EU-Impfnachweis Ab wann der digitale Impfpass mehr Reisefreiheit bringt

Die nötige Voraussetzung für grenzüberschreitende Reisen will die EU mit den neuen „Green Certificates“ schaffen. Spätestens Ende Juni sollen sie in allen Mitgliedsländern verfügbar sein. Quelle: imago images

Die neuen „Green Certificates“ versprechen den Menschen in der EU unter anderem Reisefreiheit ohne Quarantäne. Spätestens Ende Juni sollen digitale Dokumente gelten. Doch einige zweifeln an einer pünktlichen Einführung.

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In Deutschland sinkt die Inzidenz stetig, verschiedene Modellregionen ermöglichen schon wieder Tourismus – etwa auf der Insel Sylt oder der Lübecker Bucht. Auch Nachbarländer wie die Niederländer haben nach Monaten des strengen Lockdowns die Restriktionen deutlich gelockert – Außengastronomie, Shopping, selbst das Nachtleben wird wieder möglich. Belgien will Bars- und Restaurants wieder öffnen. Und Österreich will vom 19. Mai an die meisten Beschränkungen für Reisende aufheben. Nach monatelangem Stillstand wächst damit bei vielen Menschen die Hoffnung, dass auch Urlaubsreisen wieder möglich werden. 

Die nötige Voraussetzung für grenzüberschreitende Reisen will die EU mit den neuen „Green Certificates“ schaffen, die die Ampeln beim Grenzübertritt für EU-Bürger und hier ansässige Menschen aus Drittstaaten wieder „auf grün schalten“ sollen. Reisende sollen damit nachweisen können, dass sie entweder gegen Covid-19 geimpft, von einer Erkrankung genesen oder zumindest negativ auf das Virus getestet sind.

Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wann werden die EU-Zertifikate eingeführt?

Spätestens Ende Juni sollen sie in allen Mitgliedsländern verfügbar sein, also rechtzeitig vor Beginn der Sommerurlaubssaison. Das ist das Ziel der EU-Kommission. Eine Verordnung regelt, was genau in den Zertifikaten gespeichert wird und welche Rechte die Reisenden haben werden, die damit unterwegs sind. Die abschließenden Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament und dem Ministerrat, der die Regierungen der Mitgliedsstaaten in Brüssel vertritt, beginnen Anfang Mai. Vertreter der verschiedenen EU-Institutionen sind zuversichtlich, dass die Abstimmungen bis spätestens Mitte Juni abgeschlossen und die Zertifikate dann in allen Mitgliedsländern verpflichtend eingeführt werden.

Wie realistisch ist der Zeitplan?

Aktuell entwickeln die EU und die nationalen Regierungen die erforderlichen technischen Systeme, um digitale Impfnachweise ausstellen und deren Gültigkeit grenzüberschreitend prüfen zu können. In Deutschland hat das Bundesgesundheitsministerium ein Konsortium aus dem Techkonzern IBM, dem Softwareunternehmen Ubirch, der IT-Genossenschaft govdigital und dem IT-Dienstleister Bechtle beauftragt, die nationale Plattform aufzubauen. 

Wie schon die Corona-Warn-App droht auch die Idee des digitalen Impfpasses zwischen Bürokratie und Datenschutz zerrieben zu werden. Dabei ist die nötige Technik längst da – und kommt teils sogar von deutschen Konzernen.
von Thomas Kuhn, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Parallel hat die EU-Kommission den Softwarekonzern SAP und die Deutsche-Telekom-Tochter T-Systems beauftragt, wie schon bei den Corona-Warn-Apps erneut ein europäisches Gateway zu entwickeln, mit dessen Hilfe EU-Staaten grenzüberschreitend die Gültigkeit digitaler Impfnachweise überprüfen können. Die Entwickler aus beiden Projekten versichern, dass die jeweiligen Plattformen rechtzeitig fertig sind. 

Das EU-Gateway wird bis zum 7. Mai im Rechenzentrum der EU in Luxemburg installiert und anschließend mit mehreren Ländern getestet. Spätestens in der ersten Juni-Woche soll die Plattform technisch einsatzbereit sein. Bis Ende Juni wollen sich dann 30 Länder – neben den EU-Staaten auch Norwegen, die Schweiz oder Liechtenstein – in drei Wellen an die EU-Plattform anschließen. Nach aktueller Planung gehört Deutschland zur ersten Ländergruppe, die ab Mitte Juni mit der Plattform verbunden werden.

Doch es gibt Zweifel am Zeitplan der EU-Kommission. Es deute wenig darauf hin, dass der Ausweis bis zum Beginn der Reisesaison im Sommer flächendeckend verfügbar sein werde, sagte etwa Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärzteverbandes, der „Augsburger Allgemeinen“. „Da darf man mit Blick auf bürokratische Vorgaben und weitere leidvolle Verkomplizierungen schon Zweifel haben, ob den vollmundigen Ankündigungen dann auch zeitnah Taten folgen werden.“

Ersetzen die EU-Zertifikate den gelben Impfpass? 

Nein, sie ergänzen das klassische Impfbuch der Weltgesundheitsorganisation WHO aber. Wer reisen will, kann das weiterhin auch ohne digitales EU-Zertifikat tun. Allerdings bleibt es jedem Land überlassen, weitere Gesundheitsdokumente zu verlangen. 

Zudem kann und soll das „grüne“ EU-Zertifikat nicht bloß einen Nachweis der Covid-Schutzimpfung enthalten, sondern auch Informationen, die im WHO-Impfpass gar nicht dokumentiert sind: Wer bereits an Corona erkrankt war und genesen ist, kann dies mithilfe des EU-Dokuments nachweisen. Ebenso sollen sich negative PCR-Tests damit erfassen lassen. Wie das technisch umgesetzt wird, müssen die Staaten allerdings selbst regeln.



Wie werden die digitalen Nachweise gespeichert und wer kann sie einlesen?

Die Einträge im gelben Impfausweis lassen sich leicht fälschen, der digitale Nachweis hingegen wird elektronisch geschützt. Dazu werden Name, Geburts- und Impfdatum des Geimpften sowie Name und Charge der Seren im Impfzentrum oder in der Arztpraxis digital erfasst und mithilfe sogenannter Kryptoschlüssel signiert. Zugleich berechnet die Software aus den persönlichen Daten und dem Signierschlüssel einen QR-Code, den jede und jeder Geimpfte ausgedruckt erhält.

Dieses Papier ist als europäisches Impfdokument gültig und kann für Reisen auch von all jenen genutzt werden, die kein Smartphone besitzen oder es dort nicht speichern wollen. Um den Ausdruck aber nicht immer dabei haben zu müssen oder den Impfnachweis auch digital vorweisen zu können, etwa beim Boarding von Flugzeugen, lässt sich der QR-Code auch in verschiedenen Apps einlesen.

Eine solche entwickelt etwa das vom deutschen Gesundheitsministeriums beauftragte Konsortium, sowohl für Android als auch für iOS. Sie wird kostenlos sein, aber niemand wird verpflichtet, sie zu nutzen. Das EU-Zertifikat soll sich auch in der deutschen Corona-Warn-App speichern lassen. 

Zudem werden sowohl die Spezifikationen der Plattform als auch die Datenformate europaweit als Open-Source-Code veröffentlicht. Damit können auch Entwickler anderer Apps, also etwa Fluglinien oder Reiseveranstalter, die Zertifikate einlesen. Daneben arbeitet die EU mit der WHO sowie Regierungen anderer Länder zusammen, etwa Großbritannien oder den USA, um die Kompatibilität der digitalen Nachweise möglichst auch für Reisen in außereuropäische Staaten sicherzustellen.

Wie wird die Gültigkeit der Nachweise geprüft und werden dabei persönliche Daten übermittelt?

Die EU-Zertifikate sind datensparsam konzipiert. Zwar werden beim Erzeugen der QR-Codes auch persönliche Daten verwendet. Bei der Grenzkontrolle aber werden nicht die im Zertifikat hinterlegten und verschlüsselten Daten übermittelt, sondern nur die Gültigkeit der Krypto-Schlüssel überprüft. 

Dazu kontaktieren die Prüf-Apps den EU-Gateway-Server in Luxemburg und fragen dort ab, ob der im QR-Code gespeicherte Schlüssel dort als gültig gemeldet ist. Ist das der Fall, zeigt die Prüf-App „grün“ sowie Name und Geburtsdatum der oder des Reisenden an, der oder die daher zusätzlich ein Ausweisdokument wie etwa den Reisepass vorlegen muss.


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