
WirtschaftsWoche: Herr Oettinger, bekommen wir in Europa bald eine Zweiklassengesellschaft im Internet, in der nur Großkunden einen guten Service erhalten?
Oettinger: Wir sind dabei, die Netzneutralität zu regeln, also die Gleichbehandlung der Daten, und es wird einen Standard für alle geben. Diskriminierung von Inhalten muss verboten sein. Mit etwas gutem Willen erreichen wir eine Einigung zur Jahresmitte. Dann schafft Europa noch in diesem Jahr Rechtssicherheit, was den Amerikanern so früh nicht gelingen wird.
Die USA haben die Entscheidung gefällt, dass im Internet alle Nutzer gleich sein sollen. Der Beschluss bleibt aber in vielen Bereichen sehr vage.
Ich halte den Beschluss von US-Präsident Barack Obama zur Netzneutralität für gutes Marketing. Die 300 Seiten Vorschriften zum offenen Internet sind nur sehr schwer lesbar. Wenn ich den Chef der US-Regulierungsbehörde FCC nach konkreten Bereichen wie der E-Gesundheit frage, sagt er, die sei gar nicht betroffen. Die Amerikaner machen eine Regel fürs Allgemeine, andere Dinge wollen sie gar nicht regeln.
Zur Person
Oettinger, 61, ist seit 2014 EU-Kommissar für Digitales. Zuvor verantwortete der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg in der EU-Kommission fünf Jahre den Bereich Energie. Der Christdemokrat sagt von sich selbst, dass er kein "Digital Native" sei.
Wird Europa es besser machen?
In Europa wird es keine Diskriminierung im Internet geben. Das ist der entscheidende Punkt. Unternehmen und Privatpersonen, die einem Internet-Anbieter weniger Umsatz einbringen, dürfen keinen schlechteren Dienst bekommen, etwa mit geringerer Übertragungsleistung. Es muss einen einheitlichen Qualitätsstandard für alle geben. Zusätzlich muss es aber auch Spezialdienste geben können, die im allgemeinen Interesse sind und Vorrang genießen.
Und das ist dann keine Diskriminierung?
Die Ausnahmen für Spezialdienste müssen eng begrenzt sein, vor allem drehen wir die Beweislast um. Eine Klinik etwa muss nachweisen, dass sie für eine Operation Vorfahrt im Internet benötigt. Das Gleiche gilt für autonomes Fahren und Vernetzung von Autos.
Die Internet-Anschlüsse der deutschen Haushalte
...besitzen einen Internet-Anschluss von 50 Megabit pro Sekunde und mehr.
Stand: Sommer 2014; Quelle: TÜV Rheinland
...besitzen einen Internet-Anschluss von 30 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 16 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 6 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 2 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 1 Megabit pro Sekunde und mehr.
Das klingt sehr bürokratisch. Droht da nicht Streit um die Auslegung?
Ich habe da Vertrauen in die Fachleute. Die können ziemlich genau feststellen, was im öffentlichen Interesse ist. Die Umkehr der Beweislast ist wesentlich sinnvoller, als heute festschreiben zu wollen, welche Spezialdienste in vier Jahren notwendig sind. Niemand weiß das, deswegen wäre es nicht sinnvoll, jetzt schon Anwendungsbereiche in den Anhang des Gesetzes zu schreiben. Wenn wir uns jetzt schon zutrauen, genau zu wissen, was wir ausnehmen wollen, werden wir die Kreativität bei neuen Diensten hemmen.
Wie sollen Ausnahmegenehmigungen erteilt werden?
Ich könnte mir ein Modell mit einer Art Notifizierung bei der EU-Kommission vorstellen. Das wäre eine Empfehlung, auf deren Basis dann die Regulierungsbehörden entscheiden. Allgemeines Interesse gibt es in vielen Bereichen: Verkehrssicherheit, Stauvermeidung, das Retten von Menschenleben.