Google Stadia Warum die Tech-Giganten an der Games-Entwicklung scheitern

Eine Art Netflix für Gamer sollte der Cloud-Gaming-Service Google Stadia werden. Quelle: imago images

Google wollte den Videospielmarkt erobern und gründete dafür zwei eigene Entwicklerstudios. Jetzt müssen beide schließen. Offenbar hatte der Konzern die Komplexität der Spieleentwicklung unterschätzt – damit ist er nicht alleine.

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Manchmal beruhigt es ja zu sehen, dass ein mächtiger IT-Konzern wie Google zwar vieles, aber eben auch nicht alles kann. Das Unternehmen gab Anfang Februar bekannt, seine beiden Videospieltöchter im kalifornischen Los Angeles und im kanadischen Montreal nach gerade einmal vierzehn Monaten zu schließen. Die 150 Mitarbeiter sollen nach Möglichkeit andere Stellen im Unternehmen erhalten. Google zieht sich damit komplett aus der Entwicklung eigener Games zurück. Die 2019 groß angekündigte Offensive im Videospielmarkt erhält damit einen herben Dämpfer.

Eine Art Netflix für Gamer sollte der Cloud-Gaming-Service Google Stadia werden: Spieler können Videospiele, die auf Stadia laufen, über die Cloud des Internetkonzerns streamen und müssen sie so nicht mehr auf ihrer Festplatte speichern. Die Technologie funktionierte nach einigen technischen Anlaufschwierigkeiten durchaus gut. Aber Google wollte mehr, wollte den Konsolenherstellern von Sony, Microsoft oder Nintendo Konkurrenz machen und die Plattform zu einer alternativen Spielekonsole machen. Um ihre Spielekonsolen zu vermarkten, bieten die Hersteller exklusive Games an, die nur für die eigene Plattform erscheinen. „Gerade diese exklusiven Angebote sind häufig ein wichtiger Teil des Erfolges von Spieleplattformen, weil man seiner Community so etwas Einzigartiges bieten kann“, erklärt Felix Falk, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Games-Branche (game).

Also gründete auch Google Ende 2019 zwei Entwicklerstudios. Die insgesamt 150 Entwickler sollten exklusive Spiele für Stadia entwickeln. Dafür holte sich der US-Konzern mit Jade Raymond eine Entwicklerlegende an Bord, die zuvor unter anderem beim französischen Videospielkonzern Ubisoft den Start der bekannten „Assassins Creed”-Reihe mit verantwortet hatte. Auch andere erfahrene Entwicklergrößen erhielten Führungspositionen.

von Peter Steinkirchner, Henryk Hielscher, Matthias Hohensee, Andreas Macho, Cornelius Welp, Silke Wettach

Hollywood-Budgets

Trotzdem erblickte kein einziges Spiel von „Stadia Games and Entertainment“ je das Tageslicht. Wie viel Geld Google in den Aufbau der Studios und in Entwicklungskosten gesteckt hat, ist nicht bekannt. Wer ein konkurrenzfähiges Blockbuster-Spiel entwickeln möchte, muss aber mit einem dreistelligen Millionenbetrag rechnen. „Die Budgets lassen sich mit denen von großen Hollywoodfilmen vergleichen“, sagt Odile Limpach, Professorin für Game Economics und Entrepreneurship am Cologne Game Lab der TH Köln und viele Jahre Führungskraft beim französischen Videospielkonzern Ubisoft. 350 bis 500 Millionen Euro könnten da bei den großen Studios schon mal zusammenkommen, um eine komplett neue Spielereihe zu etablieren.

Das war Google die Spieleentwicklung anscheinend nicht wert. „Spiele auf höchstem Niveau von Grund auf zu entwickeln, benötigt Jahre und beträchtliche Investitionen, dabei steigen die Kosten exponentiell“, erklärte Phil Harrison, Stadia-Verantwortlicher bei Google, die Entscheidung in einem Blogpost. Dass Spieleentwicklungen nicht ganz billig sind, dürfte den Verantwortlichen allerdings schon vorher klar gewesen sein. Die Entwicklerteams scheinen intern die Unterstützung verloren zu haben.

Fehlende Geduld

Und das nach gerade einmal 14 Monaten. „Das ist quasi nichts“, sagt Limpach. Ein Spiel von Grund auf zu entwickeln dauere normalerweise drei bis fünf Jahre. Diese Zeit haben die Entwickler bei Google nicht gehabt. „Es hat mich schon gewundert, wie schnell Google das Handtuch geschmissen hat.“ Ein Beispiel, wie es anders geht, liefert die Konkurrenz: Als Microsoft die Xbox auf den Markt brachte, schrieb die Gaming-Sparte jahrelang rote Zahlen. „Microsoft hat beschlossen, dass das strategisch wichtig ist und Jahre weiter investiert“, betont Limpach. Mit der Xbox 360 fuhr Microsoft dann die Lorbeeren ein. „Innovationen brauchen Zeit“, betont auch Felix Falk vom Game. „Das erreicht man nur durch jahrelange Erfahrung.“

Google ist aber nicht der einzige Plattformgigant mit Problemen. Auch beim US-Handelskonzern Amazon läuft die Videospielentwicklung schleppend, berichtet die Wirtschaftsagentur Bloomberg. Tatsächlich haben die Amazon Games Studios in acht Jahren dutzende Spiele verwerfen müssen und brachten nur zwei Titel auf den Markt – die sie dann nach desaströsem Feedback wieder aus dem Verkauf nahmen. Eine ziemlich schwache Bilanz dafür, dass die Videospielsparte laut Bloomberg 500 Millionen US-Dollar im Jahr verschlingt.

Auch Amazon hat sich Top-Personal von anderen Videospielunternehmen geholt. Aber die höhere Managementebene bei Amazon hätte zu wenig Ahnung von der Games-Entwicklung, berichten frustrierte Entwickler. Videospiele sind eine Mischung aus Technologie, Kunst und Unterhaltung. Dass Amazon Technologie kann, hat spätestens der Erfolg des Cloud-Anbieters Amazon Web Services gezeigt. Von den anderen Faktoren habe Amazon aber keine Ahnung, so der Vorwurf.

„Die Königsdisziplin der Software-Entwicklung“

„Allgemein gilt: Nur weil man Technologie oder eine Plattform anbietet, heißt das noch nicht, dass man die Spiele gleich dazu entwickeln kann“, betont Game-Geschäftsführer Falk. „Das sind unterschiedliche Gebiete.“ Videospiele seien „die Königsdisziplin der Software-Entwicklung“, sagt auch Games-Ökonomin Odile Limpach. Ein Spiel auf höchstem Niveau benötige nicht nur Technologie auf dem neuesten Stand, sondern eben auch eine innovative Spielidee und kreative künstlerische Gestaltung. Bei Google kommt ein weiterer Faktor hinzu: Um Stadia von anderen Ausspielgeräten abzugrenzen, brauche es eine sogenannte „Killer-App“, erklärt Limpach. Eine Funktion oder eine Spielidee also, die so nur auf der Cloud-Gaming-Plattform und nirgendwo sonst funktioniert. Die muss man nur erstmal finden.

Vor allem mit einem Team, das nicht eingespielt ist. „Ich kann den besten Programmierer und den besten Game Designer zusammenstecken – wenn die nicht gut zusammenarbeiten können, kommt da nie im Leben ein Spiel bei raus“, sagt Limpach. Selbst erfahrene Entwicklerstudios und Videospielkonzerne müssen immer wieder Spieleentwicklungen abbrechen und viel ausprobieren. „Games sind ein risikoreiches Geschäft. Da lässt sich viel Geld verbrennen“, erklärt Niklas Wilke, der für die Unternehmensberatung PwC die Gaming-Branche analysiert.

von Nele Husmann, Thomas Stölzel, Matthias Hohensee

Hohe Margen, schnelles Wachstum

Warum dann überhaupt in die risikoreiche Videospielentwicklung investieren? „Unternehmen können bei Games sehr gute Margen erzielen“, erklärt Wilke. Und Videospiele seien „der am schnellsten wachsende Markt im Entertainmentbereich“, sagt Odile Limpach.

Branchenvertreter Felix Falk hebt einen weiteren Aspekt hervor: „Die Innovationskraft der Games-Branche ist für die großen IT-Unternehmen sehr interessant.“ Tatsächlich stammen große Techniktrends wie Virtual und Augmented Reality, Gamification oder 3D-Simulationen aus dem Gamingbereich. Die IT-Konzerne könnten neue Technologien bei den technikaffinen Gamern testen und schauen, ob sie für andere Anwendungsbereiche nutzbar sind, erklärt Falk. Aus Cloud-Gaming-Daten könnten Unternehmen beispielsweise wertvolle Infos für Industrieanwendungen gewinnen.

Neue Strategie, neues Glück?

Auch deshalb zieht Google sich nicht vom Cloud-Gaming-Markt zurück, sondern stellt die Strategie um: Anstatt eine Art eigene Konsole zu etablieren, will Google die Technologie hinter Stadia anderen Videospielunternehmen anbieten, möglicherweise auch als White-Label-Produkt. „Damit fokussiert sich Google auf das, was es auch in anderen Bereichen sehr gut kann“, sagt Analyst Wilke. Anderen Unternehmen hochentwickelte Technologien verkaufen, anstatt sich an Endkunden zu richten. Andere Entwickler könnten von Googles Cloud-Expertise profitieren. Während das Blockbuster-Spiel „Cyberpunk 2077“ beispielsweise auf allen anderen Plattformen teils desaströs aussah, lief es auf Stadia weitgehend flüssig.

Zudem können auch Spieler die Plattform weiter nutzen. Google könnte in Zukunft auch hier vom Plattformeffekt profitieren, erklärt Wilke. „Google ist auf fast allen PCs der Startpunkt für viele weitere Anwendungen.“ Vor allem mit der Videoplattform YouTube gibt es starke Synergien: Viele Videospielfans schauen sich dort Gaming-Videos an. Da liegt es nahe, gleich ein Gaming-Angebot drumherum zu schnüren.

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Nur: Google ist auf dem Cloud-Gaming-Markt nicht alleine. Die Konsolenhersteller Sony und Microsoft haben jeweils eigene Dienste mit dem großen Vorteil einer bereits existierenden Gaming-Community, auch der Chiphersteller Nvidia hat mit „Shield“ ein Angebot auf dem Markt. Außerdem heißt es aus Entwicklerkreisen teilweise, dass das Google-Angebot zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wahnsinnig attraktiv sei. Aber: „Der Cloud Gaming Markt steckt noch in den Kinderschuhen. Google war früh dabei und hat durchaus die Chance ein Big Player zu werden“, schätzt Analyst Wilke. Ob Google sich auf dem umkämpften Cloud-Gaming-Markt tatsächlich durchsetzen kann, bleibt also abzuwarten. Falls nicht, wäre der Ausflug des IT-Riesen in die Unterhaltungselektronik allerdings endgültig gescheitert.

Mehr zum Thema: Deutschland schafft es nicht, international konkurrenzfähige Videospielentwickler hervorzubringen. Polen hat Videospiele hingegen zur Schlüsselindustrie ernannt – und zeigt, wie es gehen kann.

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