Drohnen aus Deutschland Googles fliegende Augen?

Nach dem Start des umstrittenen Dienstes Street-View in Deutschland, experimentiert Google mit fliegenden Kameras aus Deutschland. Immobilienfirmen oder Rettungsdienste setzen Drohnen schon lange ein.

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Microdrones-Chef Juerss Quelle: Dirk Krüll für WirtschaftsWoche

Deutschlands meistgehasste Autos hatten lange Fahrverbot: Die mit Kameras bestückten Street-View-Fahrzeuge des Internet-Konzerns Google, die durch die Städte fahren und jedes Haus, jeden Gartenzaun und jeden Briefkasten abfilmen, mussten in der Garage bleiben. Eine Koalition aus Lokalpolitikern, Datenschützern und Bürgern hat den Suchkonzern dazu gezwungen, den umstrittenen Einsatz vorübergehend zu stoppen. Doch bis Ende des Jahres sollen die Aufnahmen von zunächst 20 deutschen Städten verfügbar gemacht werden. Dafür musste Google allerdings 13 Zugeständnisse an die Datenschützer abgeben: So werden gesichter und Kfz-kennzeichen unkenntlich gemacht und Hausbesitzer und Mieter können der Veröffentlichung ihrer Wohnungen widersprechen.   

Doch die Vereinbarungen sollten gleich auf ein neues Instrumentarium ausgeweitet werden. Denn Google & Co. beschäftigen sich bereits mit Techniken, mit denen Unternehmen und Regierungen noch viel tiefer in die Privatsphäre der Menschen eindringen können. Nicht über das Netz oder die Straßen könnten sie den Bürgern künftig näher kommen, sondern über die Luft: mit kamerabestückten Drohnen.

Minidrohnen ab 10.000 Euro

Und der Mann, der das möglich macht, heißt Sven Juerss. Er steht auf dem Hof seines Unternehmens Microdrones, zwischen begrünten Hügeln, nicht weit von Siegen, und legt den Hebel auf einer schwarzen Fernbedienung um. Schon startet leise surrend ein Fluggerät neben ihm, das aussieht wie ein Spielzeughubschrauber mit vier Rotoren.

Es ist eine Drohne, ein unbemanntes Fluggerät, so klein, dass es in den Kofferraum der meisten Familienwagen passen würde. Auf Wunsch filmt das Gerät, das einige Tausend Meter hoch fliegen kann, Straßen, Gärten und Hinterhöfe, so genau, dass Juerss selbst die Zigarettenmarke von Badegästen im Freibad erkennen kann. Und ein solches Gerät hat Microdrones gerade per Luftfracht an die Google-Zentrale ins Silicon Valley geliefert.

Bislang kannte man unbemannte Flugroboter vor allem aus Kriegen in Afghanistan und Pakistan. Ausgerüstet mit hochpräzisen Waffen, nutzen US-Militärs die Millionen Dollar teuren Drohnen seit Jahren, um Terroristen zu jagen.

Drohnen für Google

Doch die Preise der High-Tech-Flieger sinken. Deshalb dringen sie in immer mehr zivile Einsatzbereiche vor: Die Minidrohnen, die nur noch zwischen 10 000 und 50 000 Euro kosten, inspizieren Baustellen, überwachen die Luft über Industrieanlagen und melden Waldbrände. Für Hersteller wie Microdrones könnten die Geschäfte kaum besser laufen.

Und jetzt Google. Ein Riesendeal für die 50-köpfige High-Tech-Schmiede. „Wir haben gute Chancen, mit Google dauerhaft ins Geschäft zu kommen“, sagt Microdrones-Chef Juerss. Dann, so hofft er, wird sein Unternehmen Dutzende fliegende Augen nach Kalifornien liefern. „Die Drohnen sind bestens geeignet, um aktuellere Aufnahmen für den Kartendienst Google Earth zu liefern“, sagt Juerss. „Der Internet-Konzern könnte damit aber auch Windparks inspizieren, in die das Unternehmen gerade investiert.“

Gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte Google, der Konzern erforsche viele verschiedene Technologien, um Karten-Dienste wie Google Maps oder Google Earth zu verbessern. "Wir testen oder nutzen diese nicht." Google setze keine Drohnen für Google Maps, Street-View oder Google Earth ein. Dem amerikanischen Professor und Google-Autor Jeff Jarvis teilte das Unternehmen außerdem mit, ein Google-Manager habe die Drohne zum Privatgebrauch gekauft.

Zivile Drohnen

Ob nun überwachte Gärten oder Windmühlen: Datenschützer sind angesichts solcher Szenarien entsetzt. „Die Probleme könnten noch tiefgreifender sein als bei Google Street View“, glaubt der nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Ulrich Lepper. Denn die nahezu lautlosen Flieger seien in der Lage, völlig unbemerkt in nichtöffentliche Bereiche vorzudringen: Sie können Livebilder aus Gärten und von Balkonen liefern, Orte, die ähnlich detailliert weder auf Fotos von der Straße aus noch auf herkömmlichen Luftbildern zu sehen sind.

Die Flugroboter könnten dabei auch unbemerkt in Fenster hineinfilmen, mithilfe von Nachtsichtgeräten selbst wenn es dunkel ist. Stattet man sie zudem mit Wärmebildkameras aus, wären sie sogar in der Lage, durch Vorhänge und Wände hindurchzublicken.

Klar ist: Mit der Technik lässt sich detaillierter ausspionieren als je zuvor, wie wir wohnen, was wir essen und wie lange wir auf dem Hometrainer sitzen.

Weltweite Kritik an zivilen Drohneneinsätzen

Den Vorwurf, einen Big Brother der Lüfte zu liefern, sieht Juerss jedoch entspannt: „Es war immer schon verboten, mittels Foto und Film in die Privatsphäre einzudringen“, sagt er. „Unsere Drohnen haben an dieser Rechtslage nichts geändert.“ Doch als die Gesetze verabschiedet wurden, waren Techniken, wie Juerss sie entwickelt, noch völlig undenkbar.

Kein Wunder, dass die Einsätze der ferngesteuerten Fluggeräte überall argwöhnisch beäugt werden: Heftige Debatten gab es etwa in Großbritannien, nachdem eine Drohne mit Wärmebildkamera der Polizei in Liverpool bei der Festnahme von Autodieben half. Die Briten fürchteten einen Überwachungsstaat, in dem ihre Garagen und Obergeschosse mithilfe von Drohnen observiert werden.

Auch die deutsche Polizei experimentierte mit der Technik. Doch wegen geltender Datenschutzbestimmungen blieb es bei Tests in Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. So groß die Bedenken gegenüber der neuen Technik sind, so groß kann allerdings auch ihr Nutzen sein.

Erst Anfang des Jahres sorgte Microdrones mit einem Auftrag aus den USA für Aufsehen: Die dortige Umweltbehörde orderte eine Drohne aus Deutschland, um damit in der Antarktis Pinguine zu zählen. Auch Rettungsdienste, Stadtplaner und Makler sind nun an den kleinen Fliegern interessiert, vor allem weil sie teure Flüge mit Helikoptern überflüssig machen.

Zudem können die Drohnen von überall aus starten: von Hochhausdächern, Straßenkreuzungen oder freien Wiesen. Einmal in der Luft, fliegen sie bis zu 80 Kilometer pro Stunde.

Die Microdrones-Drohnen haben eine Reichweite von einigen Tausend Metern. Entsprechend programmiert, fliegen sie auch völlig automatisch vorgegebene Routen, zum Beispiel um ein Gelände zu überwachen oder einen Stadtteil abzufilmen.

Die Drohne findet ihren Weg dann anhand von Satellitennavigationssignalen. Solange der unbemannte Flieger Kontakt zur Basisstation hat – in der Regel ist das ein schwarzer Koffer mit Laptop –, liefert er zudem Livebilder der Umgebung in mittelmäßiger Qualität. Die hochwertigen Kamerabilder zeichnet die Drohne auf. Sie sind zu groß für die kabellose Datenübertragung.

Doch nicht jeder Hobbyfotograf darf nach Belieben mit einer Drohne loslegen: Der Einsatz der unbemannten Fluggeräte ist sowohl im Luftverkehrsgesetz als auch in der Luftverkehrsordnung geregelt.

Demnach dürfen die Drohnen niemals höher als 100 Meter fliegen. Flüge für gewerblichen Einsatz müssen zudem von der Bezirksregierung genehmigt werden. Private Modellflieger brauchen erst eine Erlaubnis, wenn ihr Fluggerät mehr als fünf Kilogramm wiegt. In der Praxis agieren die Ämter jedoch höchst unterschiedlich. In manchen Regionen ist jeder Drohneneinsatz genehmigungspflichtig. Die Betreiber müssen belegen, dass sie im Umgang mit den Flugrobotern geschult sind. Anderswo reicht es aus, die Ordnungsämter mündlich zu informieren. Einheitliche Regeln sind überfällig.

Brand auf Industrieanlage in Hannover

Denn die Zahl der Drohneneinsätze nimmt ständig zu. Offizielle Statistiken gibt es zwar nicht. Aber „durch neue Techniken steigt die Nachfrage nach professionellen Kleinstflugplattformen“, sagt Christian Wietfeld, Experte für Kommunikationsnetze an der Technischen Universität Dortmund.

Kurz vor dem Durchbruch steht beispielsweise die Idee, kamerabestückte Flieger in Schwärmen in die Luft zu schicken. Bei solchen Manövern filmt jede Drohne via 3-D-Kamera eine andere Perspektive. Ein Computer fügt die Bilder anschließend zu einer dreidimensionalen Fotowelt zusammen.

Google könnte mit dieser neuen Schwarmtechnik für seinen beliebten Dienst Google Earth imposante Bauten wie den Eiffelturm dreidimensional ins Netz stellen. Nutzer könnten ihn anschließend von allen Seiten virtuell umfliegen. Anbieter von Hotel- und Ferienanlagen wiederum können potenziellen Gästen den Panoramablick vom Balkon hinaus aufs Meer zeigen und sie zu einem virtuellen Segeltrip über den Strand einladen.

Für noch bessere 3-D-Aufnahmen sollen die Drohnen nun intelligentes Verhalten lernen: Forscher wie Wietfeld arbeiten an Techniken, mit denen die Miniflieger jederzeit über Funk die Positionen der anderen Gruppenmitglieder feststellen können, um den Abstand zu ihnen konstant zu halten. Der fliegende Roboterverband kann sich so flächendeckend über eine Region verteilen.

Lebensrettende Flugroboter

Künftig soll die Armada auch vollkommen selbstständig Hindernissen ausweichen können. Dafür haben Forscher die sogenannte Sense-and-Avoid-Sensorik entwickelt, ein neuartiges Kamerasystem, das Distanzen misst und den Drohnen ermöglicht, im Notfall um Bäume und Oberleitungen herumzufliegen.

Solche Roboterschwärme liefern Stadtplanern 3-D--Modelle ganzer Viertel. Diese können anhand der Bilder prüfen, welche Hausdächer sich für Solaranlagen eignen würden. Auch bei Großveranstaltungen haben sich die Drohnen schon bewährt: als fliegende Funkstationen, die knappe Mobilfunkreserven überbrücken.

Der Handwerksbetrieb Megalith wiederum, ein Spezialist für Kirchenrenovierungen, nutzt die Miniflieger, um Schäden an alten Bauwerken zu finden: Erst vor wenigen Wochen testete das Unternehmen die neue Technik zum ersten Mal. Der 70 Meter hohe Kirchturm der Dortmunder St. Petri Kirche musste auf Schäden inspiziert werden. „Früher hätten wir einen Kranwagen für 2000 Euro ordern müssen“, sagt Firmenchef Wolfgang Piechota. Heute mietet er stattdessen eine Drohne. Dienstleister wie Cenalo aus Herne verleihen kamerabestückte Miniflieger für knapp 900 Euro am Tag.

Künftig sollen die zivilen Flugroboter sogar Leben retten. In einem Modellversuch namens Air Shield wollen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die Arbeit von Rettungsdiensten mithilfe fliegender Messroboter koordinieren. Dafür statten Forscher Drohnen mit Sensoren aus, die Schadstoffe nach Großbränden identifizieren. Damit können sie kilometergroße Areale nach Giftstoffen absuchen und eventuelle Gefahren an die Einsatzleitung melden.

Die Idee kommt an: „Wenn nächstes Jahr die Sensorik verfügbar ist, sind wir dabei“, sagt etwa Manfred Soller, Notfallmanager von Infraserv Gendorf. Sein Unternehmen überwacht die Sicherheit eines Industrieparks im oberbayrischen Burgkirchen, in dem rund 4000 Mitarbeiter von 15 Unternehmen arbeiten.

Umgeben von einem zehn Kilometer langen Zaun, ist das mit Bewegungsmeldern und Infrarotsensoren gesicherte Gelände Standort chemischer Betriebe, die mit hochgiftigen Stoffen hantieren. Zur Routine der Notfallsimulationen gehören daher Luftübungen mit drei Werksdrohnen.

Im Ernstfall sollen sie der Werkfeuerwehr Informationen darüber liefern, wie stark der Brand ist, ob Menschen in Gefahr sind und wo der Rauch am stärksten emporquillt. Aber bei Infraserv werden die Drohnen längst auch anderweitig eingesetzt: „Für Planungs- oder Renovierungsarbeiten an den hohen Gebäuden liefern sie hervorragende Fotos“, sagt Sicherheitsexperte Soller, „und das ohne Gerüst und lange Aufbauzeiten.“

Die Drohne md4-200 der Firma Microdones

Ab sofort sollen Drohnen auch die Lufthoheit bei der Waldbrandbekämpfung übernehmen. Vor wenigen Wochen stellten Unternehmen wie Drohnenhersteller Airrobot und Löschtechnikspezialist Airmatic zusammen mit einigen Forschungseinrichtungen einen martialischen High-Tech-Verband vor: ein Kettenlöschpanzer, ein Unimog, ein Luftschiff sowie zwei Drohnen.

Bricht ein Feuer aus, ortet die mit einem Rauchsensor ausgestattete Drohne die Lage des Brandgebiets. Die Daten schickt der Flugroboter an das Einsatzleitsystem im Unimog.

Immobilienfirma nutzt Drohnen

Die Rettungstechnik erobern die Drohnen gerade erst – für Marketingzwecke werden sie schon länger eingesetzt: Zu den Pionieren zählt die Iserlohner Immobilienfirma Immoconcepts. Der Makler nutzt fliegende Roboter, um seine Häuser spektakulär zu präsentieren: Seit zwei Jahren verblüfft Immoconcepts seine Kunden mit Videoaufnahmen aus der Luft.

Nicht selten passiert es, dass die Hauseigentümer beim Fotoshooting aus dem Himmel ihren Spieltrieb entdecken: Sie setzen die Videobrille auf, die die Bilder der hochfliegenden Kamera empfängt, und bekommen das Gefühl – ihr Anwesen aus der Vogelperspektive betrachtend –, selbst zu fliegen. „Konventionelle Fotos sind platt von vorn geschossen und zeigen nicht Umgebung, Nachbargrundstücke, den Wald in der Nähe des Gebäudes“, sagt Geschäftsführer Torsten Schmitz.

Die Begeisterung für die neue Technik können allerdings nicht alle teilen. Vor allem Nachbarn, die nicht wollen, dass jemand von oben ihren Hintergarten abfilmt: „Einige wollten die Polizei informieren“, erzählt ein Mitarbeiter des drohnenaffinen Immobilienmaklers. „Sie ließen sich dann aber von der friedlichen Flugmission überzeugen.“

Von einer zivilen Drohnenabwehr ist bislang zwar noch nichts bekannt. Doch klar ist dennoch: So leicht wie im Fall Immoconcepts wird der Widerstand gegen die fliegenden Roboter künftig nicht mehr zu brechen sein.

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