„Grinch-Bots“ Wenn künstliche Intelligenz die Weihnachtsgeschenke klaut

In den 50er-Jahren stahl der Grinch im gleichnamigen Kinderbuch das Weihnachtsfest. Inzwischen hat der grüne Antiheld zahlreiche Nachahmer im Internet. (Filmstill aus der Zeichentrickverfilmung von 1966) Quelle: imago images/Everett Collection

Sogenannte Grinch- oder Scalping-Bots sind darauf programmiert, menschlichen Käufern Produkte wegzuschnappen. Dahinter steckt ein moralisch fragwürdiges Geschäftsmodell, das inzwischen auch die Politik beschäftigt.

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Kaum jemand kennt die Tücken des Onlineshoppings hierzulande wohl besser als Martin Groß-Albenhausen. Und doch fühlt auch er sich hin und wieder übertölpelt, wenn er im Internet shoppen geht. So geschehen in dieser Woche, als der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des E-Commerce-Bundesverbands bevh ein Weihnachtsgeschenk für seine Tochter besorgen wollte. Ein ganz bestimmtes Produkt sollte es sein, der Haarstyler „Dyson Airwrap“. Blöd nur: „Da sprangen einem nur noch Preise zwischen 600 und 900 Euro entgegen“, erzählt er – 25 bis 80 Prozent über der Preisempfehlung des Herstellers. Groß-Albenhausen wunderte sich kurz, erkannte dann: „Der Erstmarkt ist leergekauft.“ Und verwarft schließlich seine Geschenkidee.

Wie ihm geht es in diesen Tagen vielen Konsumenten, die in der Vorweihnachtszeit im Internet nach Geschenken stöbern. Schuld daran sind sogenannte Grinch-Bots, die darauf programmiert sind, menschlichen Käufern in Onlineshops zuvorzukommen. Ein bisschen erinnern sie damit tatsächlich an den grünen Antihelden aus dem Kinderbuchklassiker „Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat“. Nur steckt hier nicht bloße Missgunst hinter dem Geschenkeklau – sondern ein genauso einträgliches wie moralisch fragwürdiges Geschäftsmodell.

Das Prinzip hinter den Grinch-Bots sei nicht neu, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des E-Commerce-Bundesverbands, Martin Groß-Albenhausen. Früher habe man es nur anders genannt: „Denial of inventory“ etwa oder „Scalping“. Schon vor drei bis fünf Jahren hätten sich findige Leute darauf spezialisiert, Bot-Software zu schreiben, die automatisiert Bestellungen in Onlineshops tätigt. Ihr Ziel: Limitierte Trendprodukte in Massen zum Originalpreis einzukaufen und dann, sobald sie im Shop des ursprünglichen Verkäufers nicht mehr verfügbar sind, überteuert wieder ins Netz zu stellen. „Das kannte man vor allem aus dem Sneakermarkt und war damals ein sehr begrenztes Phänomen“, sagt Martin Groß-Albenhausen.

Inzwischen betrifft das Bot-Problem aber längst nicht mehr nur Sneakershops. Grinch-Bots zielten eben spezifisch auf Konsumgüter ab, bei denen es eine hohe Nachfrage und ein vergleichsweise geringes Angebot gebe, erläutert Chris Waynforth vom international tätigen IT-Sicherheitsdienstleister Imperva. Entscheidend sei ein „hoher und sofortiger Wiederverkaufswert auf dem Zweitmarkt“. Und diese Voraussetzungen erfüllen längst nicht mehr nur limitierte Schuhmodelle – besonders jetzt, wo vorweihnachtliche Kauflust auf Kundenseite und lieferkettenbedinger Gütermangel auf Anbieterseite zusammentreffen.

„Grinch-Bots sind die neueste Evolutionsstufe der automatisierten Kaufbots und es gibt davon immer mehr“, sagt Waynforth. Inzwischen gebe es im Internet einen großen Markt für derartige Algorithmen. Diejenigen, die solche Bots programmieren, hätten die Wahl, sagt Waynworth: „Entweder sie machen Geld damit, die Bots selbst einzusetzen, oder sie bieten ganz einfach die Technologie zum Verkauf an.“ Es gebe inzwischen sogar Plattformen, die ihren Kunden im Gegenzug für eine Gewinnbeteiligung an den späteren Zweitverkäufen einen besonders bequemen Service böten. Dort müsse man lediglich angeben, welches Produkt in welcher Masse gewünscht sei, den Rest erledige der Anbieter – ein Grinch-Bot-Dienstleister der ersten Klasse.

All das findet derzeit in einer juristischen Grauzone statt, rechtlich sind Onlinehändlern die Hände gebunden. Schließlich kommt trotz Bot-Einsatz ein tatsächlicher Kauf zustande. „Der Händler ist also gar nicht geschädigt, er wird ja nicht wirklich betrogen“, sagt Martin Groß-Albenhausen. Dennoch könnten Grinch-Bots das Geschäft eines Onlinehändlers negativ beeinträchtigen. „Wenn Lagerbestände immer wieder von Bots leergekauft werden, schadet das der Marktstellung und der Kundenbindung“, erläutert Groß-Albenhausen. Dabei dienten limitierte Angebote, auf die Grinch-Bots besonders abzielen, ja eigentlich gerade dem Zweck, Marktstellung und Kundenbindung zu stärken. „Genau das macht das Ganze so ärgerlich. Hier haben wir ja keinen Menschen auf der anderen Seite, sondern ein Stück Code. Das zahlt zwar Geld, ist aber in der ökonomischen Langzeitbetrachtung wertlos.“

Wie frustrierend die Taktiken der Grinch-Bot-Betreiber für Händler und Kunden sein können, zeigt aktuell auch das Beispiel der Playstation 5. Die Spielekonsole von Sony, die aufgrund des weltweiten Chipmangels rar ist, soll laut Hersteller eigentlich zwischen 400 und 500 Euro kosten. Wer sie in diesem Jahr unter dem Weihnachtsbaum haben möchte, muss aber mindestens das doppelte ausgeben – den Grinch-Bots sei Dank.



In den USA will deshalb jetzt die Politik den Kampf gegen die Preistreiber aufnehmen. Zumindest hat die Demokratische Partei vor zwei Wochen den sogenannten „Stopping Grinch Bots Act“ ins amerikanische Parlament gebracht. Um „gierige Cyber-Grinches davon abzuhalten, den Kindern das Weihnachtfest zu ruinieren“, wie es in der Begründung heißt. Auch in Großbritannien wird derzeit über ein vergleichbares Gesetz diskutiert.

Hierzulande hält Martin Groß-Albenhausen den Ruf nach dem Gesetzgeber noch für den falschen Weg. Man müsse erst mal abwarten, wie sich der Onlinehandel weiterentwickle und welche Regularien der Markt selbst finden könne, sagt er. „Sollte sich in Zukunft allerdings zeigen, dass durch die Bots eine echte Verzerrung zulasten der Verbraucher und der Anbieter entsteht – dann wäre ein Punkt erreicht, an dem wir dringend eine juristische Lösung bräuchten.“

Mehr zum Thema: Shopping auf Social-Media-Plattformen wird immer beliebter und erreicht mehr Bereiche der Gesellschaft. In Deutschland treiben besonders jüngere Verbrauchergruppen diesen Trend voran.

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