Nun fällt es vielen Menschen schon von Angesicht zu Angesicht schwer, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen – vor dem Bildschirm versagt die Empathie dann vollends. Dabei wäre sie gerade bei E-Mails notwendig. Das belegte vor einigen Jahren auch ein Experiment von Kommunikationsforschern der französischen Business School Insead. Sie ließen ihre Probanden über ein Chat-Programm an einem Verhandlungsspiel teilnehmen, bei dem jeweils zwei Freiwillige gegeneinander antraten und je nach Verhandlungsgeschick unterschiedliche Gewinne erzielen konnten.
Einigen Teilnehmern gaben die Forscher den Auftrag, die Sprache des Gegenübers genau zu analysieren und darauf zu achten, ob er zum Beispiel Emoticons oder ähnliche Symbole benutzte. Anschließend sollten sie sich an dessen Kommunikationsstil anpassen und möglichst genauso schreiben. Diese Strategie war äußerst erfolgreich. Wer den Stil seines Gegenübers besonders gut imitierte, holte bei der Verhandlung deutlich mehr für sich heraus.
Geschäftsmodell perfekte E-Mail
Auf solchen Erkenntnissen will das amerikanische Start-up Crystal ein Geschäftsmodell aufbauen. Die Gründer versprechen, die perfekte E-Mail zu schreiben. Dafür muss man der Software nur sagen, an wen die Mail gehen soll. Die Algorithmen suchen dann alles zusammen, was es über den Empfänger im Internet zu finden gibt, und erstellen daraus ein sprachliches Profil. Das Programm wertet zum Beispiel Beiträge in sozialen Netzwerken aus. Kommt jemand direkt zur Sache, oder schickt er gerne etwas Small Talk voraus? Am Ende spuckt Crystal einen detaillierten Bauplan für die richtige E-Mail an den jeweiligen Empfänger aus.
So werden Sie der E-Mail-Flut Herr
Susanne Wagner und Günter Weick von SofTrust Consulting zeigen in ihrem Buch „Management by E-Mail“ auf, wie Führungskräfte sich aus der E-Mail-Falle befreien können. Gemäß dem „Management-By-E-Mail“-Methode sollten sich Führungskräfte im ersten Schritt darüber klar werden, wie stark E-Mail sie wirklich belastet. SofTrusts E-Mail-Effizienzprojekte zeigen, dass sich die gefühlte und reale Belastung durch E-Mail meist deutlich unterscheiden. Meist ist die Belastung deutlich höher als subjektiv wahrgenommen.
Es gibt kaum eine Zahl in der Unternehmenswelt, über die man trefflicher streiten kann, als die „richtige“ Anzahl an E-Mails, die ein Manager pro Tag bewältigen sollte. Einige finden 300 völlig normal, andere regional aktive Angestellte schreiben 20 und erhalten 30 E-Mails pro Tag. Natürlich ist es vom Einzelfall abhängig.
Wer 100 E-Mails oder mehr pro Tag bekommt, liegt aus Sicht der Autoren „auf jeden Fall jenseits einer akzeptablen Grenze“. Es gäbe keinen relevanten Managerjob, in dem er über täglich 100 Sachverhalte informiert werden muss. Wenn doch, macht er irgendetwas falsch.
Lassen Sie sich aus jedem Verteiler löschen, den Sie nicht zwingend brauchen. Falls Sie ein Kollege unerwünscht in (s)einen Verteiler aufnimmt, sprechen Sie mit darüber.
Wenn Sie E-Mails von bestimmten Personen bekommen oder mit bestimmten Schlüsselwörtern, können Sie ihren Email-Client so programmieren, dass sie entweder sofort gelöscht oder in einen bestimmten Ordner verfrachtet werden.
Überprüfen Sie die Informations-E-Mails wie Newsletter, die Sie bekommen. Filtern Sie die, die sie nicht (mehr) brauchen, hinaus. Lassen Sie diese E-Mails in einen bestimmten Ordner einlaufen. Wenn Sie an einem Tag keine Zeit haben, sie zu lesen, stören Sie Ihren Alltag nicht.
Es gibt Unternehmen, bei den machen Empfangs- und Lesebestätigungen 30 Prozent des E-Mail-Aufkommens aus. Schalten Sie diese Tools ab. Zum einen sind sie ohnehin unzuverlässig und zum anderen nerven sie viele Empfänger massiv.
Wenn Sie noch Spam bekommen, informieren Sie dringend Ihre IT-Abteilung. Es ist heutzutage absolut möglich, völlig frei von Spams zu leben.
Nicht nur, aber besonders leitende Angestellte müssen sich auf ihre Kernaufgaben fokussieren. Und das gilt auch für ihr E-Mail-Postfach. Wer mal nachzählt, kommt auf maximal 40 Prozent. Also weniger als die Hälfte der E-Mails eines Managers haben mit seinen Kernaufgaben zu tun.
Ein besonderes Problem ist das in CC-Setzen. Doch eine E-Mail, in der ein Vorgesetzter in Kopie gesetzt wird, zählt keineswegs zu „Personal führen“ oder „Fortschritte kontrollieren“. Also reduzieren sie jede überflüssige E-Mail und sagen Sie es auch den Kollegen, dass sie nicht mehr zwingend in CC gesetzt werden wollen. Von Ausnahmen abgesehen sollte keine E-Mail mehr als zwei Empfänger haben.
Früher mussten Mitarbeiter Zeit investieren, um Informationen so aufzubereiten, dass sie für den Vorgesetzten nutzbar waren. Eine CC-Kopie dreht den Arbeitsaufwand um: null für den Mitarbeiter, viel für den Chef. Da Kopien ja für den Empfänger und nicht den in CC-Gesetzten gedacht sind, braucht Letzterer überdurchschnittlich viel Zeit, um sie zu lesen.
Wenn jemand eine E-Mail in Kopie erhalten hat, hat er deren Inhalt nicht automatisch gelesen und voll verstanden. Das scheint eine triviale Wahrheit zu sein, doch die Anspruchshaltung in Unternehmen ist oft eine andere. Bedenken Sie also, dass ihr Chef oder Ihr Kollege nicht jede CC-Email auswendig kennt.
Kopiert ein Mitarbeiter seinen Chef bzw. ein Kollege den anderen auf seine E-Mail, werden die Empfänger der E-Mail ihn auch wieder mit hinein nehmen.
Legen Sie fest, wie Sie informiert werden möchten. Wenn Sie keine CC-Kopie wollen, heißt das ja nicht, dass Sie auf Informationen verzichten möchten. Etablieren Sie ein Berichtswesen, verlangen Sie kommentierte Info-Kopien, demotivieren Sie externe CC-Setzer und verweisen Sie konsequent auf die Kompetenz der zuständigen Mitarbeiter.
Nun muss ein leitender Angestellter auch solche Aufgaben lösen, die nicht zu seinem Kernbereich gehören und man notwendiges Übel nennen könnte. Diese Dinge kommen in aller Regel per E-Mail. Gänzlich vermeiden lässt sich das nicht, wohl aber reduzieren. Differenzieren Sie zwischen Notwendige-Übel-E-Mails und solchen, die tatsächlich unnötige Zeitverschwendung sind. Der Anteil ist höher als Sie denken.
Viele Mitarbeiter ziehen ihre Führungskräfte mit E-Mails viel zu sehr in das Tagesgeschäft hinein. Das ist oft ein Anzeichen dafür, dass sie überfordert sind, ihnen wichtige Informationen fehlen oder sie sich absichern wollen. All dies kann ein guter Chef anders lösen, so dass täglich Dutzende E-Mails ausbleiben.
Wenn es nach dem Harvard-Psychologen Andrew Brodsky geht, sollte solche Software um eine Funktion ergänzt werden: Tippfehler zu machen. In einer Reihe von Experimenten konnte er zeigen, dass kleine Fauxpas eine E-Mail glaubwürdiger machen.
Brodsky ließ mehrere Testpersonen Mails lesen, bei denen der Absender entweder wütend oder glücklich war. In den wütenden Mails beschwerte sich ein Vorgesetzter über die verspätete Abgabe eines Berichts. Doch der Forscher legte seinen Testpersonen zwei Varianten vor: eine perfekte, eine mit Tippfehlern. Nun fragte er die Probanden, für wie authentisch sie den Absender hielten. Und siehe da: Wer Mails mit Tippfehlern gelesen hatte, glaubte dem Absender eher als jene, die einen makellosen Text bekommen hatten. Perfekte Mails würden zumindest unbewusst als künstlich wahrgenommen werden, glaubt Brodsky – und damit weniger Emotionen auslösen.
Gerade für Führungskräfte könnte es sich daher manchmal lohnen, die Mails schlampiger zu schreiben. Schon in den Sechzigerjahren konnte der US-Sozialpsychologe Elliot Aronson zeigen, dass kleine Fehler das Ansehen von Führungskräften bei ihren Mitarbeitern steigern. Die These des Forschers: Die Chefs wirken dadurch menschlicher und vertrauenswürdiger. Doch auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.
Absichtlich Fehler in die Mails zu streuen sei riskant, warnt Brodsky. Denn sein Experiment zeigt: Werden es zu viele Fehler, hält der Empfänger den Autor der Mail für weniger intelligent. Der Psychologe rät daher, Mails vor dem Abschicken gegenzulesen, um die gröbsten Fehler zu korrigieren. Wem doch ein Fauxpas passiert, der muss sich nicht grämen: Kleinere Ausrutscher können die Botschaft der Mail sogar verstärken.