Soziale Netzwerke waren gestern – zumindest, wenn man Mark Zuckerberg glaubt, dem Chef des mit 2,9 Milliarden täglichen Nutzern mit Abstand größtem sozialen Netzwerk der Welt. In der vergangenen Woche konnte der Facebook-Gründer mal wieder die Rolle spielen, die er am meisten liebt: die des vorausschauenden Tech-Visionärs.
So will Zuckerberg Facebook auf Sicht der kommenden fünf Jahre in ein sogenanntes Metaverse-Unternehmen umbauen. Der Begriff „Metaverse“ geht zurück auf den amerikanischen Schriftsteller Neal Stephenson, der ihn erstmals im Jahr 1992 in seinem Science-Fiction-Roman „Snow Crash“ verwendet hat. Unter „Metaverse“ versteht Stephenson eine Welt, in der physikalische, erweiterte (augmented, AR) und virtuelle Realität (VR) in einer einzigen Cyberwelt miteinander verschmelzen.
Genau das will auch Zuckerberg erreichen: Statt der Möglichkeit, Beiträge in einem zweidimensionalen sozialen Netzwerk anzuklicken und zu veröffentlichen, will Facebook eine virtuelle Welt schaffen, in der Nutzer einkaufen, kommunizieren und gemeinsam Dinge erleben können. „Man kann sich Metaverse als eine Art verkörpertes Internet vorstellen – statt bloß Inhalte zu betrachten, befindet man sich wirklich in ihm“, so Zuckerberg in einem Interview mit dem Tech-Blog „The Verge“.
Nicht noch einmal den nächsten Tech-Megatrend übersehen
Hintergrund von Zuckerbergs Vorstoß: Zum einen will er Facebook unabhängiger machen von Werbeerlösen. Aktuell erwirtschaftet sein Konzern rund 98 Prozent seiner Umsätze mit Online-Anzeigen. Apple hat erst kürzlich eine Funktion in iOS 14 eingebaut, mit der iPhone- und iPad-User entscheiden können, welcher Nutzerdaten an App-Anbieter übertragen werden – der Schritt richtet sich vor allem gegen Facebook. Mit der Eröffnung von Verkaufsläden in einer virtuellen Facebook-Welt würde Zuckerberg seinem Unternehmen so mittelfristig neue Umsatzquellen erschließen.
Zum anderen ist der Facebook-Chef geradezu besessen davon, den nächsten Tech-Trend nicht zu verpassen – so wie es ihm bei der mobilen Internetnutzung passiert war: Als er sein soziales Netzwerk 2012 an die Börse brachte, stand er bei fürs Smartphone optimierten Anzeigen mehr oder weniger blank da – und musste innerhalb von wenigen Quartalen ein mobiles Werbegeschäft aus dem Boden stampfen.
Nachfolger des mobilen Internets
Das soll sich nicht wiederholen. „Das Metaverse ist eine Vision, die viele Unternehmen beschäftigt – eigentlich die gesamte Industrie“, so Zuckerberg in dem „Verge“-Interview. „Man kann sich dies als Nachfolger des mobilen Internets vorstellen.“ Anders ausgedrückt: Während er in der mobilen Welt mit Facebook noch hinterherrennen musste, will er in der virtuellen Welt voranpreschen und zum Maß aller Dinge avancieren.
Dass er dieses Ziel schon länger verfolgt, zeigte sich bereits 2014, als Zuckerberg zwei Milliarden Dollar in die Hand nahm, um den Hersteller von VR-Brillen Oculus zu kaufen; weitere VR-Übernahmen folgten in den Jahren danach, zuletzt BigBox VR, Entwickler des VR-Games „Population: One“, ein Ballerspiel ähnlich wie der Shooter „Fortnite“.
Dank solcher Zukäufe verfügt Zuckerberg bereits heute über eine umfassende Hardware-Plattform für virtuelle und erweiterte Realität. Im vergangenen Jahr spülten allein die Oculus-Brillen einen Umsatz von einer Milliarde Dollar in die Konzernkassen. Wenn VR und AR den nächsten Entwicklungsschritt im Gaming darstellen, wovon viele Analysten ausgehen, könnten es leicht deutlich mehr werden.
Dreidimensionale Videos auf AR-Brillen auch bei Microsoft
Mit dem Ausgangspunkt VR-Brillen ähnelt Facebooks Ansatz zur Eroberung der virtuellen Welt einem ähnlichen Projekt von Microsoft, das seit dem Frühjahr läuft: Über die neue Softwareplattform namens Mesh – zu Deutsch: Mix – sollen künftig die 3D-Abbilder von Nutzern in Echtzeit miteinander konferieren können.
Die Technologie liefert dreidimensionale Videos an sogenannte Augmented-Reality-Brillen wie etwa die Microsoft-eigene Hololens und erzeugt so eine Art gemischte Realität. Mithilfe der Mesh-Technologie sollen künftig beispielsweise weit entfernt sitzende Gesprächspartner virtuell nebeneinander erscheinen und gemeinsam ein dreidimensionales Objekt begutachten können.
Bleibt die Frage, ob die Kunden dereinst wirklich in virtuelle 3D-Welten eintauchen wollen. Schließlich gab es eine vergleichbare Idee bereits vor gut 15 Jahren: Die Rede ist von Second Life, einer virtuellen 3D-Welt, in der Menschen über Avatare – also künstliche Grafikfiguren – miteinander interagierten.
Von einer Million Mitglieder Ende 2006 wuchs Second Life bis 2008 auf rund 36 Millionen Mitglieder. Der Hype um die 3D-Welt war zwischenzeitlich derart groß, dass auch viele Unternehmen wie Adidas oder BMW dort virtuelle Filialen eröffneten. Doch der Boom war ebenso schnell wieder vorbei, in der Folge sanken die Teilnehmerzahlen – sie lagen bereits 2010 wieder deutlich unter einer Million.
Droht Facebooks Metaverse ein ähnliches Schicksal? „Second Life war seiner Zeit mindestens zehn Jahre voraus“, sagt Axel Oppermann, Analyst beim IT-Beratungshaus Avispador aus Kassel. Auch Stand heute seien derartige Metaverse-Plattformen wie jene von Facbook nichts, was sich die breite Masse wünsche oder brauche.
Aber: „In sieben bis zehn Jahren wird das ganz anders aussehen“, glaubt Oppermann. „Nachdem Metaverse zunächst in Nischen wie etwa dem Gaming zum Phänomen wird, werden sie sich nach und nach in breiten Teilen der Gesellschaft durchsetzen.“ Wenn Zuckerberg durchhält, könnte er sich mit seinem Metaverse-Entwurf daher tatsächlich an die Spitze der nächsten Plattform-Generation setzen.