E-Perso und Gesundheitskarte Warum der digitale Deutsche noch Zeit braucht

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Neue Gesundheitskarte, altes Einsatzgebiet

Viele Deutsche haben die neue Gesundheitskarte mit Foto schon länger im Portemonnaie als den E-Perso. Aber im Vergleich zum Ausweisdokument kann die Gesundheitskarte wirklich noch nichts von dem, was ihre Einführung eigentlich versprochen hat. Für den Patienten sind zunächst nur drei offensichtliche Dinge neu: Oben drauf steht nun „Gesundheitskarte“, auf der Rückseite befindet sich der europäische Krankenversichertenausweis und das eigene Konterfei ist darauf abgebildet. Sämtliche Funktionen, die die Karte „digital“ machen, blieben bislang aus. Zum Jahresanfang meldete das Bundesministerium für Gesundheit (BMG): „Die elektronische Gesundheitskarte gilt ausschließlich als Berechtigungsnachweis, um Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen in Anspruch nehmen zu können.“ Die Begründung: „Der Aufbau der Datenautobahn (…)  wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen“, so das BMG. Also neue Karte, altes Einsatzgebiet.

Fünf Mythen der Krankenversicherung (Quelle: Bain)

Dabei sind einige spannende Funktionen in der Pipeline – sowohl für Patienten, als auch Krankenkassen und Ärzte. Zum einen soll die elektronische Gesundheitskarte (eGK) einmal die Notfalldaten des Versicherten enthalten, wenn dieser das wünscht. Das können dann zum Beispiel Allergien oder bedeutsame Vorerkrankungen sein. Oder die Adresse eines im Notfall zu benachrichtigenden Angehörigen. Ärzte oder Notfallsanitäter sollen die dann auch ohne PIN-Eingabe der Patienten im Ernstfall abrufen können.

Zum anderen soll die Patientenakte auf der Gesundheitskarte digital werden. In der sogenannten elektronischen Fallakte (eFA) könnten Patienten also dem Arzt auf Wunsch sämtliche Gesundheitsdaten zur Verfügung stellen. „Sie erhalten künftig viele Informationen über den eigenen Gesundheitsstatus, wie zum Beispiel Impfungen, Allergien oder Vorsorgeuntersuchungen, und können selbst entscheiden, wer auf die Gesundheitsdaten zugreifen darf“, sagt Claudia Widmaier, Sprecherin des GKV-Spitzenverband, der zentralen Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Zusammen mit der Auflistung über die aktuell verschriebenen Medikamente – dem Medikationsplan – könnte die digitale Gesundheitsakte so eine große Erleichterung insbesondere für Ältere und chronisch Kranke sein: „Ich denke, wir werden sehen, dass diejenigen, die viel und häufig Ärzte besuchen müssen, eine entsprechende Dokumentation dringend brauchen und deshalb heute mit Leitz-Ordnern von Arzt zu Arzt laufen, dieses Angebot dankbar nutzen werden“, schätzt Bitkom-Experte Mentzinis.

Diesen Krankenkassen laufen die Mitglieder weg
Mehr Deutsche denn je versichern sich gesetzlich Rekord! Nie zuvor waren mehr Menschen in der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV) versichert. 52.908.210 waren es zum 1.7., meldete gerade das Bundesgesundheitsministerium – 351.000 oder 0,6 Prozent mehr als noch zum Jahresende. Den Mitgliederzufluss haben die GKV dabei auch der guten Konjunktur und der steigenden Beschäftigung im ersten Halbjahr 2014 zu verdanken. „Ein satter Zuwachs“, kommentiert da auch der Dienst für Gesellschaftspolitik (dfg) – der sich jedoch nicht auf alle Kassen gleichermaßen verteilt. Denn den Löwenanteil an neuen Mitgliedern heimsten einige wenige ein. Andere Kassen mussten sogar einen Mitgliederschwund verkraften. Welche Kassen besonders gut abgeschnitten haben und wer besonders schlecht davongekommen ist. Quelle: dpa
Absoluter Gewinner: TKMehr als 192.000 Neumitglieder und damit mehr als die Hälfte des gesamten GDV-Mitgliederzuwachses kann die Techniker Krankenkasse verbuchen. Das macht die Kasse auch zur „Nummer ein nach Köpfen“ und verhilft den Ersatzkassen – dazu gehören neben der Techniker Krankenkassen zum Beispiel auch die Barmer und die DAK – insgesamt zu mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Quelle: dpa
Wieder nur Zweiter: AOKDank der starken Techniker Krankenkasse verpasst es die Familie der Ortskrankenkassen (AOK) trotz rund 93.000 neuer Mitglieder erneut, weiter auf die Ersatzkassenfamilie aufzuschließen. Die AOK Bayern und AOK Baden-Württemberg haben nach der Techniker Krankenkasse die meisten Neumitglieder für sich gewinnen können – jeweils um die 30.000. Dennoch kommt die AOK-Familie insgesamt nur knapp über die 18.300-Mitglieder-Marke. Quelle: dpa
Neue Stärke: BetriebskrankenkassenAuch die Betriebskrankenkassen konnten im ersten Halbjahr 2014, was die Mitglieder angeht, zulegen. Die BKK-Familie – im Verband tummeln sich derzeit 94 Anbieter – ging mit einem Plus von fast 52.000 Mitgliedern aus dem Rennen und knackt damit die 8,5-Millionen-Marke. Am meisten konnten die BKK Mobil Oil und die Debeka BKK zum Erfolg beitragen. Quelle: obs
Gutes Ergebnis: InnungskrankenkassenTraditionell versichern sich immer noch vor allem die Handwerker bei den Innungskrankenkassen. Auch diese Kassen-Familie hat in den ersten sechs Monaten des neuen Jahres in Sachen Mitgliedern zugelegt. 20.400 neue Versicherte kamen hinzu. Knapp die Hälfte dieses Zuwachses verdanken die IKK der IKK classic (plus 9.265). Mit dem Ergebnis hält die Kassenfamilie konstant die Marke von vier Millionen Mitgliedern.  Quelle: dpa
Hier sterben die Kunden II: Diese Versichererfamilien leiden besondersZwei Gruppen von Versicherern leiden derzeit grundsätzlich an Mitgliederschwund: Die sogenannten Industriekassen, deren traditionelle Branchen langsam aussterben – etwa Kohle, Stahl oder Landwirtschaft. Oder betriebsbezogene Kassen (BKKen): Hier sind die bröckelnden Mitgliederzahlen Ausdruck des wirtschaftlichen Niedergangs der jeweiligen Trägerunternehmen.  Quelle: dpa
Diese Kassen haben „nach Köpfen“ verlorenStark verloren haben zum Beispiel die Deutsche BKK (Minus 3793 Mitglieder), die BKK vor Ort (Minus 1915 Mitglieder), die BKK Essannelle (Minus 1869 Mitglieder) oder die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (Minus rund 1700 Mitglieder). Fotoquelle: Screenshot der Internetseite Quelle: Screenshot

Für Krankenkassen zudem interessant: Mithilfe der Gesundheitskarte sollen online die Versichertenstammdaten abgeglichen und aktualisiert werden können – immer neue Versichertenkarten etwa nur wegen eines Umzugs oder einer Heirat sind dann passé. Die Krankenkassen sparen so bares Geld.

Aber warum warten wir noch immer auf diese Funktionen? Leider ist es so, dass am Ende jeder Beteiligte – ob Ärzte, Krankenhäuser oder Krankenkassen – an anderen Aspekten interessiert ist. Jeder möchte seine Vorteile zuerst genutzt sehen, aber gleichzeitig natürlich nicht mehr dafür zahlen müssen – bei einem Milliardenprojekt wie der Gesundheitskarte kein unwichtiger Aspekt. „Verzögerungen haben sich natürlich aus den unterschiedlichen Eigeninteressen der Gesellschafter ergeben“, beschreibt es Widmaier.

Ein weiterer Aspekt: der Datenschutz. „Dass dem Datenschutz und der Datensicherheit beim eGK-Projekt höchste Priorität eingeräumt wird, halten wir für richtig. Nur so kann die entsprechende Akzeptanz bei allen Beteiligten hergestellt werden", so Widmaier. "Tatsächlich ist der Preis hierfür aber, dass nicht zuletzt auch durch immer wieder neue und höhere Datenschutzanforderungen das Projekt teilweise verzögert wird“. Auch Mentzinis sieht neben den Interessenkonflikten der vielen Parteien das Problem in den extrem hohen Sicherheitsforderungen. Das sei zum Teil sinnvoll, da Gesundheitsdaten natürlich sehr sensible Daten sind, bei denen ein sehr hohes technisches Niveau eingehalten werden müsse, aber es gebe eben immer eine Dualität zwischen Komfort und Sicherheit, so Mentzinis. „Leider muss man unterm Strich festhalten, dass manche Sicherheitsregelungen für die Gesundheitskarte den Ärzten die Nutzung zu stark erschweren.“

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