Essay Die Technik kostet uns ein Stückchen Freiheit

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Die NSA

Die starken Sprüche zur NSA-Affäre
Christian FlisekDer SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, sagte dem Bayerischen Rundfunk, sollte sich der Verdacht erhärten, dass zwei Jahre lang ein Spion der US-Geheimdienste beim Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet und den Untersuchungsausschuss ausspioniert hat, wäre das ein „Skandal“ und „Angriff auf die parlamentarische Demokratie“. Dies müsste Konsequenzen haben, sowohl im Bereich der Zusammenarbeit der Geheimdienste als auch im Bereich der Politik. Quelle: dpa
Volker BeckDer innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sagte „Handelsblatt Online“: „Die Verantwortung für die Aktivitäten des BND liegen im Bundeskanzleramt. Wir erwarten, dass die Aufklärung über diesen Vorgang schonungs- und rückhaltlos von höchster Stelle angeordnet wird.“ Quelle: dpa
Bernd RiexingerDie Linkspartei sieht das Kanzleramt in der Verantwortung. „Alle Finger zeigen auf das Kanzleramt und dessen Chef“, sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger der „Rheinischen Post“. „Der BND ist auf dem atlantischen Auge blind“, erläuterte er. Wenn die Spionageabwehr offenkundig noch nach den Mustern des Kalten Krieges funktioniere, stelle sich die Frage nach der politischen Verantwortung für eine Fehlsteuerung. Riexinger forderte, die Bundesregierung müsse den Amerikanern jetzt „die Zähne zeigen“ und das Parlament parteiübergreifend „gegen diesen Angriff auf seine Freiheit Stellung beziehen“. Quelle: dpa
Konstantin von NotzDer Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz, sagte den „Ruhr Nachrichten“, wenn sich der Verdacht bewahrheite, handele es sich um einen „ungeheuerlichen Vorgang“. „Es kann nicht hingenommen werden, wenn der NSA-Ausschuss, der die Ausforschung von Millionen Deutschen aufklären soll, selbst ausgeforscht wird.“ Ein solcher Vorgang müsste Konsequenzen haben. „Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, müsste es auch gegenüber den Amerikanern eine deutliche Reaktion geben. Die Ausforschung eines Bundestagsgremiums ist keine Lappalie.“ Quelle: dpa
Larry PageAls nächster Spitzenmanager aus der Internet-Branche hat Google-Chef Larry Page das Überwachungssystem der USA kritisiert. „Für mich ist es außerordentlich enttäuschend, dass die US-Regierung das alles heimlich getan und uns nichts gesagt hat“, sagte Page beim Auftritt auf einer Konferenz in Vancouver. Mit „uns“ meine er nicht Google, sondern die Öffentlichkeit, stellte Page auf Nachfrage klar. „Wir können keine Demokratie haben, wenn wir Sie und unsere Nutzer vor Dingen schützen müssen, über die wir nie gesprochen haben“, sagte der Google-Mitgründer im Gespräch mit dem TV-Journalisten Charlie Rose auf der Innovations-Konferenz TED. Man müsse wissen, welche Überwachung die Regierung plane und warum. Quelle: REUTERS
James WoolseyWegen Hochverrat will der ehemalige CIA-Chef den NSA-Whistleblower Edward Snwoden verurteilen. Dem Fernsehsender Fox News sagte er: "Wenn er dann von seinesgleichen verurteilt wurde, sollte er an seinem Hals aufgehängt werden, bis er tot ist." Die harsche Äußerung ist eine Reaktion auf den Vorschlag des NSA-Mitarbeiters Rick Ledgett, der Snowden freies Geleit zusichern wollte, wenn dieser im Gegenzug die Enthüllungen unterließe. Quelle: AP
René ObermannTelekom-Vorstandschef René Obermann hat der Bundesregierung und der EU-Kommission vorgeworfen, zu wenig für die Aufklärung der NSA-Abhöraffäre zu tun. „Die Spitzeleien haben das Vertrauen in zwei Grundpfeiler unserer Gesellschaft, die freie Kommunikation und die Privatsphäre, erschüttert“, sie seien „sogar demokratiegefährdend“, sagte der scheidende Telekom-Chef dem „Handelsblatt“. Es sei Sache der Politik und nicht der Wirtschaft, gegenüber den USA die Einhaltung von Datenschutzstandards einzufordern. „Es ist fahrlässig, dass so wenig geschieht.“ Obermann forderte, den Datenschutz in der EU schnell zu vereinheitlichen. Quelle: dpa

Dass die amerikanischen und britischen (in geringerem Umfang auch andere europäische) Geheimdienste, angeblich immer im Kampf gegen Terrorismus und Drogenkriminalität, jahrelang systematisch die Daten privater Nutzer ausschnüffelten. Dass sie abermillionenfach E-Mails ausspähten, sich zehntausendfach Zugang zu Servern großer Datencloud-Betreiber von Apple über Microsoft bis Google verschafften, Konten bei sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter durchleuchteten und die Telefone bis hin zu dem der Bundeskanzlerin abhorchten.

All das wirkte auf das allgemeine Vertrauen in die Integrität des Netzes und die Freiheit der Datenkommunikation wie ein digitaler Tsunami. Der NSA-Skandal ist das Fukushima des Internets. Die öffentliche Meinung über das Internet ist nun auf Jahre hinaus kontaminiert von einem an Paranoia grenzenden Misstrauen gegen jede Form von Datenspeicherung.

Für Deutschland, wo immer schon eine leicht neurotische, von den Amerikanern milde belächelte Angst vor Datenmissbrauch herrschte, gilt das besonders. Das Letzte, was die Menschen – dank NSA – heute mit dem Internet assoziieren, ist der Begriff der Freiheit. Im Übereifer der Terrorismusbekämpfung tappte das Weiße Haus also in eine alte Denkfalle und verwechselte Freiheit mit Sicherheit. Dabei hatte doch Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, seinen Landsleuten schon vor mehr als 200 Jahren ins Stammbuch geschrieben: „Diejenigen, die die Freiheit zugunsten der Sicherheit preisgeben, werden am Ende keines von beidem haben – und sie verdienen es auch nicht.“

NSA speicherte mehr als 300 Berichte über Merkel
29. März 2014Der US-Geheimdienst NSA hat nach einem Medienbericht in einer Datenbank über 100 Staats- und Regierungschefs offiziell als Spionageziele erfasst, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Allein über Merkel seien mehr als 300 Berichte gespeichert, berichtet „Der Spiegel“ unter Berufung auf ein geheimes NSA-Dokument aus dem Archiv des Informanten Edward Snowden. Das Dokument belege, dass die National Security Agency (NSA) nachrichtendienstliche Erkenntnisse über die Kanzlerin gesammelt habe, und könnte damit ein wichtiges Beweisstück für die Bundesanwaltschaft sein, heißt es weiter. Diese wolle in Kürze entscheiden, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen Spionage einleitet. Die Karlsruher Behörde beschäftigt sich mit zwei Vorwürfen. Einer betrifft das massenhafte Ausspähen der Bürger in Deutschland, der andere den konkreten Punkt, dass ein Mobiltelefon Merkels abgehört worden sein soll. Sollte tatsächlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, erwarten Experten neuen Ärger mit den USA. Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden hatte Tausende Geheimdokumente an Journalisten übergeben und so den NSA-Skandal losgetreten. Das Dokument, das „Der Spiegel“ einsehen konnte, liste allem Anschein nach alphabetisch 122 Staats- und Regierungschefs auf, über die die NSA im Mai 2009 Informationen gesammelt habe, heißt es. Zwölf Namen seien exemplarisch aufgeführt, darunter Merkel. Die Liste beginne bei A wie Abdullah Badawi, dem damals gerade zurückgetretenen malaysischen Ministerpräsidenten. Nummer 122 sei - von der NSA mit Y geschrieben - Julia Timoschenko, 2009 noch ukrainische Premierministerin. Das Magazin berichtet auch über ein weiteres Dokument aus der NSA-Abteilung „Special Sources Operations“, die für den Zugang zu den großen Internettrassen zuständig sei. Daraus gehe hervor, dass das für NSA-Anträge zuständige US-Sondergericht den Geheimdienst am 7. März 2013 autorisiert habe, Deutschland zu überwachen. Welche Daten davon genau betroffen seien, lasse sich anhand des Dokumentes nicht sagen. „Der Spiegel“ beruft sich aber auf die Einschätzung der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Aclu. Diese geht demnach davon aus, dass der NSA damit der Zugriff auf die Kommunikation aller deutschen Staatsbürger erlaubt ist. Quelle: dpa
19. März 2014Die NSA kann einem Zeitungsbericht zufolge sämtliche Telefongespräche eines Landes aufnehmen und 30 Tage lang anhören. Das Programm mit dem Namen Mystic sei im Jahr 2009 gestartet worden und 2011 erstmals gegen einen Staat in vollem Umfang eingesetzt worden, berichtete die "Washington Post" unter Berufung auf Personen, die mit dem System vertraut sind, sowie auf Dokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Auf Wunsch der Behörden hält das Blatt demnach Einzelheiten zurück, damit der betroffene Staat und potenzielle weitere Zielländer nicht identifiziert werden können. Ein Verantwortlicher verglich das Programm dem Bericht zufolge mit einer Zeitmaschine, weil jeder Anruf erneut abgespielt werden kann. Auf eine bestimmte Zielperson müsse man sich vorher nicht festlegen. Quelle: dpa
17. Januar 2014Die NSA kann laut einem neuen Zeitungsbericht fast 200 Millionen SMS-Nachrichten pro Tag abgreifen. Das gehe aus einem Dokument aus dem Jahr 2011 hervor, berichtete die britische Zeitung „Guardian“ am Donnerstagabend. Das Programm mit dem Namen „Dishfire“ sammele wahllos „so ziemlich alles, was es kann“, gehe aus Papieren des britischen NSA-Partnerdienstes GCHQ hervor. Die Geheimdienste fischten aus den Kurznachrichten Informationen etwa über Reisepläne, Adressbücher oder Finanz-Transaktionen, hieß es. Außerdem gäben zum Beispiel Benachrichtigungen über entgangene Anrufe Informationen über den Bekanntenkreis eines Nutzers. Jeden Tag sammele die NSA den Unterlagen zufolge mehr als fünf Millionen davon ein. Genauso wiesen 1,6 Millionen registrierte Roaming-Benachrichtigungen auf Grenzübertritte hin. Ebenso seien aus mehr als 76 000 Kurznachrichten Geodaten extrahiert worden. Der Präsentation von 2011 zufolge wurden an einem Beispieltag 194 Millionen SMS-Nachrichten eingesammelt, schrieb die Zeitung. Ein weiteres Dokument gebe einen Eindruck von der Auswertungskapazität des Systems: Die Geheimdienst-Analysten würden darin aufgefordert, nach nicht mehr als 1800 Telefonnummern gleichzeitig zu suchen. Die Dokumente stammten aus dem Fundus des Informanten Edward Snowden und seien 2012 von einer Seite mit Anleitungen zum „Dishfire“-System für GCHQ-Mitarbeiter heruntergeladen worden. Das System sei zu diesem Zeitpunkt im Einsatz gewesen. Quelle: dpa
3. Januar 2014Der US-Geheimdienst NSA will einem US-Medienbericht zufolge einen Supercomputer entwickeln, der in der Lage sein soll, fast alle Verschlüsselungen weltweit zu knacken. Die "Washington Post" berichtete der Computer solle die Sicherheitsbarrieren so gut wie aller Einrichtungen weltweit überwinden können, von Regierungen über Banken bis hin zu geheimen Forschungseinrichtungen und etwa medizinischen Daten von Patienten. Quelle: AP
29. Dezember 2013Der US-Geheimdienst NSA hat nach Informationen des „Spiegel“ zahlreiche kommerzielle IT-Produkte geknackt und Schwachstellen für Spionagezwecke ausgenutzt. Darunter seien auch Produkte großer amerikanischer Firmen wie Microsoft,Cisco oder Dell, außerdem solche der chinesischen Firma Huawei, berichtet das Nachrichtenmagazin in seiner neuen Ausgabe. Das gehe aus Dokumenten des Informanten Edward Snowden hervor, die der „Spiegel“ ausgewertet habe. Die Unterlagen legten nahe, dass dies ohne das Wissen oder die Unterstützung der betroffenen Unternehmen passiert sei. Über das weltweit kritisierte NSA-Spähprogramm NSA streitet die US-Justiz. Quelle: dpa
21. Dezember 2013Der US-Geheimdienst NSA hat nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters zehn Millionen Dollar an die Internetsicherheitsfirma RSA gezahlt, damit ein von ihm entwickeltes Verschlüsselungssystem als Kern der RSA-Sicherheitssoftware Bsafe genutzt wird. Die RSA hatte bereits im September nach den Enthüllungen über Spähaktionen der NSA eine Warnung zu ihrer Software Bsafe veröffentlicht. Darin sei ein Werkzeug zur Generierung von Zufallszahlen enthalten, die auf einer von der NSA mitentwickelten schwachen Formel basiere, erklärte das Unternehmen. Möglicherweise hat sich die NSA mit dem von ihr entwickelten Zufallsgenerator eine Hintertür geschaffen, um verschlüsselte Verbindungen ausspähen zu können. Quelle: dpa
15. Dezember 2013Die NSA kann nach neuen Enthüllungen massenhaft Handy-Gespräche abhören. Dabei nutze der US-Geheimdienst aus, dass die rund 30 Jahre alte Verschlüsselung des Mobilfunk-Standards GSM geknackt sei, schrieb die „Washington Post“ unter Berufung auf Unterlagen des Informanten Edward Snowden. Mit dieser Fähigkeit dürften auch die Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört worden sein. Quelle: dpa

Gleichwohl könnte der NSA-Skandal, ungeachtet der politischen Flurschäden, die er anrichtete, am Ende paradoxerweise vielleicht sogar auch etwas Positives bewirkt haben: Der naiven Blauäugigkeit, mit der das Internet seit dem „arabischen Frühling“ weltweit als demokratisches Befreiungsinstrument gefeiert und geradezu als Ersatzreligion glorifiziert wurde, setzte der NSA-Schock einen unerhört wirksamen Dämpfer auf.

Kurz vor dem Ausbruch des Sturms um die NSA hatte der französische Anthropologe und Medienforscher Philippe Breton von der Universität Straßburg gerade wieder einmal vor dem Trugschluss gewarnt, aus dem Internet simple digitale Patentlösungen für jedes denkbare gesellschaftliche Problem herauslesen zu wollen. „Der Internet-Zentrismus hat allmählich Züge einer Heilslehre angenommen“, kritisierte der Medienwissenschaftler und forderte die „Säkularisierung der Kommunikation“.

Mehr als alle anderen Informationsbereiche dürfte die mobile Kommunikation in den vergangenen Jahren zur Internet-Abhängigkeit beigetragen haben. Noch nie in der Geschichte waren wir als Individuen so eng, so höchstpersönlich an eine einzige Technologie gekettet.

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