Digitalisierung Deutschland fehlen die richtigen Lernprozesse

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Verständnis schafft Akzeptanz für technologischen Fortschritt

Die Unsicherheit in der Gesellschaft besteht dennoch. Neben dem Verlust von Arbeitsplätzen sind Befürchtungen eines Kontrollverlusts über die eigenen Daten weit verbreitet: Laut des Technik-Radars äußerten sich über 60 Prozent der Befragten diesbezüglich beunruhigt. Die deutsch-irakische Programmiererin, Rednerin und Autorin Aya Jaff gilt als eines der größten Talente der deutschen Digitalszene. Mit 23 Jahren ist sie bereits Gründerin der „Codedesign Factory“, war dank eines Stipendiums für einen Forschungsaufenthalt im Silicon Valley und wurde kürzlich vom Forbes Magazin in die „Top 30 bis 30“ – Liste gewählt.

Für Jaff besteht ein klarer Wahrnehmungsunterschied zwischen Experten und Laien hinsichtlich der Digitalisierung: „Wenn ich zum Beispiel das Publikum auf einem Event frage, was künstliche Intelligenz ist, kommen oft Horrorszenarien von Robotern, die auf die Menschheit losgehen. Technologieexperten hingegen sehen einfach einen Algorithmus, der eine Sache richtig gut macht und das ist alles.“ Das zeige sich auch im Umgang mit Daten: „In den USA haben die Leute ein ganz anderes Verständnis von Daten – sie wissen zum Beispiel, dass beim Onlineshopping das Mausverhalten der Nutzer analysiert wird.“ Mangelndes Wissen sorge für Ablehnung und schüre Ängste. Deshalb sei eine frühe digitale Bildung ganz entscheidend - unabhängig vom Berufsziel, betont Jaff.

Ein Zusammenhang zwischen technologischem Verständnis und der Akzeptanz der Digitalisierung zeigt sich auch im Technik-Radar: „Wie aufgeschlossen Menschen für Veränderungen im Zuge der Digitalisierung sind, hängt auch davon ab, ob man sich selbst in der Lage sieht, die Risiken im Umgang mit der Digitalisierung kompetent bewältigen zu können“, schreiben die Verfasser der Studie. So haben beispielsweise Dänen, Schweden und Niederländer, die ihre digitale Kompetenz im europäischen Vergleich überdurchschnittlich gut bewerteten, auch positivere Erwartungen an die Digitalisierung. Die Deutschen liegen mit durchschnittlichem Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten auch hinsichtlich ihres Optimismus im europäischen Mittelfeld. 

Laut Vodafone-Deutschland-Chef Ametsreiter müssen Politik und Technikbranche sich deshalb stärker bemühen, die Gesellschaft durch Bildung für Technologie zu begeistern: „Programmieren sollte die zweite oder dritte Fremdsprache sein. Die Leute müssen die Digitalisierung verstehen.“

Keine Probleme mit Technologie, sondern mit Lernprozessen in den Unternehmen

Der Amerikaner Kimo Quaintance ist Bildungsstratege und Mitgründer der Münchner Innovationsberatung IQ Gemini. Seit Jahren erforscht er das oft schwierige Verhältnis von Mensch und Technik und wie mittels richtiger Bildung die daraus entstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen gelöst werden können. Laut Quaintance führt technisches Verständnis nicht zwangsweise zu weniger Verunsicherung – gerade die in Deutschland vorherrschende Befürchtung des Datenmissbrauchs sei nur zu Teilen der Unwissenheit geschuldet.

Vielmehr sei sie an persönliche Erfahrungen und kulturelle Gegebenheiten geknüpft: „Die Deutschen sind immer sehr skeptisch bei neuen Dingen – Amerikaner hingegen haben eine Affinität zu neuer Technologie und glauben oft, dass wir durch sie all unsere Probleme lösen können. Die US-Haltung kommt von positiven Erfahrungen mit Technik in der Vergangenheit wie zum Beispiel der Mondlandung“, erklärt Quaintance. Die deutsche Skepsis sei durch ein anderes Verständnis von Privatsphäre geprägt, Datenschutz in der Bundesrepublik im Gegensatz zur USA eng mit der Menschenwürde verknüpft.

Zudem sei Technologie nicht immer die Antwort auf ein Problem. „Die deutsche Skepsis hat auch etwas Positives, denn es ist wichtig, gewisse Werte zu wahren und Neues kritisch zu hinterfragen“, sagt der Bildungsstratege. Das sei durch die Eigenschaften der Technologie, die wir im Alltag verwenden, nicht immer gegeben.

Demgegenüber stünde Technologie in den Unternehmen: Angestellte könnten die konkrete Anwendung zwar lernen – Führungskräfte müssten jedoch zugleich „viel mehr darüber lernen, wie die Leute Technik nutzen und warum sie sich gegebenenfalls wehren, wenn sie in ihren Arbeitsalltag integriert wird“, bemängelt Quaintance.

Problematisch sei sowohl in den USA als auch in Deutschland, dass die meisten Unternehmen nicht auf die Weiterbildung der Mitarbeiter innerhalb ihres Arbeitsalltags ausgelegt seien. Der Arbeitsplatz sollte ein Umfeld sein, das zum Lernen anregt: „Die meisten Unternehmen, die sich mit der Digitalisierung schwertun, haben keine Probleme mit der Technologie an sich, sondern mit den Lernprozessen innerhalb der Firma“, sagt der Bildungsstratege.

Um die Digitalisierung verantwortungsbewusst voranzutreiben empfiehlt Quaintance, digitale Kompetenzen bereits bei Kindern zu stärken. Programmieren als Schulfach ist seiner Ansicht nach dafür nicht der richtige Weg: „Für die meisten Leute, Kinder eingenommen, sind die Berührungspunkte mit der digitalen Welt auf einer ganz anderen Ebene. Sie brauchen ein Grundverständnis für Technologie im Alltag, um beispielsweise Inhalte im Internet kritisch zu interpretieren, zu verstehen und zu hinterfragen.“

Ein Beispiel für eine gelungene frühe Förderung sei das Schulsystem in Taiwan: „Seit letztem Jahr sind dort digitale Komponenten in jedes Schulfach eingebaut. Das hilft den Kindern, ein Gefühl für den Umgang mit neuen Technologien zu bekommen.“ Ein grundsätzliches und zugleich kritisches Interesse der Gesellschaft für die Digitalisierung zu wecken, sei wichtig, denn mit dem Fortschritt stelle sich auch die Frage, auf welche Weise die Zukunft aller gestaltet werden sollte.

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