abgeleitet von dem Recht auf Meinungsfreiheit in Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes wird Satire in Deutschland so weit geschützt, dass jeder Mensch andere Menschen öffentlich auf den Arm nehmen darf. Die Worte „Idiot“ oder „Lügner“ bleiben eine Beleidigung.
Und im Falle des Bundespräsidenten eine besonders schlimme, die mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten geahndet wird – falls es zur Anklage kommt, denn einer Anzeige muss der Bundespräsident zustimmen. Anfang Januar zog Christian Wulff eine Klage zurück, nachdem der Urheber einer Fotomontage, die Bettina Wulff mit Hitlergruß zeigte und die mit „Blitzmädel im Afrika-Einsatz“ kommentiert war, dafür um Entschuldigung bat.
Fotomontagen genießen grundsätzlich den gleichen Schutz wie getextete Satiren. Was nun satirisch ist, entscheiden im Ernstfall Gerichte. Es muss klar eine gestalterische Idee zu erkennen sein, sei es durch Verfremdung oder Überspitzung. Vor einer Veröffentlichung eines vermeintlich satirischen Kommentares, empfiehlt es sich daher, zumindest einige Bekannte zu fragen, ob die Satire zu erkennen ist.
Satire soll schon den Ägyptern 2000 vor Christus bekannt gewesen sein, auch in der antiken griechischen Literatur tauchte sie auf. Und ebenso nutzten die Römer die literarische Gattung, um Missstände in der für das Genre typischen Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit anzuprangern. Was der Hofnarr dem mittelalterlichen Herrscher bedeutete, waren in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland die Kabarettisten von Dieter Hildebrandt bis Wolfgang Neuss. Zeitschriften wie „Titanic“ und „Eulenspiegel“ bedienen bis heute das Bedürfnis, den Herrschenden einen mitzugeben und dabei zu lachen.
Keine Sorge, liebe Linkspartei! Vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden, ist völlig harmlos. Da können Sie jeden Nazi-Terroristen fragen.
— Deef Pirmasens (@Deef) Januar 24, 2012
An Prinzip und Wesen der Satire hat sich also seit Jahrtausenden kaum etwas geändert. Einen dramatischen Wandel gibt es nur in der Geschwindigkeit, mit der im Internet-Zeitalter die Pointen das Publikum erreichen. Und dank des unbegrenzten Zugangs und der Möglichkeiten, die das Internet den Nutzern bietet, ihre Witze zu verbreiten, hat sich auch die Autorschaft verändert.
Profis tun sich schwer mit dem Humor im Netz
Ausgerechnet die Satireprofis vom Kabarett, die sich vor Jahren noch zu guten Sendezeiten mit ihren spitzen Beobachtungen in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer spielen konnten, fremdeln mit dem neuen Medium. Christian Schulz, der Manager von Urban Priol, der im ZDF zehn Mal im Jahr mit „Neues aus der Anstalt“ auf den Sender geht, verweigert Anfragen zu Gesprächen über Kabarett im Netz: „Urban Priol lehnt Facebook und Twitter ab.“
Der ebenfalls von Schulz’ Agentur betreute Dieter Nuhr hingegen schreibt seit zwei Jahren fleißig – sogar aus dem Urlaub in Neuseeland – Pointen im Kurznachrichtendienst Twitter. Dort sind mehr als 160 000 Konten verzeichnet, die seinen Witzen mit nicht mehr als 140 Zeichen folgen; auf der Plattform Facebook haben mehr als 100 000 Menschen den „Gefällt mir!“-Knopf gedrückt.
Für mich schon jetzt der Satz des Jahres: "Bin nicht an Bord, weil das Schiff untergeht." Das würde Herr Wulff auch gerne sagen...
— Dieter Nuhr (@dieternuhr) Januar 18, 2012
Für Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“, ist besonders Facebook ein Spielplatz für Satire. „Wir nutzen alle Kanäle für unsere Arbeit“, sagt Sonneborn, der auch Vorsitzender der Satire-Partei „Die Partei“ ist und mit dem stoischen Wiederholen von Politphrasen in Talkshows die Menschen zum Lachen und zum Nachdenken bringt, der hehren Aufgabe guter Satire.
Das Internet hält auch die Profi-Satiriker beim Magazin „Titanic“ auf Trab: „Es ist nicht immer leicht angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Themen wechseln, ein aktuelles Titelblatt zu machen.“ Da hat es das Online-Satiremagazin „Der Postillon“ mit seinen im Stile einer Tageszeitung verballhornten Nachrichten leichter, und auch die „Titanic“ selber sendet unermüdlich Fotocollagen oder „Fast richtige Schlagzeilen“.
Das klassische Kabarett tut sich schwer, etwa die Münchener Lach- und Schießgesellschaft, die die verschiedenen Kanäle vor allem für Hinweise auf das eigene Programm nutzt und auf ihrer Homepage immerhin kurze Filme zeigt. Sonneborn wäre ein Aussterben des politischen Kabaretts egal: „Ich begrüße alles, was zum Tod des Kabaretts beiträgt. Es ist doch eigentlich schon seit mindestens 20 Jahren tot.“ Der Kabarettist Matthias Richling indes lebt noch ganz gut davon, auf Tournee in Theatern oder in seiner Sendung „Studio Richling“ beim SWR. Auch er ist zurückhaltend im Umgang mit dem Internet.
Mediale Ereignisse in Echtzeit aufgespießt
„Ich habe meinen Erfolg parallel mit dem der Grünen begonnen. Und deren erste Leistung war gar nicht mal so sehr der Umweltschutz, sondern vielmehr ein Bewusstsein zu schaffen für die Probleme des Datenschutzes bei der Volkszählung“, sagt Richling. Umso vorsichtiger sei er heute, wenn es um die Datensammler von Facebook und Google ginge. Und auf Twitter Pointen zu schreiben, kommt für ihn auch nicht in Frage: „Viele Gags funktionieren nur in einem größeren Zusammenhang, und ich zerhacke das nicht gerne.“ Dennoch kann Richling den Wort- und Bilderwitzen, die zu Hauf von den Menschen geschrieben werden, etwas abgewinnen: „Es sind viele gute Pointen dabei – ein Beweis dafür, dass das alte Vorurteil, die Deutschen hätten keinen Humor und könnten keinen produzieren, nicht stimmen kann.“
Definiere Deutschland: Im Real 1 Euro Produkte aus China kaufen, an der SB-Kasse zahlen & am 1. Mai gegen Arbeitslosigkeit demonstrieren.
— Prof. Phosphatstange (@Phosphatstange) September 20, 2011
Die Schaffenskraft einer großen Zahl von humoristisch begabten Zeitgenossen, lässt die Arbeit der Profis bisweilen gar fad erscheinen. Einzelne Autoren haben goldene Momente, und ihre besten Einfälle finden wie in einem Schneeballsystem Verbreitung. Blieben in den Zeiten vor dem Internet die intelligenteren satirischen Bemerkungen den Mitgliedern eines Stammtischs vorbehalten, stehen sie heute binnen Sekunden dank internetfähiger Mobiltelefone einem 1000-fachen Publikum zur Verfügung. Und statt per E-Mail-Verteiler die besten Freunde von einem lustigen Fund zu unterrichten, reicht heute ein Verweis auf dem persönlichen Profil von Facebook, um einen Cartoon oder einen Film an die Bekannten weiterzuverteilen.
Kerr da hatt der Wulff aba Glück gehabt, datt ihn keiner seiner Freunde en kostenlosen Luxusurlaub auffe Costa Concordia spendiert hat.
— Otto Redenkämper (@FensterRentner) Januar 16, 2012
Zunehmend werden massenmediale Ereignisse wie das Interview von Bundespräsident Wulff mit den Journalisten Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf parallel aufgespießt und verhohnepipelt. Dank neuer, internetfähiger Fernseher wird diese Art fernzusehen, künftig noch mehr Zuschauern möglich sein.
Kim Schmitz und Kim Il betrachten Gegenstände
Kaum ein Medienphänomen, das nicht irgendeinen Nutzer dazu brächte, eine neue Homepage aufzubauen. So hat der Münchner Ralf Zmölnig eine Homepage mit dem Namen www.jack-wulffskin.de aufgebaut, die unter anderem einen Cartoon zeigt, bei dem der Käufer einer Outdoorjacke vom Verkäufer auf die Frage, ob an dieser Jacke alles abperle, die Antwort bekommt: „Klar, die ist von Jack Wulffskin.“
Andere sammeln Aufnahmen von strauchelnden Berühmtheiten oder vermeintlichen politischen Missetätern. Unter dem Motto „Looking at things“ gibt es Bildergalerien vom verhafteten Internet-Wunderkind Kim Schmitz oder dem alten wie neuen Diktator Kim Il aus Nordkorea wie sie Gegenstände betrachten – absurde Fotosammlungen mit einer dennoch großen Fangemeinde.
Geschäftsidee: Weinende Nordkoreaner vor der FDP-Zentrale postieren. - Vielleicht hilft's ja.
— Das ist nur Satire (@Darth_Lehrer) Januar 19, 2012
Nicht alles, was die Internet-Autoren verbreiten, ist vom Gesetz unter den Schutz der Satire gestellt worden. Wer sich mit echtem Namen bei Facebook einträgt und dort einen Politiker humorig auf die Schippe nimmt, sollte die Grenzen zur Beleidigung genau kennen: „Das sind auch im Internet Straftatbestände“, sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter, Spezialist für Medienrecht.
Viele twitternde Autoren ziehen es nicht zuletzt deshalb vor, durch Anonymität geschützt Pfeile zu verschießen. Furcht vor Abmahnungen und Klagen haben sogar Autoren, denen es gelungen ist, erfolgreich eine Kunstfigur zu etablieren, samt Homepage mit regelmäßigen Blogbeiträgen.
Und gelegentlich finden die Akteure auch den Weg in die traditionellen Medien. In Günter Jauchs Talkshow vom 22. Januar saß neben Studiogast Anke Domscheit-Berg die ganze Zeit ein rosafarbenes, gehäkeltes Schwein. Ganz am Ende durfte sie aufklären, was es damit auf sich hat: Es ist das Logo einer Web-Seite und eines bisweilen satirischen Twitter-Accounts: des Haekelschweins.