Eine einzige Frage reichte, um den konservativen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney im amerikanischen Wahlkampf 2012 als Lachnummer abzustempeln. „Warum kann man im Passagierflugzeug eigentlich kein Fenster öffnen, um schnell mal frischen Sauerstoff in die Kabine zu lassen?“, sagte der Obama-Herausforderer zu Reportern der „Los Angeles Times“. Kurz zuvor war ein Privatjet mit seiner Frau Ann wegen Rauchentwicklung in der Kabine in Denver notgelandet. Dass die Bullaugen in Verkehrsflugzeugen nicht zu öffnen seien, empfand der Technikkritiker aus Massachusetts anscheinend als eine krasse Art von Freiheitsberaubung.
Obwohl Romney seine Frage als Scherz gemeint hatte, ergoss sich Stunden später der Spott der Nation in Kommentaren, Blogs und Tweets über den konservativen Politiker. Hahaha..., in der Stratosphäre ein Fenster aufmachen! Ganz Amerika kicherte über „Mister Oxygen“, den Mann, der Boeing-Jets angeblich mit Fensterkurbeln nachrüsten wollte.
Dabei war Romneys Fragestellung längst nicht so dämlich, wie sie sich zunächst liest. Im Grunde war der Politiker (wohl eher versehentlich) auf ein fundamentales Dilemma der Technikphilosophie gestoßen: Innovation gibt es nicht umsonst. Der erste Lehrsatz der Technikfolgenabschätzung nämlich lautet, dass jede neue technische Errungenschaft neben Fortschritten zwangsläufig auch Einschränkungen mit sich bringt.
Die Währung, in der die Anwender den Preis für technologische Verbesserungen am häufigsten bezahlen, heißt Freiheit: Für jede zusätzliche Annehmlichkeit, die uns die Technik beschert, wird ein Stückchen individuelle oder gesellschaftliche Freiheit fällig. Überspitzt ausgedrückt: Technischer Fortschritt und individuelle Unabhängigkeit verhalten sich umgekehrt proportional. Wer mehr von Ersterem will, muss ein Stück von Letzterer opfern.
Bei jeder neuen Technologie stellt sich denn auch wieder die Frage, ob der Gewinn, den sie verspricht, ihre potenziell negativen Folgen aufzuwiegen vermag. Ob es sich lohnt, auf einer Ebene ein Stück Freiheit zu opfern, um auf einer anderen ein größeres Stück davon zu erlangen? Für das Privileg, in wenigen Stunden mit Mach 0,8 ganze Kontinente und Ozeane zu überfliegen, opfern die meisten Menschen jedenfalls gern die Freiheit, die Nase dabei in den Wind zu halten.
Wie ein roter Faden zieht sich der subtile, aber strikte Antagonismus von Technik und Freiheit durch alle Techniksparten. Nehmen wir zum Beispiel die Energietechnik. Wie stählerne Nabelschnüre durchziehen Öl- und Gaspipelines Kontinente und Meere. Sie versorgen ganze Volkswirtschaften mit den fossilen Brennstoffen, ohne die in der industrialisierten Welt nichts mehr geht. Der Preis für den technischen Komfort, an einem eisigen Wintermorgen den Regler am Thermostat mal eben um ein paar Grad höher drehen oder in der Hundehitze des Sommers die Klimaanlage einschalten zu können, ist die kollektive energetische Abhängigkeit von den produzierenden Ländern.
Abhängigkeit aber ist nur ein hübscheres Wort für Unfreiheit. Doch wer will schon zur großen Freiheit der ums Lagerfeuer kauernden Neandertaler zurückkehren?
Technik und Unfreiheit
Landwirtschafts-Trend Roboter
Ein ähnlicher Dualismus von Technik und Unfreiheit herrscht in der einst autarken Landwirtschaft: Längst vorbei sind die Zeiten, in denen der Bauer als sein eigener Herr über Feld und Hof schritt. Computerisierte Agrartechnik, patentierte schädlingsresistente Pflanzen, GPS-gesteuertes Precision Farming, Ernteroboter und stetig steigende Ernteerträge stehen auf der Sonnenseite der agrartechnischen Innovation – aber hohe Schuldenlast und finanzielle Abhängigkeit von Herstellern des patentierten Saatgutes auf ihrer Schattenseite. Auch die Landwirte zahlen also – aus freiem Entschluss und nüchternem Kalkül – den Preis für den technischen Fortschritt mit einem Stück individueller Freiheit.
Selbst in der Medizin gibt es den Fortschritt nicht umsonst: Noch nie seit Hippokrates hatten die Ärzte im Kampf gegen Krankheit und Sterblichkeit ein so raffiniertes technisches Arsenal zur Hand wie heute. Dank neuer medizin- und pharmatechnischer Entwicklungen springen immer mehr Patienten dem Tod von der Schippe, nimmt die durchschnittliche Lebenserwartung in industrialisierten Ländern seit Jahrzehnten kontinuierlich zu.
Doch der perfide Nebeneffekt der technischen Innovation ist, dass viele Krankenhäuser unter der Investitionslast der neuen Technik kollabieren und dass medizinische Intensivpflege fast unbezahlbar wird. Schlimmer noch: Vor lauter Fortschritt sind immer mehr schwerstkranke Menschen gegen ihren Willen in ihrem siechen Körper gefangen: vernabelt und verkabelt mit Maschinen, Monitoren und Computern, die sie künstlich am Leben halten.
Die letzte Freiheit im Leben – in Ruhe sterben zu dürfen – muss sich der Patient heute im Voraus per Verfügung verbriefen lassen. Sonst wird auch sie ihm durch eine perfekt empathiefreie lebensverlängernde Medizin geraubt.
Doch nirgendwo tritt das Freiheits-Paradox so krass zutage wie in der Informations- und Kommunikationstechnik, die heute vom Lebensnotwendigen bis zum Überflüssigen, vom Banalen bis zum Metaphysischen sämtliche Lebensbereiche durchdringt und unsere Freiheiten dabei auf vielfältige und verzwickte Weise beschneiden kann. Ohne die etablierte Informationsinfrastruktur wären Gesellschaften lahmgelegt, könnten Regierungen, Volkswirtschaften, Verkehrssysteme, Bildungseinrichtungen oder Armeen nur noch rudimentär funktionieren, wäre Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht mehr möglich.
Längst ist die Abhängigkeit von Computern, Servern, Datenbanken und Kommunikation so unausweichlich geworden, dass das öffentliche wie auch das private Leben regelrecht in Bits und Bytes eingesülzt ist. Es gibt kein Zurück in den analogen Lebensmodus. Eine Welt ohne Informationstechnik ist heute so schwer vorstellbar geworden wie eine ohne Energie-Ressourcen.
Doch welcher Preis wird dann für so viel Abhängigkeit fällig? Eine klare Antwort kam im letzten Sommer aus Washington. Zug um Zug machten immer neue Enthüllungen und Schockmeldungen über die weltweite heimliche Datenüberwachung durch die amerikanische National Security Agency (NSA) deutlich, dass die Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten im Netz ungeachtet von Passwörtern und vermeintlich sicherer Verschlüsselung nichts als eine fromme Illusion ist. Die persönlichen Informationen, die wir in die viel gepriesene und ach so praktische Daten-Cloud auslagern, könnten wir geradeso gut gleich zu den NSA-Servern hochladen.
Die NSA
Dass die amerikanischen und britischen (in geringerem Umfang auch andere europäische) Geheimdienste, angeblich immer im Kampf gegen Terrorismus und Drogenkriminalität, jahrelang systematisch die Daten privater Nutzer ausschnüffelten. Dass sie abermillionenfach E-Mails ausspähten, sich zehntausendfach Zugang zu Servern großer Datencloud-Betreiber von Apple über Microsoft bis Google verschafften, Konten bei sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter durchleuchteten und die Telefone bis hin zu dem der Bundeskanzlerin abhorchten.
All das wirkte auf das allgemeine Vertrauen in die Integrität des Netzes und die Freiheit der Datenkommunikation wie ein digitaler Tsunami. Der NSA-Skandal ist das Fukushima des Internets. Die öffentliche Meinung über das Internet ist nun auf Jahre hinaus kontaminiert von einem an Paranoia grenzenden Misstrauen gegen jede Form von Datenspeicherung.
Für Deutschland, wo immer schon eine leicht neurotische, von den Amerikanern milde belächelte Angst vor Datenmissbrauch herrschte, gilt das besonders. Das Letzte, was die Menschen – dank NSA – heute mit dem Internet assoziieren, ist der Begriff der Freiheit. Im Übereifer der Terrorismusbekämpfung tappte das Weiße Haus also in eine alte Denkfalle und verwechselte Freiheit mit Sicherheit. Dabei hatte doch Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, seinen Landsleuten schon vor mehr als 200 Jahren ins Stammbuch geschrieben: „Diejenigen, die die Freiheit zugunsten der Sicherheit preisgeben, werden am Ende keines von beidem haben – und sie verdienen es auch nicht.“
Gleichwohl könnte der NSA-Skandal, ungeachtet der politischen Flurschäden, die er anrichtete, am Ende paradoxerweise vielleicht sogar auch etwas Positives bewirkt haben: Der naiven Blauäugigkeit, mit der das Internet seit dem „arabischen Frühling“ weltweit als demokratisches Befreiungsinstrument gefeiert und geradezu als Ersatzreligion glorifiziert wurde, setzte der NSA-Schock einen unerhört wirksamen Dämpfer auf.
Kurz vor dem Ausbruch des Sturms um die NSA hatte der französische Anthropologe und Medienforscher Philippe Breton von der Universität Straßburg gerade wieder einmal vor dem Trugschluss gewarnt, aus dem Internet simple digitale Patentlösungen für jedes denkbare gesellschaftliche Problem herauslesen zu wollen. „Der Internet-Zentrismus hat allmählich Züge einer Heilslehre angenommen“, kritisierte der Medienwissenschaftler und forderte die „Säkularisierung der Kommunikation“.
Mehr als alle anderen Informationsbereiche dürfte die mobile Kommunikation in den vergangenen Jahren zur Internet-Abhängigkeit beigetragen haben. Noch nie in der Geschichte waren wir als Individuen so eng, so höchstpersönlich an eine einzige Technologie gekettet.
Mobiles Netz begleitet uns
Seit Informations- und Kommunikationstechnik zum mobilen Netz verschmolzen sind, begleitet uns das mobile Internet in Form von Smartphones, Tablets und Notebooks auf Schritt und Tritt. Es lässt uns sogar dann nicht mehr los, wenn wir es getrost für ein paar Stunden vergessen sollten.
Mit exponentiellen Wachstumsraten verbreiten sich die Smartphones zurzeit auf der ganzen Welt. Nach jüngsten Prognosen hat die Invasion sogar gerade erst richtig begonnen: Rund 1,9 Milliarden Smartphones sind derzeit global in den Mobilfunknetzen angemeldet. 5,6 Milliarden, also fast dreimal so viele, könnten es nach Schätzung des Mobilfunkausrüsters Ericsson in fünf Jahren schon sein. Der mobile Datenverkehr soll sich im selben Zeitraum sogar verzehnfachen.
Die Gründe für den Smartphone-Boom kann jeder Benutzer aus eigener Erfahrung nachvollziehen: Die Kombination von jederzeit und (fast) überall bequem verfügbarem mobilem Datenzugang einerseits und dem handschmeichlerischen Alleskönner in der Tasche andererseits ist einfach unwiderstehlich: immer dabei, jederzeit griffbereit, stets schlau und auskunftsfreudig... ein smarter kleiner Helfer, auf den immer Verlass ist, dem man sich willig anvertraut und den man partout nicht mehr missen mag.
Auf dem Nachhauseweg in der S-Bahn noch schnell online einkaufen? In der fremden Großstadt mühelos zur Adresse des nächsten Termins navigieren oder im Urlaub ein paar Schnappschüsse von der Skipiste für die Daheimgebliebenen ins Facebook stellen? Bei Gesprächen unter Freunden mal eben ein schlagendes Argument für die Diskussion googeln? Alles kein Problem.
So viel Komfort schafft feste Bindungen, um nicht zu sagen Hörigkeit. Aber noch nie haben die Menschen den Gang in die Abhängigkeit so beschwingt und lustvoll angetreten wie jetzt mit dem Smartphone in der Tasche. Die liebsten und stabilsten Fesseln sind schließlich die, die man sich selber anlegt. Und die dauerhafteste Unfreiheit ist die, in die sich der Mensch aus freien Stücken begibt: ständige Verfügbarkeit per Whatsapp, E-Mail und SMS; fortgesetzte Status-Updates per Facebook, Twitter, Foursquare; visuelle Kommunikation in Echtzeit per Instagram, Skype und Chat-Diensten.
Wer sich dann den Luxus herausnimmt, einfach einmal abzuschalten, um ein paar Stunden lang „incommunicado“ zu sein, lebt nicht nur mit dem geheimen Unbehagen, etwas verpassen zu können. Offline zu gehen, erzeugt heute geradezu Schuldgefühle. War das Crackberry-Syndrom – die Sucht nach ständiger Erreichbarkeit – einst eine typische Managerkrankheit, so ist digitales Junkietum heute eher Volkskrankheit geworden. Bezeichnend ist eine Forsa-Umfrage unter jugendlichen Handybenutzern, die ergab, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten lieber auf Sex als aufs Smartphone verzichten würden.
Vielleicht wäre das ja anders, wenn sich auch das Liebesleben in Bits und Bytes quantifizieren ließe. Denn kaum etwas liegt bei der Generation Smartphone so sehr im Trend wie das Phänomen des quantifizierten Selbst. Sichtbarer Ausdruck für diese digital gestützte Form des Körperkults ist das lustvolle Sammeln, Protokollieren und Veröffentlichen eigener Körperdaten.
Registrieren, eingeben, teilen
Vom Essen übers Laufen, Radfahren und Fitness-Workout bis hin zu den Schlafstunden lässt sich heute alles in Kilokalorien und Kilojoule, Stunden und Minuten, Kilometer und Höhenmeter registrieren, in Food- und Fitness-Datenbanken eingeben, in sozialen Netzwerken teilen. Ganz zu schweigen von den Zeitgenossen, die heute fast schon zwanghaft alles, was auf ihrem Teller liegt, fotografieren und ins Netz stellen, ehe sie es essen. Und weil, was hip ist, einen Namen braucht, heißt dieser Trend „Food-Porn“.
Ein rapide wachsender Markt von „Wearable Technology“, also mobilen Sensoren wie digitalen Schrittzählern, Fitness-Armbändern, Puls- und Blutdruckmessern hilft Joggern, Marathonläufern, Radfahrern, Wanderern und fitnessbewussten Senioren, ihre Aktivitäten auf den Schritt genau zu erfassen, in verbrauchte Kalorien umzurechnen und die Ergebnisse per Smartphone direkt in die Cloud und in diverse soziale Netzwerke hochzuladen.
Was dem Häftling beim Freigang die elektronische Fußfessel, das ist dem Sportbegeisterten der Fitness-Tracker am Handgelenk. Wirklich frei kann und sollte man sich dabei nicht mehr fühlen. Das Ganze schaukelt sich in sozialen Netzen schließlich zu einem exhibitionistisch angehauchten Gruppenerlebnis hoch. Dabei lassen sich die Cybersportler schon während ihres Workouts „real time“ von einem virtuellen Publikum anfeuern, und die Diät-Jünger beglückwünschen sich online gegenseitig zu den jüngsten Enthaltsamkeitsrekorden.
Zugleich wächst der selbsterzeugte Druck. Bei Twitter sind schon vor dem Frühstück öffentliche Selbstanklagen wie diese zu lesen: „immer diese morgenläufer in meiner timeline. das schlechte gewissen ist schon zum riesen gewachsen“.
Durchaus denkbar, dass eines Tages nicht mehr das eigene schlechte Gewissen, sondern die Krankenkasse den Morgenlauf per Smartphone anmahnt. Warum auch nicht? Möglicherweise ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Krankenkassen – natürlich im Einverständnis mit ihren Versicherten – auf deren Fitness-Daten in der Cloud zugreifen, um günstigere Tarife für gesundheitsbewusste Kunden zu kalkulieren.
Geradeso, wie es die ersten Autoversicherungen jetzt mit vergünstigten Telemetrie-Policen für disziplinierte Autofahrer testen, die bereit sind, ihr Fahrverhalten durch einen elektronischen Sensor im Auto kontrollieren zu lassen.
Spätestens an dieser Stelle dürfte klar werden, dass die Technik nicht nur die Welt, sondern auch uns Menschen verändert – unsere Denkstrukturen, unsere Wertvorstellungen, unser Kommunikationsverhalten, unsere Empfindungen.
Denkfreiheit gegen Informationsfülle?
Internet-Skeptiker wie der amerikanische Autor Nicholas Carr („Wer bin ich, wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?“) argwöhnen, dass das Netz die Menschen zur Denkfaulheit erzieht, sie der Konzentrationsfähigkeit beraubt und ihnen letztlich die Mutter aller Freiheiten – die des autonomen Denkens – nehmen könnte. „Ich stelle fest, wie sich meine eigenen Denkgewohnheiten dramatisch gewandelt haben, seit ich mich vor 15 Jahren zum ersten Mal ins Web einwählte“, schreibt Carr, „und ich mag nicht, was der Computer mit mir anstellt.“ Derselbe Autor räumt freilich auch ein, dass die Menschen „dankbar sein sollten für die Reichtümer an Information, die das Netz bietet“.
So what? Sind wir jetzt etwa im Begriff, Denkfreiheit gegen Informationsfülle einzutauschen? Ist das grenzenlose Vertrauen auf Googles Suchfilter-Algorithmen gar der Beginn des digitalen Idiotentums? Werden wir, wie der weißrussische Netz-Verteufler Evgeny Morozov in seinem Erfolgsbuch „Smarte neue Welt – Digitale Technik und die Freiheit des Menschen“ prophezeit, am Ende „smarte Geräte, aber dumme Menschen“ haben?
Letztlich sind solche zutiefst pessimistischen Visionen Ausdruck eines archaischen, nur tiefenpsychologisch erklärbaren Technik-Unbehagens, das sich bis zum griechischen Philosophen Sokrates zurückverfolgen lässt. Sokrates hatte eine ausgeprägte Abneigung gegenüber der Schrift, die als Technologie damals fast so umwälzend war wie heute das Internet.
Der Philosoph schwor auf mündliche Kommunikation und lehnte es strikt ab, seine Lehre schriftlich festzuhalten, weil er in der Schrift eine Gefahr fürs freie Denken und eine Korrumpierung der Philosophie sah. Zum Glück brachen seine Schüler die Regel des Meisters, denn sonst wüsste heute ironischerweise kein Mensch mehr etwas über den Vater der abendländischen Philosophie.
Technischer Fortschritt und Freiheit lassen sich also beileibe nicht so einfach saldieren, wie die Netzkritiker uns vorrechnen wollen. Was die Informationstechnik mit der Freiheit anstellt? Ob und in welchem Umfang die an die Technik verlorenen Freiräume tatsächlich durch neue Freiheiten auf anderer Ebene kompensiert werden, liegt also letztlich im Auge des Betrachters.
Was Kulturpessimisten, Nostalgiker und Technophobe in grober Unterschätzung des menschlichen Gehirns, seiner Anpassungsfähigkeit und seiner Emergenz als digitale Selbstversklavung verteufeln, ist für überzeugte Netzwerker eine technikgestützte Form der Emanzipation, eben Freiheit auf einer neuen, anderen Ebene.
Anstatt auf die Technik zu starren, wie das Kaninchen auf die Schlange, und vor vermeintlichen Freiheitsberaubungen durch die Technik zu bibbern, sollten wir auf die Emergenz des menschlichen Gehirns und auf die Anpassungsfähigkeit des Denkens vertrauen und lernen, mit den neuen Freiheiten, die die Technik gewährt, richtig umzugehen, sie gewinnbringend zu nutzen.
Die beste Methode für uns Menschen, das autonome Denken ungeachtet der digitalen Helfer nicht zu verlernen, ist, es systematisch und kontinuierlich zu praktizieren, also den Komfort des mechanischen Denkens nicht überhand nehmen zu lassen, das Denken nicht den Maschinen zu überlassen.
Die Freiheit – vor allem die des Denkens – ist ein Muskel. Man muss ihn trainieren, damit er funktioniert.