E-Mail-Flut Mit der Zahl der Mails steigt der Stresspegel

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E-Mails nach Bauplan

Nun fällt es vielen Menschen schon von Angesicht zu Angesicht schwer, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen – vor dem Bildschirm versagt die Empathie dann vollends. Dabei wäre sie gerade bei E-Mails notwendig. Das belegte vor einigen Jahren auch ein Experiment von Kommunikationsforschern der französischen Business School Insead. Sie ließen ihre Probanden über ein Chat-Programm an einem Verhandlungsspiel teilnehmen, bei dem jeweils zwei Freiwillige gegeneinander antraten und je nach Verhandlungsgeschick unterschiedliche Gewinne erzielen konnten.

Einigen Teilnehmern gaben die Forscher den Auftrag, die Sprache des Gegenübers genau zu analysieren und darauf zu achten, ob er zum Beispiel Emoticons oder ähnliche Symbole benutzte. Anschließend sollten sie sich an dessen Kommunikationsstil anpassen und möglichst genauso schreiben. Diese Strategie war äußerst erfolgreich. Wer den Stil seines Gegenübers besonders gut imitierte, holte bei der Verhandlung deutlich mehr für sich heraus.

Geschäftsmodell perfekte E-Mail

Auf solchen Erkenntnissen will das amerikanische Start-up Crystal ein Geschäftsmodell aufbauen. Die Gründer versprechen, die perfekte E-Mail zu schreiben. Dafür muss man der Software nur sagen, an wen die Mail gehen soll. Die Algorithmen suchen dann alles zusammen, was es über den Empfänger im Internet zu finden gibt, und erstellen daraus ein sprachliches Profil. Das Programm wertet zum Beispiel Beiträge in sozialen Netzwerken aus. Kommt jemand direkt zur Sache, oder schickt er gerne etwas Small Talk voraus? Am Ende spuckt Crystal einen detaillierten Bauplan für die richtige E-Mail an den jeweiligen Empfänger aus.

So werden Sie der E-Mail-Flut Herr

Wenn es nach dem Harvard-Psychologen Andrew Brodsky geht, sollte solche Software um eine Funktion ergänzt werden: Tippfehler zu machen. In einer Reihe von Experimenten konnte er zeigen, dass kleine Fauxpas eine E-Mail glaubwürdiger machen.

Brodsky ließ mehrere Testpersonen Mails lesen, bei denen der Absender entweder wütend oder glücklich war. In den wütenden Mails beschwerte sich ein Vorgesetzter über die verspätete Abgabe eines Berichts. Doch der Forscher legte seinen Testpersonen zwei Varianten vor: eine perfekte, eine mit Tippfehlern. Nun fragte er die Probanden, für wie authentisch sie den Absender hielten. Und siehe da: Wer Mails mit Tippfehlern gelesen hatte, glaubte dem Absender eher als jene, die einen makellosen Text bekommen hatten. Perfekte Mails würden zumindest unbewusst als künstlich wahrgenommen werden, glaubt Brodsky – und damit weniger Emotionen auslösen.

Gerade für Führungskräfte könnte es sich daher manchmal lohnen, die Mails schlampiger zu schreiben. Schon in den Sechzigerjahren konnte der US-Sozialpsychologe Elliot Aronson zeigen, dass kleine Fehler das Ansehen von Führungskräften bei ihren Mitarbeitern steigern. Die These des Forschers: Die Chefs wirken dadurch menschlicher und vertrauenswürdiger. Doch auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.

Absichtlich Fehler in die Mails zu streuen sei riskant, warnt Brodsky. Denn sein Experiment zeigt: Werden es zu viele Fehler, hält der Empfänger den Autor der Mail für weniger intelligent. Der Psychologe rät daher, Mails vor dem Abschicken gegenzulesen, um die gröbsten Fehler zu korrigieren. Wem doch ein Fauxpas passiert, der muss sich nicht grämen: Kleinere Ausrutscher können die Botschaft der Mail sogar verstärken.

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