E-Sport Vom Gamer zum Millionär

Kyle Giersdorf reckt jubelnd seine Trophäe beim Fortnite World Cup in New York empor. Quelle: AP

Der E-Sport entwickelt sich zum Milliardenmarkt und ist inzwischen ein Publikumsmagnet. Doch der Wirtschaftsstandort Deutschland ist für E-Sport ein zweischneidiges Schwert, glauben Experten.

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Menschenmassen drängen sich vor allen Eingängen zum Messegelände Köln-Deutz. Jedes Jahr strömen Hundertausende Spielefans zur Gamescom nach Köln. Auf einer Fläche von rund 30 Fußballfeldern präsentiert die Gaming-Branche ihre neuesten Produkte. Dröhnende Bässe, Lichteffekte, bunte Aufbauten – Reizüberflutung gehört zum Programm. Premiere feiert in diesem Jahr eine „Event-Arena“. Damit hat die Gamescom einem der größten Trends der Gaming-Industrie eine neue Bühne geschaffen, dem E-Sport. Dort sammelt sich alles, was auch Besucher einer klassischen Sportveranstaltung erwarten. Spieler in Trikots, bedruckt mit den Logos der Sponsoren, Trainer, Kommentatoren, das Publikum jubelt – Hochleistungssport im Sitzen.

„Langfristig, sagen wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, wird E-Sport eine der größten Sportarten der Welt werden“, ist sich Ralf Reichert sicher. Er ist ein Pionier der E-Sport-Szene und für seine 44 Jahre so jung geblieben wie die Branche, die er prägte. Sneaker, Jeans, die Ärmel seines grauen Freizeithemds leger nach oben gekrempelt, so tritt Reichert auch auf Geschäftsterminen auf. Der gebürtige Rheinländer ist CEO und Mitgründer der „Electronic Sports League“, kurz ESL. Die ist eine Tochtergesellschaft des Unternehmens Turtle Entertainment, ebenfalls von Reichert mitgegründet. Er hat die Marke aus Köln zum weltweit größten Veranstalter von E-Sport-Turnieren gemacht.

Ende der Neunzigerjahre war Reichert selbst noch Spieler, hat Turniere organisiert und auch selbst teilgenommen. Früh erkannte er das Potential von E-Sport und machte sich die Professionalisierung der Szene zur Aufgabe. „Damals war E-Sport in der Außenwahrnehmung einfach keine coole Freizeitbeschäftigung. Die Szene wurde regelrecht diskriminiert“, erinnert sich Reichert. Dabei gebe es „nichts Schlimmeres, als Heranwachsenden das Gefühl zu vermitteln, sie wären Idioten.“ Was den Spielern fehlte, war die Anerkennung in der Gesellschaft. „Also wollten wir dem E-Sport eine Bühne schaffen und es zu einem Job machen“, sagt Reichert.

Angefangen hat alles im Jahr 2000 in Köln, mit zehn Mitarbeitern. Heute operiert der Veranstalter weltweit mit über 550 Mitarbeitern. Reichert schaffte es, das kompetitive Gaming aus verstaubten Kellern in große Veranstaltungshallen wie die Kölner Lanxess Arena zu hieven. 2015 gab Turtle Entertainment 74 Prozent seiner Anteile für 78 Millionen Euro an den schwedischen Medienkonzern Modern Times Group ab. Reichert ist Geschäftsführer der „Electronic Sports League“ geblieben. Am Beispiel der ESL bildet sich das Wachstum der Branche ab. Im Jahr 2002 hatte der Veranstalter das erste Mal einen Messestand auf der Games Convention in Leipzig, dem Vorgänger der Gamescom. Der war nur wenige Quadratmeter groß, die Möbel musste Reichert damals selbst mitbringen. Wenn die Gaming-Branche heute in Köln zur Gamescom zusammenfindet, baut die ESL sich über mehrere Hallen verteilt auf. Circa 5000 Quadratmeter mit einer Live-Bühne, Gaming-Ständen und einer VIP-Area. Mercedes-Benz, eins der ESL-Partnerunternehmen, stellt am Messestand sein neustes Modell aus, 100 Prozent Elektro-Auto in strahlendem Weiß.

Das Ökosystem E-Sport wächst und bildet zunehmend klare Strukturen aus. Wirtschaftlich steht die Branche auf fünf Säulen. Mit Sponsoring und Werbung werden knapp 60 Prozent der Erlöse erzielt. Dazu kommen noch Einnahmen durch Medienrechte, Dienstleistungen wie die Austragung von Events für Spiele-Publisher und Erträge aus Merchandising und Ticketverkäufen.

Eine aktuelle Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) zeigt: Die Branche geht in großen Schritten auf einen Milliardenmarkt zu. Wurden 2018 weltweit noch 667 Millionen Euro Umsatz mit E-Sport erwirtschaftet, prognostiziert die Beratungsgesellschaft PwC schon 2023 eine Marktgröße von 1,5 Milliarden Euro; das sind jährliche Wachstumsraten von über 20 Prozent. Deutschland setzt sich in Europa dabei an die Spitze und weltweit auf Platz vier; mit 62,5 Millionen Euro Umsatz. Nur in den USA (191 Mio. Euro), Südkorea (158 Mio. Euro) und China (130 Mio. Euro) wurde noch mehr Geld mit E-Sport umgesetzt.

E-Sport hat sich zu einem starken Publikumsmagneten entwickelt und erreicht vor allem eine junge Zielgruppe. Digital Natives und die Generation Z sind über die klassischen Medien zurzeit schwierig zu erreichen. Das macht den Markt für die Werbeindustrie besonders interessant, schlussfolgert PwC aus seiner Marktanalyse. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) teilt diese Einschätzung. „In dem Wachstumsmarkt E-Sport können Unternehmen herausfinden, wie die junge Generation tickt“, so die Experten des ZAW.

Laut einer Prognose des Markforschungsunternehmens Newzoo werden die E-Sport-Zuschauerzahlen im Jahr 2019 auf 454 Millionen steigen. Aufgrund des enormen Wachstumspotenzials erwarten Experten außerdem, dass im Jahr 2021 die Zuschauerzahlen im E-Sport die der National Basketball Association (NBA) in den USA deutlich übertreffen werden. Damit würde sich das kompetitive Gaming direkt hinter die beliebteste Sportart des Landes, der National Football League (NFL), einreihen. Ein Katalysator für den enormen Erfolg ist, dass ein Großteil der Events über Streamingplattformen wie Twitch kostenlos zugänglich ist. Die Beratungsgesellschaft PwC stellt hier eine besondere emotionale Bindung zu den Zuschauern fest, viele unterstützen E-Sport-Formate mit freiwilligen Spenden oder Abonnements. Doch auch die linearen Medien haben E-Sport ins Programm aufgenommen, Beispiele hierfür sind der Pay-TV Sender Sky oder der von Sport1 initiierte Sender eSPORTS1, der sich ausschließlich mit dem elektronischen Sport beschäftigt.

Zuschauer verfolgen im Juli 2019 den Fortnite World Cup im Arthur Ashe Tennisstadion. Bei dem Weltcup kämpften knapp 200 junge Menschen um Preisgelder von 30 Millionen Dollar. Quelle: dpa

Trotz der rasanten Entwicklung der Branche bemerkt Reichert nach wie vor eine große Diskrepanz zwischen den hohen Zuschauerzahlen und den kommerziellen Erträgen, die im Vergleich mit traditionellen Sportarten eher unerheblich sind. Der Formel-1-Inhaber Liberty Media vermeldete 2017 einen Umsatz von rund 1,8 Milliarden Dollar, bei rund 440 Millionen Zuschauern weltweit. Vergleichbare Zuschauerzahlen, aber mehr als doppelt so hohe Umsätze. Bis der E-Sport in dieser Hinsicht mit Formel 1, Fußball oder Tennis mithalten kann, brauche es noch Zeit, sagt Reichert. „Wir können da ganz sicher auch noch viel von den traditionellen Sportarten lernen.“ Diese hätten vor allem noch durch Einnahmen aus Medienrechten und Lizenzen einen meilenweiten Vorsprung.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland sei für E-Sport und die ESL ein zweischneidiges Schwert, glaubt Reichert. „Auf der einen Seite haben wir in Deutschland unsere Wurzeln und Mega-Turniere wie die ESL One, auf der anderen Seite werden uns immer wieder Steine in den Weg gelegt.“ Die Rahmenbedingungen, die durch die Politik aufgestellt werden, seien im internationalen Vergleich hierzulande um einiges schlechter.

Ein großes Thema für die E-Sport-Szene ist die Anerkennung als Breitensportart. Im Gegensatz zu Deutschland haben weltweit inzwischen rund 50 Länder E-Sport als legitimen Sport anerkannt, darunter Frankreich, Schweden und Südkorea. Mit der Anerkennung würden einige bremsende Faktoren für ein weiteres Wachstum wegfallen. Dabei geht es vor allem um die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit von E-Sport-Vereinen.

Das würde die Gründung von lokalen Vereinsstrukturen in Schwung bringen. Wie in traditionellen Sportarten auch, wären Vereine von der Steuer befreit und könnten auf Fördergelder zurückgreifen. Trainer würden eine Aufwandsentschädigung für eine ehrenamtliche Tätigkeit bekommen. Darüber hinaus müssen gemeinnützige Vereine weniger Bürokratie bewältigen. Letztes Jahr hat der ESBD knapp 100 Vereine in Deutschland gezählt, die sich im E-Sport engagieren. Dieses Jahr erwartet der Verband einen Anstieg um 50 bis 70 Prozent. „Der Amateurbereich ist das Fundament einer jeden Sportart“, so ESBD-Präsident Jagnow.

Die Politik hat den Handlungsbedarf bei der neuen Jugendkultur erkannt. E-Sport findet sich schon im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 2018 wieder. Dort steht: „Wir erkennen die wachsende Bedeutung der E-Sport-Landschaft in Deutschland an“ und werden „E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen.“ Diesen Versprechen seien bisher aber leider kaum Maßnahmen gefolgt, bedauert Hans Jagnow.

ESL-Gründer Ralf Reichert arbeitet schon an der Zukunft: „Jetzt ist es wichtig innovativ zu bleiben und sich ständig zu entwickeln.“ Den nächsten Schritt sieht der Unternehmer darin, E-Sport auch auf das Smartphone zu bringen. Mobile-Gaming erfreut sich immer größerer Beliebtheit. „Durch 5G und Cloud-Gaming werden ganz neue Möglichkeiten geschaffen“, sagt Reichert. Das Handy sei nicht länger durch die fehlenden technischen Voraussetzungen gebremst. Über das Internet könne auf die Leistung in großen Rechenzentren zugegriffen werden. „Auch beim mobilen E-Sport muss sich die ESL als Weltmarktführer positionieren“.

Reicherts Ursprungsziel, E-Sport zu einem Job zu machen, ist heute Realität. Mit den rasant wachsenden Umsätzen der Branche, sind auch die Preisgelder der Veranstaltungen gestiegen. Der Entwickler „Epic Games“ vergab in den Finalrunden der Fortnite-Weltmeisterschaft 30 Millionen US-Dollar Preisgeld. Austragungsort: Das ausverkaufte Arthur Ashe Stadion in New York City. 100 Gamer sitzen nebeneinander aufgereiht vor Computerbildschirmen. Konzentriert blicken sie auf den Monitor vor sich, schnelle Bewegungen mit der Maus, Klicken. Schweißabwischen und Aufatmen. Die Stimmen der Kommentatoren überschlagen sich, sie heizen die Stimmung der 19.000 Zuschauer bis zur letzten Sekunde immer weiter auf. Der 16-jährige Kyle Giersdorf, Spielername „Bugha“, gewinnt die Fortnite-Weltmeisterschaft und ist auf einen Klick um drei Millionen US-Dollar reicher. Mehr als zwei Millionen Menschen sahen dabei weltweit per Livestream zu, über die Internetplattformen Twitch und YouTube.

Die Ränge des Arthur Ashe Stadions waren gefüllt mit Menschen aller Altersgruppen. Der deutsche YouTube-Star Sebastian Meyer, alias Rewinside, war bei dem Mega-Event zu Gast und ist sich sicher: „Das hat die Generationen da auf jeden Fall zusammengebracht. Man hat gesehen, dass sich viele Eltern richtig Mühe gegeben haben, zu verstehen, was da passiert und warum ihre Kinder das so spannend finden.“ Als der 16-jährige Kyle Giersdorf die Trophäe in die Höhe reckte, bejubelten ihn nicht nur die kleinen Fans.

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