Huawei Der lange Arm des chinesischen Geheimdienstes

Mit Dumpingpreisen, aggressivem Marketing und Milliardenhilfen der chinesischen Regierung ist Huawei zum zweitgrößten Netzwerkausrüster aufgestiegen. Jetzt will der Chef und Gründer Ren Zhengfei mit Smartphones und IT-Services wachsen. Das den Militärs nahestehende Unternehmen bekommt dadurch noch mehr Spionagemöglichkeiten.

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Charmeoffensive: Huawei sucht Kontakt zu Regierungsstellen Quelle: REUTERS

Hagen Fendler hat einen der wichtigsten Jobs bei Huawei. Der Deutsche mit einem Lehrstuhl für Design an der TU München hat schon Produkte für Kettler, Vaillant und Audi entworfen. Jetzt steht Fendler – dunkler Anzug, schmale Brille – in einem holzgetäfelten Besprechungszimmer in der Zentrale von Huawei im südchinesischen Shenzhen und erklärt seine Design-Philosophie. „Wir analysieren laufend Farbtrends und neue Materialien“, sagt er. Das Wichtigste bei den Huawei-Produkten seien allerdings klare und einfache Linien. „Puristisch“, nennt Fendler das.

Der Deutsche ist seit 2010 Chefdesigner und damit der kreative Kopf der neu gegründeten Handysparte von Huawei. Bislang spielten Mobiltelefone für das Geschäft des Netzwerkausrüsters aus dem Reich der Mitte eine Nebenrolle. Huawei hat seine Handys nicht unter eigener Marke vertrieben, sondern als No-Name-Produkte unter anderem an Vodafone in Deutschland geliefert. Das soll sich mit Fendlers Hilfe ändern. Huawei – der Name bedeutet „China kann was“ – will in den kommenden Jahren eine eigene Marke schaffen und in der Liga von Apple, Samsung und Nokia mitspielen.

Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2013 soll Huawei zu den fünf größten Handyherstellern der Welt gehören. 2015 will der Konzern die Nummer drei sein. So hat es Chef und Gründer Ren Zhengfei festgelegt.

Ab in die Cloud

Genauso schnell will Ren mit Kommunikations- und IT-Lösungen für Geschäftskunden und Behörden in die erste Liga aufsteigen. Neue Rechenzentren entstehen, damit auch deutsche Firmen und Behörden ihre Daten dem chinesischen Unternehmen anvertrauen. Mit sogenannten Cloud-Services – IT-Diensten aus der Wolke – will Huawei auch als Anbieter für Geschäftskunden in die Phalanx von IBM, Microsoft und T-Systems einbrechen.

Mit Dumpingpreisen, aggressivem Marketing und Milliardenhilfen der chinesischen Regierung kämpfte sich Huawei als Neuling unter den Netzausrüstern innerhalb weniger Jahre auf Platz zwei hinter Marktführer Ericsson vor. Diesen kometenhaften Aufstieg wollen die Chinesen jetzt auch bei Smartphones und IT-Dienstleistungen wiederholen. Ausgerechnet China, das wie kein anderes Land den Internet-Verkehr kontrolliert und dieses Know-how auch bei der Spionage im Ausland einsetzt, würde dann auf allen Ebenen der Wertschöpfung im Web – von der Vermittlungstechnik für schnelle Datenautobahnen über Smartphones mit mobilem Internet-Zugriff bis zu IT-Services für Unternehmen – eine Führungsrolle spielen.

Daten leicht abfangen

Planmäßig nach oben: Gründer Ren Zhengfei will Nummer 3 werden. Quelle: AP

Der Plan könnte aufgehen, gäbe es nicht einen schwer zu behebenden Makel. Huawei gilt aufgrund seiner Nähe zu den Militärs als verlängerter Arm chinesischer Geheimdienste. „Egal, wie sich ein chinesisches Unternehmen in der Öffentlichkeit präsentiert, in Wahrheit ist es nicht unabhängig vom Staat und auch nicht frei von Direktiven der chinesischen Regierung“, warnt der ehemalige britische Labour-Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende des Sicherheitsausschusses Kim Howells. Mit Sorge betrachtet Howells, dass einige große europäische Telekomkonzerne wie BT längst Vermittlungstechnik von Huawei in ihren Netzen einsetzen. Dadurch bekämen chinesische Geheimdienste, so Howells, direkten Zugriff auf wichtige Infrastrukturen und können vorbeirauschende Daten leicht ausspionieren.

Der Vorstoß Huaweis ins Geräte- und Lösungsgeschäft für Unternehmenskunden eröffnet zusätzliche Spionagemöglichkeiten. Auch deutsche Sicherheitsexperten sind alarmiert. „Die Bedrohungslage verschärft sich“, fürchtet der Münchner Sicherheitsberater Arne Schönbohm. Schon länger hegen westliche Nachrichtendienste den Verdacht, dass speziell in China gefertigte Hardware kaum zu enttarnende Hintertüren enthält. Die können zur Spionage oder Sabotage eingesetzt werden, ohne dass der Nutzer etwas merkt. Mit Smartphones made in China wird diese Gefahr noch größer. „Chinesische Geheimdienste bekommen sensible Informationen äußerst effizient frei Haus geliefert“, frotzelt ein Sicherheitsspezialist. „Die könnten künftig dann ganz auf die Entwicklung von Trojanern und anderen Spionageprogrammen verzichten.“

Nächster Schritt: Imagepflege

Immer wieder wies Huawei solche Vorwürfe zurück. Doch insbesondere in den USA und Europa gelang es den Chinesen nicht, solche Vorbehalte auszuräumen. Jetzt startet Huawei eine Charmeoffensive. Anfang November eröffnete das Unternehmen sein erstes Büro in Berlin, um direkte Kontakte zu Regierungsstellen pflegen und Ressentiments abbauen zu können. Insbesondere der neu geschaffene Bereich Enterprise braucht solch eine Anlaufstelle in der Hauptstadt. Denn Huawei will auch Infrastrukturlösungen an Unternehmenskunden und Behörden verkaufen, etwa Verkehrsleitsysteme oder Anlagen für Telefonkonferenzen. Huaweis Vize-Vorstandschef Ken Hu spricht von einer „ganz wichtigen Veränderung der Geschäftsstrategie“. Ein Großteil des künftigen Wachstums soll von den beiden neuen Sparten kommen.

Denn zuletzt kam der Motor des erfolgsverwöhnten Unternehmens ins Stottern. 2010 wuchs der Umsatz noch um 24 Prozent auf umgerechnet knapp 28 Milliarden Dollar. Im ersten Halbjahr 2011 verbuchte Huawei nur noch ein Plus von elf Prozent.

Wachstum abgeschwächt

Das neue Smartphone Vision von Huawei-Designer Hagen Fendler ähnelt noch sehr den Vorbildern von Apple, Samsung und Nokia. Quelle: REUTERS

Für seine Mission kann Chefdesigner Fendler denn auch aus dem Vollen schöpfen. Gut 300 Mitarbeiter hat seine Abteilung. Allein im Juli hat er 40 Designer eingestellt. Weltweit arbeitet Huawei inzwischen mit 50 Designagenturen zusammen. Erste Ergebnisse kann Fendler vorweisen: Das Smartphone Vision, das auf Basis des von Google entwickelten Betriebssystems Android arbeitet, ist gerade in den Handel gekommen. Dass er mit seinen Geräten Apple und Samsung nacheifert, bestreitet Fendler: „Wir suchen nach einer eigenen Linie, aber das braucht Zeit.“

Zurzeit steuern die Netzwerkausrüstungen noch zwei Drittel zum Gesamtumsatz bei. Doch der Anteil des Bereichs dürfte sinken, denn das Wachstum hat sich zuletzt stark abgeschwächt. In den Schwellenländern Südamerikas, Südostasiens und Afrikas kommt Huawei auf Marktanteile zwischen 30 und 40 Prozent. „Da dürften sie kaum noch zulegen“, sagt ein Unternehmensberater. „Die Mobilfunkanbieter wollen sich nicht von einem Lieferanten abhängig machen.“

Aggressive Taktik

In Europa liegt Huaweis Marktanteil bei zehn Prozent. Mit einer bisher nicht gekannten Aggressivität, mit Dumpingpreisen, Niedriglöhnen und Milliardenkrediten hat Huawei den Platzhirschen Ericsson, Alcatel-Lucent und Nokia Siemens Networks in den vergangenen Jahren Geschäft abgenommen. Die Chinesen arbeiten mit Rabatten zwischen 30 und 40 Prozent. Staatliche Exporthilfen wie der 2009 vergebene Kredit der landeseigenen China Development Bank in Höhe von 30 Milliarden Dollar erlauben Huawei die Gewährung großzügiger Zahlungsfristen. Huawei schickte sogar eigene Techniker mit Touristenvisum nach Europa, die sich an keine Tarifverträge und Arbeitsschutzvorschriften halten müssen. Die Chinesen schufteten bis spät in die Nacht und wurden nach drei Monaten von frischen Trupps aus der Heimat abgelöst.

In den USA dagegen hat Huawei auch nach jahrelangen Versuchen, auf dem großen Markt Fuß zu fassen, nur ein Prozent Anteil erobert. In der Konzernspitze ist man inzwischen desillusioniert. Viele Manager haben die Hoffnung aufgegeben, noch auf den US-Markt vordringen zu können. Denn die amerikanische Regierung blockiert jedes Investment aus Sicherheitsbedenken: Die Chinesen könnten in den USA installierte Huawei-Anlagen zur Spionage nutzen. Selbst als Huawei im Februar Patente eines pleitegegangenen Startups in Kalifornien kaufen wollten, legte sich der Kongress quer.

Faible für Mao-Uniformen

Gerade die ungeklärten Eigentumsverhältnisse des Unternehmens sorgen für Misstrauen - manche glauben, der Konzern werde von Rens engsten Vertrauten geführt, andere sprechen von einer

Wirklich überraschend sind die Befürchtungen nicht. Gründer Ren, der ein Faible für Mao-Uniformen hat, war früher General der Volksbefreiungsarmee. „Im Tagesgeschäft ist Huawei völlig unabhängig von der Kommunistischen Partei (KP)“, sagt der Huawei-Berater, „bei Konflikten oder Krisen ist damit aber sofort Schluss.“ Dann reden Partei und Militär ins Geschäft rein.

Zu den Bedenken der Amerikaner tragen auch die ungeklärten Eigentumsverhältnisse des Unternehmens mit mittlerweile 110.000 Mitarbeitern bei. Chef Ren halte 1,42 Prozent der Anteile, der Rest befinde sich in den Händen der Angestellten, beteuert die Konzernspitze gebetsmühlenartig. Die Angestellten wiederum, heißt es, poolten ihre Interessen in einer Aktionärsvereinigung, die von einem gewählten Komitee geführt wird. Über Macht und Kompetenzen des Komitees hüllt Huawei sich allerdings in Schweigen. Doch über die Gremien selbst verrät Huawei so gut wie nichts. Manche Beobachter in Peking behaupten, der Konzern werde von Rens engsten Angehörigen geführt. Andere sagen, eine „Schattenstruktur“ der KP steuere das Unternehmen.

Konzernlenker Ren sorgt nicht für mehr Transparenz. Der Gründer hat noch nie ein Interview gegeben, auch Top-Führungskräfte bei Huawei bekommen ihn nicht zu Gesicht. Chefdesigner Fendler etwa hat Ren noch nie getroffen.

Wenig Einfluss auf Entscheidungen

Inzwischen arbeiten rund 30 Ausländer am Stammsitz in Shenzhen. Doch echten Einfluss haben sie nicht. Wenn Entscheidungen anstehen, gibt es zunächst ein Meeting, in dem auch die ausländischen Manager einer Abteilung dabei sind. Dann berufen die Chinesen oft noch ein weiteres Treffen ein, auf dem die endgültigen Beschlüsse gefasst werden. Dort sind die ausländischen Kollegen nicht geladen.

Die Konzernspitze in Shenzhen realisiert offenbar, dass sich das Unternehmen öffnen muss, vor allem, wenn es Geschäfte in den USA machen will. Hin und wieder lädt Huawei darum nun ausländische Journalisten ein. Doch Top-Manager bekommen die Pressevertreter nicht zu sehen, dafür in aller Ausführlichkeit das Firmenmuseum des 1988 gegründeten Unternehmens.

Informationen verschweigen

Trotz intensiver Bemühungen konnte Huawei in den USA noch keinen Fuss fassen - der Marktanteil liegt nur bei einem Prozent. Quelle: dapd

Immerhin hat Huawei in diesem Jahr erstmals einen Geschäftsbericht veröffentlicht. Für ein nicht börsennotiertes Unternehmen ist das von KPMG auditierte 70-Seiten-Werk durchaus in Ordnung. So wies der Konzern für 2010 einen Nettogewinn von bei 3,7 Milliarden US-Dollar aus. Nur an einer Stelle sparen die Verfasser mit entscheidenden Informationen. Der Bericht verschweigt, dass ein Vorstandsmitglied Rens Tochter ist, ein anderes sein Bruder. Erst auf Nachfrage bestätigte der Konzern die Verwandtschaftsverhältnisse. Berichten in China vom vergangenen Jahr zufolge plant der 67-jährige Ren, seinen Sohn Ren Ping als Nachfolger aufzubauen.

Der dürfte sich dann mit der Neuausrichtung des Konzerns beschäftigen, etwa mit dem Handygeschäft. Im ersten Quartal 2011 verkaufte Huawei sieben Millionen Mobiltelefone; bei Marktführer Nokia waren es 108 Millionen. Für das Gesamtjahr rechnet Chefdesigner Fendler mit rund 20 Millionen verkauften Smartphones. Der Umsatz mit den Handys, die umgerechnet zwischen 80 und 200 US-Dollar kosten, wächst mit zweistelligen Raten.

Anfang 2010 sei er von Huawei für den Job in Shenzhen angesprochen worden, erzählt Fendler beim Spaziergang durch die großzügigen Parkanlagen des Huawei-Campus. „Natürlich überlegt man sich so eine Entscheidung“, sagt er, aber befreundete Experten hätten ihm versichert, bei Handys sei Huawei ein schlafender Riese.

Kopie des iPhones

Andere sind da kritischer. Als die Chinesen Ende September ihr neues Smartphone Honor vorstellten, empörte sich die Fachszene in ihren Blogs, das Handy sei eine Kopie des iPhone 4.

Auch in der Enterprise-Sparte fordert Ren schnelle Fortschritte. Die neu gegründete Abteilung soll Ende des Jahres bereits 10.000 Mitarbeiter haben. 2010 lag der Umsatz bei zwei Milliarden Dollar, für 2011 rechnet Huawei mit einer Verdopplung. Erste Erfolge gibt es in Schwellenländern: Die Chinesen haben Lösungen zur Verkehrsüberwachung etwa an Städte in Ecuador, Mexiko und Laos geliefert.

Um für kräftigeres Wachstum in der Device-Sparte zu sorgen, muss der Konzern allerdings noch seine Angestellten zur Markentreue erziehen. Als eine Mitarbeiterin der PR-Abteilung einen Anruf machen will, zückt sie ein iPhone 4.

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