Industrie 4.0 Die Technologiefalle

Werden Maschinen den Menschen ersetzbar und seine Arbeit überflüssig machen? Quelle: Getty Images

Werden Maschinen den Menschen ersetzbar und seine Arbeit überflüssig machen? Ist die Lohnarbeit, wie wir sie kennen, bald Vergangenheit? Genau wie die erste und zweite Industrielle Revolution wird auch die dritte, die Computer-Revolution, zu schmerzhaften Anpassungsprozessen führen. Sie müssen gut gemanagt werden, um langfristig Gewinne zu erzielen, sagt Carl Benedikt Frey, Professor an der Oxford University.

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Carl Benedikt Frey ist ein schwedisch-deutscher Ökonom und Wirtschaftshistoriker. Er lehrt und forscht an der Oxford University. Sein aktuelles Buch „The Technology Trap“ erscheint im kommenden Jahr auf Deutsch.

Technologischer Wandel und mit ihm einhergehende Veränderungen von Arbeitsplätzen und Aufgaben haben regelmäßig zu sozialen Unruhen geführt. Manchmal gar zu einem Rückschlag gegen die Technologie selbst. Das Zeitalter der Automatisierung, das mit der Computerrevolution in den Achtzigerjahren begann, ähnelt da in vielen Zügen der Industriellen Revolution, in der die mechanisierte Fabrik die Handwerker mittleren Einkommens in großer Zahl ersetzte.

Damals glichen die Löhne, die die Arbeiter in den Industriestädten mit nach Hause nahmen, die schmutzigen und ungesunden Bedingungen, unter denen die Menschen lebten und arbeiteten, kaum aus. Obwohl die Produktion expandierte, fanden die Gewinne aus dem Wachstum nicht ihren Weg in die Taschen der Mehrheit der Mitarbeiter. Die Reallöhne stagnierten oder fielen sogar teilweise. Das Einzige, was die Arbeiter sahen, war die Anzahl der Stunden, die sie in den „dunklen, satanischen Mühlen“ verbrachten. Die Gewinne des Fortschritts indes gingen überwiegend an die Industriellen, die ihre Rate verdoppeln konnten.

Diese Ungleichheit hatte ihren Preis: Die durchschnittliche Menge an Lebensmitteln, die in Großbritannien während der Industriellen Revolution konsumiert wurden, stieg erst spät, nämlich in den 1840er Jahren, an. Und so waren die Ludditen, die damals gegen die mechanisierte Fabrik kämpften, keine irrationalen Feinde des Fortschritts. Sondern schlicht diejenigen, die nicht vom Wohlstandszuwachs profitieren konnten. Insofern ergibt ihre Opposition gegen die Industrialisierung Sinn. Nur: wenn die Einführung neuer Technologien blockiert wird, weil einige befürchten, ihre Arbeitsplätze zu verlieren, werden langfristig Wachstum und Wohlstand darunter leiden.

Das stimmte damals. Und das stimmt heute.

Wir erleben gerade eine weitere Episode des Fortschritts. Wieder werden Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt, die heute Computer heißen. Wieder zeichnet sich Widerstand ab. Laut einer Umfrage des Pew Research Center von 2017 favorisieren 85 Prozent der Amerikaner heute Richtlinien, um den Aufstieg von Robotern zu begrenzen. Und Andrew Yang hat kürzlich in seiner Bewerbung für das Weiße Haus im Jahr 2020 eine Kampagne zum Schutz von Arbeitsplätzen vor Automatisierung angekündigt. Das zugrunde liegende Anliegen ist nicht schwer zu verstehen: Unterstützt durch Fortschritte in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Machine Vision oder Sensorik sind Computer heute in der Lage, eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen, die vor einigen Jahren nur der Mensch bewältigen konnte. Eine Top-Down-Programmierung ist für die Automatisierung nicht mehr erforderlich. Im Zeitalter der KI können Computer selbstständig lernen.

Und noch eine Parallele gibt es: Damals wie heute partizipieren einige Arbeitnehmer nicht mehr an den Vorteilen des Fortschritts. Schlimmer noch: viele fühlen sich zurückgelassen, abgekoppelt, um Aufstiegschancen und den American Dream betrogen. So wie die Handwerker durch die Industrialisierung an Einkommen verloren, wird die Automatisierung dazu führen, dass die Aufstiegschancen für die amerikanische Mittelschicht schlechter werden. Und wie die Opfer der frühen Fabriken haben sich viele schon heute an die Informatisierung der Arbeit gewöhnt, indem sie unfreiwillig in schlechter bezahlte Jobs wechseln oder es versäumt haben, sich anzupassen und sich vollständig aus der Arbeitswelt zurückzuziehen.

Bis in die Achtzigerjahre hinein erlaubten Fertigungsjobs gewöhnlichen Arbeitern, einen bürgerlichen Lebensstil zu erreichen, ohne aufs College zu gehen. Mit dem Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeiten im verarbeitenden Gewerbe wurde vielen Bürgern ein Weg der Aufwärtsmobilität versperrt. Und wo Arbeitsplätze verschwunden sind, ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die Menschen für populistische Kandidaten stimmen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sowohl in Amerika als auch in Europa die Attraktivität des Populismus dort steigt, wo Arbeitsplätze stärker der Automatisierung ausgesetzt waren. Wieder eine Parallele: Genau wie in den Tagen der industriellen Revolution fordern die Verlierer der Technologie Veränderungen. Diesmal tun sie das durch die Wahl extremer politischer Positionen.

Natürlich: Die langfristigen wirtschaftlichen Vorteile der industriellen Revolution sind unbestritten. Vor 1750 verdoppelte sich das Pro-Kopf-Einkommen in der Welt alle 6000 Jahre, seitdem verdoppelt es sich alle 50 Jahre. KI-Systeme haben das Potenzial, diesen Prozess fortzusetzen.

Dennoch wird die Zukunft der nächsten Industriellen Revolution davon abhängen, wie wir kurzfristig vorgehen. Wir sollten versuchen, die Herausforderungen zu verstehen und offen anzugehen, politisch wie wirtschaftlich, statt die neue Arbeitswelt in dem Glauben schönzureden, dass auf lange Sicht alle profitieren werden. Das stimmt nämlich nicht. Wahr ist aber: wir müssen dieses Mal den Wandel gestalten, seine Vorteile allen zugänglich machen, und die Nachteile für Einzelne sozial abfedern. Ansonsten wird es Widerstand einzelner Gruppen geben – und wir alle werden verlieren.

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