Entwicklungsprojekt Diese App weiß, wo Corona lauert

Das Smartphone soll zum wichtigsten Navigator durch die Corona-Gebiete werden. Quelle: imago images

Unternehmer Mathias Reidel verspricht eine Alternative zum Shutdown: Eine App soll alle Straßen und Gebiete identifizieren, in denen es keine Ansteckungsgefahr mehr gibt. Wenn die Datenschützer mitmachen.

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Der Brief an Peter Altmaier und Jens Spahn beginnt mit einem eindringlichen Appell. „Der momentane Shutdown belastet unsere Wirtschaft und bringt vor allem kleine und mittelständische Unternehmen an den Rand dessen, was wir verkraften können“, mailte der App-Entwickler Mathias Reidel Donnerstagabend um 21.59 Uhr an die beiden zuständigen Bundesminister. „Wir müssen dringend einen Weg finden, schnell wieder Fahrt aufzunehmen.“ Dabei bietet der ehemalige Microsoft-Manager, der in den vergangenen Jahren als Business-Entwickler für diverse Start-ups tätig war, seine Hilfe mit einer unkonventionellen Idee an. Die dürfte Datenschützern allerdings einige Schweißperlen auf die Stirn treiben.

Reidel will das Smartphone zum wichtigsten Navigator durch die Corona-Gebiete machen. Er wollte nicht einfach rumsitzen und warten, was passiert, sondern aktiv nach Lösungen suchen, sagt er. Seine Idee wurde erst am Abend des 24. März im Facebook-Chat geboren. Schon am nächsten Morgen begann Reidel potenzielle Kooperationspartner zu überzeugen – und startete mit dem Münchner Start-up Open as App, mehreren Entwicklern von Open-Source-Software und ehemaligen Microsoft-Kollegen die gemeinsame Initiative – mit dem ehrgeizigen Ziel, „für die gute Sache und auf freiwilliger Basis“ innerhalb von 48 Stunden eine bundesweit funktionierende Corona-Erkennungs-App für alle Smartphones zu bauen.

Inzwischen ist das Produkt fast marktreif und Testversionen können bereits im Web geladen werden. Nur die anschauliche Visualisierung anhand übersichtlicher Stadt- und Straßenpläne fehlt noch und soll bis morgen abgeschlossen werden. „Im Moment gibt es Fallzahlen der Corona-Infektionen nur je Bundesland oder Landkreis“, sagt Reidel. Die Telekom und das Robert-Koch-Institut werten bereits anonyme Bewegungsdaten aus, jedoch nicht flächendeckend. „Der Oberbürgermeister einer Stadt wie Tübingen weiß nicht, wie sich die Corona-Fälle in seinem Stadtgebiet verteilen.“ Diese Lücke will seine neue „Covid-19 Tracking App“ schließen. In Echtzeit soll sie die tatsächlichen Fälle einer Straße, eines Ortes oder einer Region erfassen und feststellen – wie Reidel es formuliert – „wo so sich sogenannte Kohorten gebildet haben“. Dort könnten die Behörden dann die Beschränkungen verschärfen. In Regionen mit geringer Ansteckungsgefahr können sie solche Beschränkungen binnen kürzester Zeit auch wieder aufheben. „Es geht um die kleinste Zelle, und damit auch um den Landkreis und damit auch um das Bundesland“, sagt Reidel.

Möglich sei das, weil die Nutzer selber ihren aktuellen Gesundheitsstatus („von gesund bis positiv getestet“) in die App eingeben. Die wertet die erfassten Daten mit den jeweiligen Standorten aus und kann daraus Verlaufskurven und Prognosen erstellen. Eine Ampel mit den drei Farben grün, gelb und rot stuft entsprechend alle Zonen je nach Bedrohungslage ein. Die Nutzer können dann vergleichsweise exakt zoomen, in welchen Straßen oder Häuserblöcken Ansteckungsgefahren lauern und wo nicht. Die Daten lassen zwar keine Identifikation einzelner Personen zu, aber Rückschlüsse auf einzelne Straßenabschnitte oder sogar einzelne Häuser wären im Prinzip technisch möglich.

Das Ziel sei eine sehr dynamische Heatmap, die ständig aktualisiert wird. „Unsere App soll helfen, Orte und Straßen zu finden, in denen die Behörden die Bewegungseinschränkungen zurücknehmen können.“ Sobald die App ihre Feuertaufe in Deutschland bestanden hat, wollen die Initiatoren ihre Idee auch in andere Länder exportieren.

Noch aber muss der Bundesdatenschutzbeauftragte seinen Segen zu der Corona-App geben. Ende vergangener Woche hat Reidel deshalb Ulrich Kelber über die Grundzüge seines Projekts informiert. Jetzt wartet er gespannt auf seine Antwort. „Wir legen großen Wert auf eine juristische und datenschutzrechtliche Prüfung, um unsere Lösung und die Auswertung grundrechtskonform zu gestalten“, verspricht Reidel.

Mehr zum Thema: Ulrich Kelber ist Bundesbeauftragter für Datenschutz. Im Interview erklärt er, warum es in Deutschland nur freiwillig installierte Corona-Apps geben darf.

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