Emily Chang über Sexismus „Das Silicon Valley ist scheinheilig“

Emily Chang ist Reporterin beim Finanznachrichtendienst Bloomberg. Dort hat sie ihre eigene TV-Show, in der sie regelmäßig Prominente aus dem Silicon Valley befragt. Ihr Buch „Brotopia – Breaking up the Boys‘ Club of Silicon Valley“ ist im Verlag Penguin Randomhouse auf Englisch erschienen. Quelle: PR

Bloomberg-Reporterin Emily Chang hat ein Buch über den Sexismus im Silicon Valley geschrieben. Sie spricht über Uber-Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter in den Fessel-Club einladen – und die wahren Gründe der Frauen-Diskriminierung.

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Wirtschaftswoche: Frau Chang, warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Emily Chang: Ich habe mich schon immer für das Thema Frauen in der Tech-Branche interessiert, einfach weil sie so unterrepräsentiert sind. Frauen nehmen nur 25 Prozent aller Arbeitsplätze in der Industrie ein, in den USA sind nur sieben Prozent aller Investoren weiblich und Gründerinnen bekommen nur zwei Prozent des gesamten Investorenkapitals. Wenn ich in meiner Sendung Bloomberg Technology, in der Persönlichkeiten wie Apple-Chef Tim Cook, Facebook-Chef Mark Zuckerberg oder Top-Managerin Sheryl Sandberg auftreten, versucht habe, über das Thema zu sprechen, haben viele nur rumgedruckst und erst geredet, nachdem die Kamera aus war. Also habe ich mich aufgemacht, um herauszufinden, warum Frauen aus jener Branche, die den größten Wohlstand in der Neuzeit akkumuliert hat, ausgeschlossen wurden. Und glauben Sie mir, ich bin dabei auf jede Menge Überraschungen gestoßen.

Zum Beispiel?
In den 1940er und 50er Jahren haben Frauen eine entscheidende Rolle in der Computerbranche gespielt. Sie haben Programme für das Militär geschrieben oder für die NASA. Doch irgendwann wurden sie ausgesiebt. Der Grund dafür ist erstaunlich: In den 60er und 70ern Jahren wuchs die Branche extrem schnell, die Unternehmen suchten verzweifelt nach Talenten. Damals entwickelten zwei Psychologen im Auftrag einer Software-Firma einen Persönlichkeitstest, der die besten Programmierer herausfiltern sollte. Und die beiden haben einfach festgelegt, dass gute Programmierer jene Menschen sind, deren soziale Kompetenzen eher unterentwickelt sind. Und wenn man nach Mitarbeitern sucht, die keine anderen Menschen mögen, dann wird man viel eher auf Männer stoßen als auf Frauen. 

Ist das nicht etwas vereinfacht dargestellt?
Das ist wissenschaftlich belegt. Diese Persönlichkeitstests waren Jahrzehnte lang Standard in der Branche. Das ist der Grund, warum bis heute in unseren Köpfen dieses Stereotyp herumspukt vom meist männlichen, weißen Programmierer, der sich etwas merkwürdig verhält. Ein Nerd also, der prima Programme schreibt. Dabei hat keine Studie bisher einen Unterschied zwischen Männern und Frauen festgestellt, wenn es darum geht, wer besser programmieren kann. Und es gibt Tausende von solchen Untersuchungen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die Grundlage der JPEG-Technologie und dafür, wie Firmen wie Apple oder Google bis heute digitale Bilder verarbeiten, sei ein Foto von einer Frau, das jemand aus dem Playboy herausgerissen hat. Wie ist das passiert?
Oh mein Gott, ja. Ich musste mir diese Playboy-Ausgabe besorgen. Als ich die Seite aufschlug, habe ich nur gedacht, wie konnte so etwas in einem renommierten Computerlabor rumliegen? Ich habe den Mann kontaktiert, der das Labor damals geleitet hat. Er sagte mir, das sei eben ein gutes Foto gewesen, kein Sexismus. In dieser Branche will niemand Verantwortung übernehmen. Das Problem wird immer von einem zum nächsten herumgereicht. Dieses Bild von dieser Frau zu benutzen war ja nicht bösartig, es war eher kindisch. Wenn Sie wollen, war es ein Unfall. Aber alle diese Unfälle und die Ignoranz haben sich über die Jahre immer weiter übereinander gestapelt. Der Mann sagte übrigens noch, damals habe keine Frau in seinem Labor gearbeitet. Genau, welche Frau hätte da schon arbeiten wollen?

Das Silicon Valley stellt sich selbst gerne als Ort der Progressiven dar, deren Bewohner die Welt verbessern wollen. Führt es uns an der Nase herum?
Sexismus und Belästigungen gibt es überall, aber das Faszinierende am Silicon Valley ist seine Scheinheiligkeit. Es laufen so viele Leute hier herum, die die Welt verändern wollen. Es ist eine Branche, die nie vor großen Problemen zurückschreckt. Sie will die Menschheit vernetzen, autonom fahrende Autos entwickeln und uns zum Mars bringen. Wenn es aber darum geht, mehr Frauen einzustellen, heißt es plötzlich: ‚Oh, das ist zu schwierig. Wir wissen nicht, wie das geht.‘ Im Silicon Valley sitzt die wahrscheinlich mächtigste Industrie derzeit. Sie hat eine besondere Verantwortung. Sie sollte Frauen nicht einfach ausgrenzen, weil sie nicht aussehen wie Mark Zuckerberg oder Bill Gates.

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