
Zahlenkolonnen flackern über einen abgenutzten Röhrenbildschirm. Er ist die einzige Lichtquelle im dunklen, drückend heißen Zimmer. Ein junger Asiate sitzt davor und starrt auf den Monitor voller Quoten, Wetteinsätze und einer nicht enden wollenden Liste von Fußballspielen. Leise klackert seine Tastatur, er riskiert immer nur kleine Summen, setzt auf immer andere Turniere.
Als es nach einer langen Nacht auf den Straßen hell wird, geht er nicht etwa zur Arbeit, sondern macht weiter. Denn er spielt nicht zum Vergnügen – es ist sein Job. Nach den Befehlen seiner Mafia-Bosse mischt er als Strohmann im Online-Wettmarkt mit.
Anonyme Marionetten wie den jungen Spieler gibt es vor allem in Asien zu Tausenden. Der Kontinent gilt als eine Hochburg für Geldwäsche und Manipulation bei Sportwetten. Rund 100 Milliarden Euro wäscht die organisierte Kriminalität weltweit laut einer Studie der Pariser Universität Panthéon-Sorbonne pro Jahr über dieses Geschäft, das von Land zu Land mehr oder weniger reglementiert ist. Insgesamt sollen auf dem Wettmarkt rund 200 bis 500 Milliarden Euro umgesetzt werden, 80 Prozent über illegale Geschäfte. Betroffen von den kriminellen Aktivitäten sind fast alle Sportarten, sei es Kricket, Basketball oder Fußball – bis hin in kleine Ligen.
Jetzt, kurz vor der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien, mehren sich die Bedenken, dass auch dort die Wettmafia aktiv sein wird. Ralf Mutschke, der Sicherheitschef des Weltfußballverbandes Fifa, warnte bereits Anfang des Jahres: „Wir müssen ganz klar davon ausgehen, dass die organisierte Kriminalität versucht, auch WM-Spiele zu manipulieren.“
Statistiken werden unverzichtbar
Denn für Kriminelle ist es nicht nur lohnen, illegale Einnahmen durch Wetten reinzuwaschen – sie lassen sich so gleich vermehren. Am leichtesten, wenn das Ergebnis vorher feststeht. So wohl geschehen bei Testspielen kurz vor der letzten WM in Südafrika, wie ein geheimer Bericht der Fifa dokumentiert, den die „New York Times“ kürzlich öffentlich gemacht hat. Hier hat ein Schiedsrichter für das gewünschte Spielergebnis gesorgt, aber auch Spieler oder gar Trainer machen mit. Und regelmäßig auch in Europa: Nach Ermittlungen der Polizeibehörde Europol hat die Wettmafia zwischen 2008 und 2011 etwa 380 Spiele manipuliert, teils in der Champions League und während der WM-Qualifikation. Insgesamt 425 Spieler, Schiedsrichter und Verbandsfunktionäre sollen beteiligt gewesen sein. Zu Verhaftungen kam es aber nur in rund 50 Fällen.
Um diese Machenschaften aufzudecken, sind Datenreihen und Statistiken zum unverzichtbaren Hilfsmittel für Ermittler und Wettanbieter geworden. Bei den Analysen geht es nicht nur um Einsätze und Gewinnquoten, sondern künftig auch um das Verhalten der Spieler und Schiedsrichter.

Noch immer wetten viele Sportfans in Hinterzimmern und auf der Straße. Aber mehr und mehr Geschäft läuft über das Internet. Längst setzen die Zocker nicht mehr nur auf Spielergebnisse, sondern auch auf die Zahl der Tore in der ersten Halbzeit, der gegebenen Ecken oder welche Mannschaft als erste ein Tor schießt. All das bietet Gelegenheit für Manipulationen – und erzeugt nebenbei eine riesige Menge an Bits und Bytes. Big Data lässt grüßen.
Manche Gauner sind so dreist und kaufen ganze Sportvereine
Im eigenen Interesse versucht die Wettmafia, über Strohmänner so unauffällig wie möglich Profite herauszuschlagen. Selten sind Kriminelle so dreist und kaufen vor einem Spiel ganze Fußballclubs, um die Mannschaft dann nach Belieben umzubauen, wie 2005 im Fall des finnischen AC Allianssi. Der chinesische Geschäftsmann Zheyun Ye, in der Wettszene kein Unbekannter, erwarb den Verein überstürzt und ließ neue Spieler inklusive eines Ersatztorwarts für ein entscheidendes Spiel antreten: Die Mannschaft verlor mit 0:8.
Um Unregelmäßigkeiten im Sport aufzudecken, hat die Fifa 2007 in Zürich das „Early Warning System“ (EWS) gegründet. „Unsere Hauptarbeit ist die Analyse wettmarkt-relevanter Daten“, sagt Jacek Wojdyla, zuständig für internationale Zusammenarbeit beim EWS. Angaben der Wettanbieter bilden eine der Informationsquellen. „Wir überwachen Wettangebote, Quotenbewegungen und verfolgen die Liquidität des Marktes mit einem technischen System“, so Wojdyla. Komme es dabei zu auffälligen Mustern, etwa wenn sich die Wettquoten für die Gesamtzahl der Tore noch kurz vor dem Spiel stark ändern, meldet das EWS dies an die Fifa. Einfluss auf den Wettmarkt oder dessen Anbieter nehmen darf es aber nicht. Zudem halten Kritiker die 100-prozentige Tochter der Fifa für zu abhängig, um effektiv zu arbeiten. Ihre Nähe zum Verband sei ein Hindernis, klagt unter anderem Transparency International.