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Internet Die Überholspur im Netz wird kommen

Noch halten Europa und die USA an der Gleichbehandlung aller Daten und Akteure im Web fest. Doch die Netzneutralität ist bald Geschichte. In Zukunft wird es unweigerlich Überholspuren geben für wichtige, unerlässliche oder lebensnotwendige Dienste. Offen ist nur, zu welchem Preis – und wer die Regeln festlegt.

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Deutschland hat keine Ahnung vom Internet
Laut einer Studie der Internationale Fernmeldeunion (ITU) haben 4,3 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zum Internet oder zu Handys, ein Großteil von ihnen lebt in Entwicklungsländern. Besonders in Afrika mangelt es an der Verbreitung der modernen Technik, wie der Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex der ITU zeigt. Internationales Schlusslicht ist die Zentralafrikanische Republik auf Platz 166. Allerdings steigt in den Entwicklungsländern die Verbreitung rasant: 2013 stieg die Verbreitung um 8,7 Prozent - in den Industrienationen waren es dagegen nur 3,3 Prozent mehr. Und einige der Industriestaaten könnten durchaus noch Nachhilfe gebrauchen. Quelle: AP
So schafft es Deutschland nur auf Platz 17, was die Zugänglichkeit und die Nutzung von Internet und Handys sowie die Kompetenz der Bevölkerung im Umgang mit der Technik angeht. In der Bundesrepublik hapert es jedoch nicht nur an der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Internetanbindungen. Bereits im Jahr 2012 hat eine Studie von Eurostat den Deutschen in Sachen Computerkenntnisse kein gutes Zeugnis ausgestellt. Und daran hat sich bis dato nicht viel geändert. Nur 58 Prozent der Deutschen haben mittlere bis gute PC-Kenntnisse. Und selbst die Digital Natives, die mit Computern, Internet und Handy groß geworden sind, gehen nicht automatisch kompetent mit den neuen Medien um. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine weltweite Studie zu den Computer- und Internetkenntnissen von Achtklässlern. Quelle: dpa
Doch selbst die USA - Heimatland von Google, Facebook, Microsoft, Twitter & Co. - wurden von der ITU nur auf Platz 14 eingestuft. Im kommenden Jahr könnten sich die USA jedoch hocharbeiten. Dann nämlich sollen zumindest in New York alte Telefonzellen durch kostenlose Wifi-Stationen ersetzt werden. Fehlen nur noch die ländlichen Regionen versorgt. Quelle: dpa
Österreich und die Schweiz landen im weltweiten Internet-Ranking auf den Plätzen zwölf und 13. Auch bei der „ International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) schnitten Österreich und die Schweiz besser ab, als Deutschland. Die Schüler aus den Nachbarstaaten taten sich leichter, einfache Textdokumente am Computer zu erstelle oder eigenständig Informationen zu ermitteln (Kompetenzstufen III und IV). Von den deutschen Schüler erreichte dagegen nur jeder Dritte die untersten Kompetenzstufen I und II: Das bedeutet, dass viele deutsche Jugendlichen gerade einmal über rudimentäres Wissen und Fertigkeiten beim Umgang mit neuen Technologien verfügt. Sie konnten etwa einen Link oder eine E-Mail öffnen. Quelle: AP
Besser als die deutschsprachigen Länder schnitten dagegen Japan (Platz elf), Luxemburg (Platz zehn), Hongkong (Platz neun) und Finnland (Platz acht). Quelle: dapd
Selbst unsere Nachbarn im Westen sind in puncto Verbreitung und Kompetenz deutlich besser aufgestellt: Mit einem Informations- und Kommunikationsentwicklungsindex von 8.38 kommen die Niederlande auf Platz sieben und sind damit zehn Plätze vor Deutschland mit einem Index von 7,90. Quelle: AP
Auf Platz drei liegt Schweden mit einem Index von 8.67 vor Island (8.64), Großbritannien (8.50) und Norwegen (8.39). Quelle: REUTERS

Feuerwache Berlin-Wilmersdorf, kurz vor elf Uhr vormittags. Das Funkgerät piept, Verdacht auf Schlaganfall. Der Notarzt rast im Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn Richtung Gendarmenmarkt. Beim Schlaganfall können Sekunden entscheiden, ob der Patient zum Pflegefall wird oder weiter wie bisher leben kann.

Der Rettungswagen ist der Einzige in Berlin mit Computertomograf und direkter Internet-Anbindung. Noch am Notfallort sendet der Arzt Röntgenbilder in die Berliner Universitätsklinik Charité, wo Kollegen die Gefäßverschlüsse im Gehirn sofort erkennen und den Befund in den Krankenwagen zurückspielen.

Die Internet-Anschlüsse der deutschen Haushalte

Doch es gibt einen Wermutstropfen: Der Notarzt erhielte die Diagnose noch schneller, wenn er die Röntgenbilder während der Fahrt ins Krankenhaus senden könnte. Solche Datenmengen aber würden in der Umgebung des Krankenwagens den Datenverkehr aller anderen Mobilfunkkunden stark verlangsamen. Das darf nach den heutigen Grundregeln des Internets, wonach alle Nutzer gleichbehandelt werden müssen, nicht passieren.

„Ich bin für Gerechtigkeit im Web“, sagt der Berliner Neurologe Heinrich Audebert, der das Schlaganfall-Projekt an der Charité-Klinik leitet. „Aber wir brauchen auch auf der Datenautobahn dieselben Sonderregeln wie im Straßenverkehr.“

Die Auseinandersetzung um Vorfahrtsregeln für mobile medizinische Daten liefert einen ersten Vorgeschmack darauf, wohin die Reise im Internet in den kommenden Jahren gehen wird. Bisher ist die Vorfahrt für besonders eilige Dienste wie die Übertragung lebensrettender Daten verboten. In nicht mehr ferner Zukunft wird dies jedoch anders sein. Die jetzt vorgelegten Reformpläne der EU-Kommission öffnen zumindest ein Stück weit die Tür für den größten Umbau in der Geschichte des World Wide Web – zum Internet der verschiedenen Geschwindigkeiten. „Es wird in Zukunft zwei Internets geben“, prophezeit Ulf Ewaldsson, Technik-Vorstand des schwedischen Netzausrüsters Ericsson, „ein professionelles mit Vorfahrtsregeln für die Industrie und ein konventionelles für die Verbraucher.“

Anstieg des Datenverkehrs pro Gerät bis 2017

Das Thema erregt Internet-Nutzer und Anbieter von Diensten im Web wie kein anderes. Unversöhnlich stehen sich Gegner und Befürworter gegenüber. Netzpolitiker aller Parteien bekämpfen als Vertreter der reinen Lehre jede Ausnahme von der Netzneutralität, sie sehen darin den Einstieg in ein Zwei-Klassen-Web. Die Telekommunikationskonzerne, die gern Internet-Zugänge mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Vorfahrtsregeln anbieten würden, so der Vorwurf, wollten damit nur mehr Geld verdienen – nach dem Motto: Wer nicht bezahlt, muss auf die Kriechspur. Noch heute wirkt bei der Deutschen Telekom der Aufruhr im Sommer 2013 als Trauma fort. Der Konzern hatte versucht, die Geschwindigkeit der Internet-Anschlüsse ab einer bestimmten Datenmenge zu drosseln, es sei denn, der Kunde zahle mehr. Ein gigantischer Shitstorm im Internet sowie das Landgericht Köln zwangen die Telekom zum Rückzieher.

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