Emily Chang über Sexismus „Das Silicon Valley ist scheinheilig“

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Sexismus wurde jahrzehntelang ignoriert

Warum interessieren sich die Menschen gerade jetzt für den Sexismus in der Tech-Branche - nachdem das Thema jahrzehntelang ignoriert wurde?
Die MeToo-Bewegung hat in der Tech-Branche schon 2012 begonnen mit Ellen Pao. Sie hat ihren damaligen Arbeitgeber, den renommierten Wagnisfonds Kleiner Perkins, wegen Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts verklagt. Pao hat den Prozess im Gerichtssaal verloren, aber sie hat die öffentliche Meinung gewonnen. 2016 schrieb dann Susan Fowler, eine bis dahin unbekannte Uber-Mitarbeiterin ihren Blog, in dem sie auf die frauenfeindliche Arbeitsatmosphäre dort hinwies. Zu der Zeit habe ich ein Dutzend Frauen aus der Branche zum Abendessen eingeladen. Keine von ihnen war überrascht über das, was Susan da geschrieben hatte. Diese Frauen hatten genau dasselbe jeden Tag erlebt, jeden Tag ungewollte Avancen erhalten. Die Wahl von Donald Trump ins Weiße Haus hat schließlich viele Frauen sehr wütend gemacht und sie darin bestärkt, jetzt ihre Geschichten zu erzählen. Uber war lange Zeit ein besonders harter Fall.

Warum?
Uber-Programmierer haben mir bei den Recherchen erzählt, dass sie von ihren Vorgesetzten mitten am Tag dazu eingeladen wurden, mit ihnen in eine Strip Bar oder einen Fessel-Club zu gehen. Was macht man in so einer Situation? Wenn Sie nicht mitgehen, kann das unangenehme Konsequenzen haben. Vielleicht verpassen Sie einen wichtigen Deal, der dort besprochen wird. Es gibt einfach keine gleichen Bedingungen für alle im Valley. Ein guter Teil des Geschäftes wird an der Bar und manchmal im Strip-Club besprochen. Frauen werden dazu nicht eingeladen. Sie werden systematisch ausgegrenzt. Uber hatte zu lange einen Chef, dem das egal war.

Sie outen in Ihrem Buch den Investor Steve Jurvetson, einen der einflussreichsten Wagnisinvestoren, Sex-Partys organisiert zu haben. Auch Elon Musk war dort zu Gast, will das Ganze aber als Kostümparty verstanden haben und früh nach Hause gegangen sein. Die Gegend rund um San Francisco zieht spätestens seit den Hippies Experimentier-Freudige und alternative Lebenskonzepte an. Was ist also schlimm, wenn auch mal Wagnisinvestoren eine Sex-Party feiern?
Erstens: Die Party, von der ich schreibe, wurde vom Unternehmen, der Wagniskapitalfirma, gesponsort. Zweitens: Ich habe nie geschrieben, dass das eine Sex-Party war, aber ich habe mit Frauen und Männern gesprochen, die über Situationen berichteten, die sie dort als sehr unangenehm empfanden. Es wurden Drogen rumgereicht und eine Frau, mit der ich gesprochen habe, fühlte sich zu Sex gedrängt, nachdem sie diese Drogen bekommen hatte. Das Unternehmen hat sich sofort entschuldigt, als die Geschichte rauskam. Der Gründer arbeitet dort nicht mehr. Das größere Thema ist aber, dass auf solchen Partys sehr viele sehr einflussreiche Männer auftauchen. Die Gastgeber laden oft doppelt so viele Frauen wie Männer ein und sagen dann, sie würden nur traditionelle Moralvorstellungen in Frage stellen. Das ist doch Quatsch. Männer, die Macht über Frauen ausüben, gibt es schon seit jeher. Die Frauen hingegen, mit denen ich gesprochen habe, bereuten, dort hingegangen zu sein. Sie fühlten sich missachtet und in Bedrängnis gebracht. Frauen konnten in der Situation nichts gewinnen. 

Die Tech-Branche ist sehr erfolgreich. Warum sollte sie sich je ändern wollen?
Dieses Argument habe ich schon oft gehört und wer es anbringt, macht es sich zu einfach. Wir werden nie wissen, wo diese Unternehmen stehen würden, wenn mehr Frauen von Anbeginn an mit dabei gewesen wären. Wissenschaftlich ist längst bewiesen, dass diversere Teams innovativer sind. Der Internationale Währungsfonds hat vor Kurzem eine Studie herausgebracht, wonach die Profitabilität um drei bis acht Prozent steigt, wenn eine Frau ins Führungsgremium einzieht. Wow, das sind doch überzeugende Zahlen. Warum reden wir nicht öfter darüber? 

Was sagen die Verantwortlichen dazu?
Ich habe Ev Williams, den Mitgründer von Twitter, befragt. Er ist der Meinung, dass Online-Hetze vermutlich kein so großes Problem heute wäre, wenn damals auch ein paar Frauen mit am Tisch gesessen hätten. In den Anfangsjahren dachten sie über all diese wunderbaren Funktionen nach, die normalen Menschen dank Twitter eine lautere Stimme geben würden. Dass damit Frauen massiv Vergewaltigungsdrohungen und Hassreden ausgesetzt werden könnten, haben sie nicht bedacht. Studien belegen, dass Frauen Opfer von extremerer Online-Hetze sind als Männer. Es wäre also nicht schlecht gewesen, hätte Twitter verschiedene Perspektiven bedacht. Das Silicon Valley kontrolliert heute, was wir digital sehen, was wir über uns verbreiten, wie wir unsere Meinung bilden. Das ist keine Bagatelle, sondern ein Problem, das uns alle etwas angeht.

Wie lässt es sich ändern?
Der Wandel muss von ganz oben kommen. CEOs haben eine Verantwortung, mehr Frauen einzustellen und dies zu einer Priorität zu machen. Wir brauchen mehr Unternehmer wie den Slack-Gründer Stewart Butterfield. Jedes Mal, wenn er darüber twittert, dass ihm Vielfalt wichtig ist, erhalten sie bei Slack eine Menge an Bewerbungen von Kandidaten mit den unterschiedlichsten Biografien. Butterfield hat die internen Einstellungsprozesse auf den Kopf gestellt. Und er lässt die Bezahlung regelmäßig überprüfen, denn die Gehaltslücke im Valley zwischen Frauen und Männern ist fünf Mal so groß wie im Durchschnitt der Vereinigten Staaten. Am Ende des Tages geht es doch darum, dass alle Menschen hier würdevoll und respektvoll behandelt werden sollten. Und das ist im Silicon Valley für die längste Zeit nicht geschehen.

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