Earlybird-Gründer Hendrik Brandis Auf der Suche nach den Perlen aus der Provinz

In der Provinz gibt es eben auch gute Start-ups und gute Ideen. So finden Sie sie. Quelle: imago images

Wie der Gründer des Frühphaseninvestors Earlybird neue Wege bei der Suche nach schlauen Köpfen geht – und warum am Ende doch oft das Bauchgefühl den entscheidenden Ausschlag für ein Start-up-Investment gibt.

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Das Geschäft rund um Start-ups steht und fällt mit der Suche nach neuen, innovativen Ideen – und den schlauen Köpfen dahinter. Egal ob Unternehmensgründer oder Kapitalgeber: Sie alle wollen dabei sein, wenn der nächste Mark Zuckerberg oder der nächste Elon Musk mit einem neuen Megathema auf den Plan tritt, welches Bewertungen in Milliardenhöhe verspricht – und damit eben auch Erlöse in ähnlichen Dimensionen.

Doch der Markt ist in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, das gilt für Entrepreneure wie Finanziers gleichermaßen: Zwar haben die Zahl der Gründungen und das verfügbare Risikokapital – von einigen Schwankungen abgesehen – über die Jahre deutlich zugelegt. Gleichzeitig hat sich aber auch der Kampf um die klugen Köpfe deutlich intensiviert: In praktisch allen Metropolen – egal ob Silicon Valley, London oder Berlin – sind nicht mehr nur lokale Investoren aktiv. Auch die großen amerikanischen oder britischen Fonds sind in der Regel längst mit eigenen Büros vor Ort.

Umso wichtiger wird für die Kapitalgeber von Start-ups bei der Suche nach klugen Köpfen der Blick abseits der Metropolen – das gilt gerade für Frühphasenfinanzierer wie Hendrik Brandis. Der 55-Jährige ist Mitgründer und Partner des Wagniskapitalgebers Earlybird, mit einem Fondsvolumen von einer Milliarde Euro – davon 800 Millionen im Bereich Early Stage – einer der größten Venture-Capital-(VC)-Geber in Europa. „Wir müssen neue Wege gehen, um Zugang zu den vielversprechendsten Start-ups und Innovationen zu finden“, sagt Brandis im „Chefgespräch“, dem Podcast mit WirtschaftsWoche-Ressortleiterin Varinia Bernau.

Die Begründung dafür liefern die nackten Zahlen: 2011 hat Earlybird noch 80 Prozent seiner Investitionen in fünf bis sechs Standorten gemacht; zehn Jahre später lag dieser Anteil nur noch bei 47 Prozent – mit weiter fallender Tendenz. Bei der Konkurrenz ist die Situation ähnlich. Der halbstaatliche High-Tech Gründerfonds (HTGF) etwa tätigt aktuell nur noch die Hälfte seiner Start-up-Investitionen in den drei Millionenstädten Berlin, München und Hamburg, der Rest entfällt breit verteilt auf regionale Zentren in Deutschland. „Oftmals entwickeln sich die Perlen aus der Provinz sogar besser als die Investitionen in den großen Metropolen“, sagt HTGF-Investment-Manager Dominik Lohle.

Datengetriebene Suche nach Innovationen

Schon heute können es sich Frühphaseninvestoren wie Earlybird und HTGF aus organisatorischer und personeller Sicht gar nicht leisten, in kleineren Orten wie Landshut oder Heidelberg aktiv zu sein. Die Lösung dieses Dilemmas lautet Technologie, zumindest in den Augen von Hendrik Brandis: „VCs werden künftig viel datengetriebener arbeiten als in der Vergangenheit“, sagt der studierte Maschinenbauer. „Auch wir haben eine eigene IT-Abteilung.“

Hendrik Brandis, Earlybird Mitgründer Quelle: Wolf Heider-Sawall für Wirtschaftswoche

Immerhin sieben der insgesamt 80 Earlybird-Mitarbeiter seien ITler; diese tüfteln unter anderem an Algorithmen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI), um Innovation proaktiv identifizieren zu können. „Im Grunde durchstöbern wir jede Nacht über 200 Datenbanken in ganz Europa und versuchen aufgrund der gesammelten Daten Muster zu erkennen, die darauf hindeuten, dass irgendwo eine interessante Innovation entstehen wird“, erläutert Brandis – und gibt ein Beispiel: Wenn eine Gründerin laut Handelsregister ein Start-up ins Leben ruft, sie gleichzeitig mit dem Patentamt im Austausch steht und sie zudem im Business-Netzwerk LinkedIn eine Stelle als Data Scientist veröffentlicht, könne sein System diese Person identifizieren – und Earlybird nehme dann Kontakt zu ihr auf. In der Vergangenheit lag die Zahl der selbst angestoßenen Deals bei unter 20 Prozent; heute sind es bereits drei Viertel.

Die Identifizierung spannender Innovationen ist aber nur die halbe Arbeit. Der wichtigere – und zugleich schwierigere Schritt ist die Auswahl der wirklich funktionierenden Geschäftsmodelle. Hier kommt es auf Marktzahlen, Business-Pläne und Geschäftsanalysen an – aber vor allem auf den oder die Gründer. „Der wichtigste Part bei Frühphaseninvestments ist der Mensch, ist der Gründer selbst“, sagt Brandis. Er selbst hat größere Untersuchungen bei gescheiterten Start-up-Investments von Earlybird durchgeführt.

Das Ergebnis: Faktoren wie das passende Produkt zur richtigen Zeit, ein adressierbarer Markt sowie ein möglichst nicht einfach nachzuahmendes Geschäftsmodell spielen letztlich eine untergeordnete Rolle für den Erfolg einer Neugründung. Bei zwei Drittel aller gescheiterten Start-ups von Earlybird hätten all jene messbaren Faktoren gestimmt – dennoch seien die Unternehmen gefloppt. „Es lag also an den Menschen, da haben wir offensichtlich aufs falsche Team gesetzt“, sagt Brandis.

Es gehe daher letztlich vor allem darum, jene Menschen zu identifizieren, welche gute Unternehmer seien und einen unternehmerischen Kompass in sich tragen. „Solche Gründer haben die Fähigkeit, unter hoher Unsicherheit mit wenigen Datenpunkten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit richtige Entscheidungen zu treffen als andere“, so Brandis.

KI kontra reines Bauchgefühl

Sich hier nur auf sein Bauchgefühl zu verlassen, birgt aber ein weiteres Risiko: Entscheidungen bleiben rein subjektiv und teils von Vorurteilen behaftet. Als Reaktion auf voreingenommene und ineffiziente Entscheidungsprozesse in der Venture-Capital-Branche hat Eva-Valérie Gfrerer den Frühphasenfinanzierer Morphais VC im Jahr 2020 in Berlin gegründet. Das Unternehmen hat eine eigene KI-Technologie entwickelt, um europaweit talentierte Tech-Gründer zu identifizieren und in diese zu investieren – treibt also gewissermaßen den technologiegetriebenen Ansatz von Earlybird auf die Spitze.

„Indem wir diverse Datenbanken und Handelsregistereinträge mit unserer Technologie scannen, schaffen wir maximale Sichtbarkeit für Gründerinnen und Gründer“, sagt Gfrerer. Insgesamt ermögliche es ihre Technologie, rund 60 bis 70 Prozent aller Tech-Start-ups in Europa automatisiert zu identifizieren. „Diese Liste können wir dann anhand verschiedene Kriterien wie etwa Markt oder Technologie filtern.“

Auch bei der Auswahl der Investments unterstützt die Technologie: „Unsere KI verfügt über historische Daten und hilft uns, die Spreu vom Weizen zu trennen, indem wir bestimmte Muster erkennen, die erfolgreiche Gründer auszeichnen“, sagt Gfrerer. In das Modell flössen zudem auch Faktoren ein, um mögliche Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe zu beseitigen. All dies helfe ihr dabei, bessere Investitionsentscheidungen zu treffen – ohne mögliche Voreingenommenheit etwa durch das eigene Netzwerk an Kontakten.

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Allerdings mag auch Eva-Valérie Gfrerer sich nicht komplett auf ihre KI verlassen, wie sie einräumt: „Unser System dient letztlich der Entscheidungsunterstützung.“

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